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Erster Teil. Griechische Philosophie
Einleitung
Bei dem Namen Griechenland ist es dem gebildeten Menschen in Europa, insbesondere uns Deutschen, heimatlich zumute. Die Europäer haben ihre Religion, das Drüben, das Entferntere, einen Schritt weiter weg als Griechenland, aus dem Morgenlande, und zwar aus Syrien empfangen. Aber das Hier, das Gegenwärtige, Wissenschaft und Kunst, was unser geistiges Leben befriedigend, es würdig macht sowie ziert, wissen wir von Griechenland ausgegangen, direkt oder indirekt - indirekt durch den Umweg der Römer. Der letzte Weg war die frühere Form, in welcher diese Bildung an uns kam, auch von seiten der vormals allgemeinen Kirche, welche als solche ihren Ursprung aus Rom ableitet und die Sprache der Römer selbst bis jetzt beibehalten hat. Die Quellen des Unterrichts sind nebst dem lateinischen Evangelium die Kirchenväter gewesen. Auch unser Recht rühmt sich, seine vollkommenste Direktion aus dem römischen zu schöpfen. Die germanische Gedrungenheit hat es nötig gehabt, durch den harten Dienst der Kirche und des Rechts, die uns von Rom gekommen, hindurchzugehen und in Zucht gehalten zu werden. Erst dadurch ist der europäische Charakter mürbe und fähig gemacht für die Freiheit. Nachdem also die europäische Menschheit bei sich zu Hause geworden ist, auf die Gegenwart gesehen hat, so ist das Historische aufgegeben, das von Fremden Hineingelegte. Da hat der Mensch angefangen, in seiner Heimat zu sein. Dies zu genießen, hat man sich an die Griechen gewendet. Lassen wir der Kirche und der Jurisprudenz ihr Latein und ihr Römertum. Höhere, freiere Wissenschaft (philosophische Wissenschaft) wie unsere schöne freie Kunst, den Geschmack und die Liebe derselben wissen wir im griechischen Leben wurzelnd und aus ihm den Geist desselben geschöpft zu haben. Wenn es erlaubt wäre, eine Sehnsucht zu haben, so nach solchem Lande, solchem Zustande.
Was aber uns heimatlich bei den Griechen macht, ist, daß wir sie finden, daß sie ihre Welt sich zur Heimat gemacht; der gemeinschaftliche Geist der Heimatlichkeit verbindet uns. Wie es im gemeinen Leben geht, daß uns bei den Menschen und Familien wohl ist, die heimatlich bei sich, zufrieden in sich sind, nicht hinaus, hinüber, so ist es der Fall bei den Griechen. Sie haben freilich die substantiellen Anfänge ihrer Religion, Bildung, gesellschaftlichen Zusammenhaltens mehr oder weniger aus Asien, Syrien und Ägypten erhalten; aber sie haben das Fremde dieses Ursprungs so sehr getilgt, es so umgewandelt, verarbeitet, umgekehrt, ein Anderes daraus gemacht, daß das, was sie wie wir daran schätzen, erkennen, lieben, eben wesentlich das Ihrige ist.
Man kann deswegen bei der Geschichte des griechischen Lebens ebensosehr, als man weiter zurückgeht und zurückgehen muß, auch diesen Rückgang entbehren und innerhalb ihrer Welt und Weise die Anfänge, das Aufkeimen, den Fortgang von Wissenschaft und Kunst bis zu ihrer Blüte wie selbst den Quell des Verderbens rein umschlossen in ihrer Sphäre verfolgen. Denn ihre geistige Entwicklung braucht das Empfangene, Fremde nur als Materie, Anstoß. Sie haben sich darin als Freie gewußt und betragen. Die Form, die sie der fremden Grundlage gegeben, ist dieser eigentümliche geistige Hauch - der Geist der Freiheit und Schönheit, der als Form einerseits genommen werden kann, der es aber andererseits eben ist, was in der Tat das höhere Substantielle ist.
Nicht nur aber haben sie so das Substantielle ihrer Bildung sich selbst erschaffen (und gleichsam undankbar den fremden Ursprung vergessen, in den Hintergrund gestellt, vielleicht in das Dunkel der Mysterien, das sie vor ihnen selbst sich geheim gehalten, vergraben), sich ihre Existenz heimatlich gemacht, sondern diese ihre geistige Wiedergeburt - was ihre eigentliche Geburt ist - auch geehrt. Sie sind nicht nur Diese gewesen, haben dies gebraucht und genossen, was sie vor sich gebracht und was sie aus sich gemacht, sondern haben diese Heimatlichkeit ihrer ganzen Existenz, den Anfang und den Ursprung ihrer selbst, bei sich gewußt und dankbar und freudig sich vorgestellt, - nicht um zu sein, zu haben und zu gebrauchen. Denn eben ihr Geist, als aus geistiger Wiedergeburt geboren, ist dies, sich dessen bewußt zu sein als des Ihrigen: α) es zu sein und β) es auch entstanden zu wissen, und zwar bei sich.
Sie stellen sich ihre Existenz abgetrennt von ihnen als Gegenstand vor, der sich für sich erzeugt und für sich ihnen zugute wird. Sie wissen von dem Grunde und Ursprung als einem Grunde und Ursprung, aber bei ihnen. Sie haben somit von allem, was sie besessen und gewesen, eine Geschichte sich gemacht. Nicht nur die Entstehung der Welt, d. i. der Götter und Menschen, der Erde, Himmel, Winde, Berge, Flüsse, haben sie sich vorgestellt, sondern von allen Seiten ihres Daseins - wie ihnen das Feuer gebracht und die Opfer, die damit verbunden, die Saaten, Ackerbau, Ölbaum, Pferd, Ehe, Eigentum, Gesetze, Künste, Gottesdienst, Wissenschaften, Städte, Geschlechter der Fürsten usf. -, von allem diesen so den Ursprung in anmutigen Geschichten sich vorgestellt, wie bei ihnen es geworden. Nach dieser äußerlichen Seite haben sie es historisch bei sich entstehen sehen als ihre Werke und Verdienste.
In dieser existierenden Heimatlichkeit selbst, aber dann dem Geiste der Heimatlichkeit, in diesem Geiste des vorgestellten Beisichselbstseins, des Beisichselbstseins in seiner physikalischen, bürgerlichen, rechtlichen, sittlichen, politischen Existenz, in diesem Charakter der freien, schönen Geschichtlichkeit, der Mnemosyne (daß, was sie sind, auch als Mnemosyne bei ihnen ist), liegt auch der Keim der denkenden Freiheit und so der Charakter, daß bei ihnen die Philosophie entstanden ist.
Wie die Griechen bei sich zu Hause, so ist die Philosophie eben dies: bei sich zu Hause zu sein, - daß der Mensch in seinem Geiste zu Hause sei, heimatlich bei sich. Wenn es uns sonst bei den Griechen heimatlich ist, so müssen wir besonders in ihrer Philosophie zu Hause bei ihnen sein, nicht aber als bei ihnen, da die Philosophie eben bei sich selbst zu Hause ist und wir es mit Gedanken, unserem Eigensten, dem Freien von allen Besonderheiten zu tun haben. Die Entwicklung des Gedankens ist bei ihnen von ihren uranfänglichen Elementen hervorgetreten, hat sich entfaltet, und wir können sie betrachten, ohne weitere äußere Veranlassungen aufsuchen zu müssen. Um griechische Philosophie zu begreifen, können wir bei ihnen selbst stehenbleiben.
Wir müssen aber ihren Charakter und Standpunkt näher bestimmen. Die Griechen haben ebensosehr eine Voraussetzung, als sie aus sich selbst hervorgegangen sind. Diese ist geschichtlich. In Gedanken aufgefaßt, ist sie die orientalische Substantialität der Einheit des Geistigen und Natürlichen. Sie ist natürliche Einheit. Nur aus sich hervorgehen, in sich sein, ist das andere Extrem der abstrakten Subjektivität (der reine Formalismus), wenn sie noch leer ist oder vielmehr sich leer gemacht hat, - das abstrakte Prinzip der modernen Welt. Die Griechen stehen zwischen beiden in der schönen Mitte, welche darum Mitte der Schönheit ist, weil sie zugleich natürlich und geistig ist, aber so, daß die Geistigkeit das herrschende, bestimmende Subjekt bleibt. Der Geist, in die Natur versenkt, ist in substantieller Einheit mit ihr, und indem er Bewußtsein ist, ist er vornehmlich Anschauung, Maßloses überhaupt; als subjektives Bewußtsein allerdings gestaltend, aber maßlos. Die Griechen hatten die substantielle Einheit der Natur und des Geistes zur Grundlage, zu ihrem Wesen; und es so zum Gegenstande habend und wissend, aber als darin nicht untergehend, sondern in sich gegangen, sind sie nicht zum Extrem der formellen Subjektivität zurückgetreten, sondern zugleich im Einen bei sich, also als freies Subjekt, das zum Inhalt, Wesen, Substrat noch jene erste Einheit hat, - als freies Subjekt seinen Gegenstand zur Schönheit bildend. Die Stufe des griechischen Bewußtseins ist die Stufe der Schönheit. Denn Schönheit ist das Ideal, der Gedanke aus dem Geiste entsprungen, - aber so, daß die geistige Individualität noch nicht für sich ist als abstrakte Subjektivität, die sich dann in ihr selbst ihr Dasein zur Gedankenwelt auszubilden hat; sondern diese Subjektivität hat die natürliche, sinnliche Weise noch an ihr, so daß aber diese natürliche Weise nicht in gleichem Range, Würde steht, noch das Überwiegende ist wie im Orient. Jetzt hat das Prinzip des Geistigen den ersten Rang, und das Naturwesen gilt nicht mehr für sich in seinen existierenden Gestaltungen, sondern ist vielmehr nur Ausdruck des durchscheinenden Geistes und zum Mittel und Weise der Existenz des Geistes herabgesetzt. Der Geist hat aber noch nicht sich selbst als Medium, sich in sich selbst vorzustellen und darauf seine Welt zu gründen.
Freie Sittlichkeit konnte und mußte also hier stattfinden, da die geistige Substanz der Freiheit die Grundlage ihrer Sitten, Gesetze und Verfassungen war. Weil das Naturmoment noch darin enthalten ist, so ist die Weise der Sittlichkeit des Staats noch mit Natürlichkeit behaftet. Die Staaten sind kleine Naturindividuen, die sich nicht zu einem Ganzen vereinigen konnten. Das Allgemeine steht nicht frei für sich; das Geistige ist so noch beschränkt. In der griechischen Welt wird die an und für sich seiende ewige Sache ausgeführt durch den Gedanken, zum Bewußtsein gebracht, aber so, daß die Subjektivität noch in zufälliger Bestimmung ihr gegenübersteht, weil sie noch wesentliche Beziehung auf die Natürlichkeit hat.
Die orientalische maßlose Kraft der Substanz ist durch den griechischen Geist zum Maße gebracht und in die Enge gezogen worden. Er ist Maß, Klarheit, Ziel, Beschränkung der Gestaltungen, Reduktion des Unermeßlichen, des unendlich Prächtigen und Reichen auf Bestimmtheit und Individualität. Der Reichtum der griechischen Welt besteht nur in einer unendlichen Menge schöner, lieblicher, anmutiger Einzelheiten, in dieser Heiterkeit in allem Dasein. Das Größte unter den Griechen sind die Individualitäten: diese Virtuosen der Kunst, Poesie, des Gesanges, der Wissenschaft, Rechtschaffenheit, Tugend. Wenn, der Pracht und Erhabenheit, dem Kolossalen der orientalischen Phantasien, der ägyptischen Kunstbauten, der morgenländischen Reiche usf. gegenüber, die griechischen Heiterkeiten (schönen Götter, Statuen, Tempel) wie ihre Ernsthaftigkeiten (Institutionen und Taten) schon als kleinliche Kinderspiele erscheinen können, so ist der Gedanke, der hier aufblüht, es noch mehr, der diesen Reichtum der Einzelheiten, so wie die orientalische Größe, in die Enge zieht und auf seine einfache Seele reduziert, die aber in sich der Quellpunkt des Reichtums einer höheren idealen Welt, der Welt des Gedankens wird.
"Aus deinen Leidenschaften, o Mensch", sagte ein Alter, "hast du den Stoff deiner Götter genommen", - wie die Morgenländer (Inder vornehmlich) aus den Naturelementen, Naturkräften, Naturgestaltungen; "aus dem Gedanken", kann man hinzusetzen, "nimmst du das Element und den Stoff zu Gott". Hier ist der Gedanke der Boden, aus dem Gott hervorgeht. Es ist nicht der anfangende Gedanke, der die Grundlage ausmacht, aus dem die ganze Bildung zu begreifen ist. Im Gegenteil. So erscheint der Gedanke als ganz arm, höchst abstrakt und von geringem Inhalt gegen den Inhalt, den das Orientalische seinem Gegenstande gibt. Der Anfang ist selbst, als unmittelbarer, Anfang in der Form der Natürlichkeit, der Unmittelbarkeit selbst. Dies teilt er mit dem Orientalischen selbst. Indem er aber den Inhalt des Orients auf ganz arme Bestimmungen reduziert, so sind für uns diese Gedanken kaum zu beachten, da sie noch nicht als Gedanken und in der Form und Bestimmung des Gedankens, sondern der Natürlichkeit vorhanden sind. Also Gedanke ist das Absolute, aber nicht als Gedanke. Wir haben nämlich immer zweierlei zu unterscheiden: das Allgemeine oder den Begriff und dann die Realität dieses Allgemeinen, da es denn darauf ankommt, ob die Realität selber Gedanke oder Natürliches ist. Indem nun zuerst die Realität noch die Form der Unmittelbarkeit hat und nur der Gedanke an sich ist, so liegt darin der Grund, daß wir bei den Griechen mit der Naturphilosophie der ionischen Schule anfangen.
Was den äußerlichen historischen Zustand Griechenlands zu dieser Zeit betrifft, so fällt dieser Anfang der griechischen Philosophie ins sechste Jahrhundert vor Christi Geburt, zu den Zeiten des Kyros, in die Epoche des Untergangs der ionischen Freistaaten in Kleinasien. Indem diese schöne Welt, die sich für sich zu hoher Bildung ausgebildet hatte, zugrunde ging, trat die Philosophie auf. Krösus und die Lydier hatten zuerst die ionische Freiheit in Gefahr gebracht; später erst zerstörte die persische Herrschaft sie ganz, so daß die meisten Bewohner andere Sitze suchten und Kolonien stifteten, besonders im Abendlande. Zu gleicher Zeit mit diesem Untergang der ionischen Städte hatte das andere Griechenland aufgehört, unter seinen alten Fürstenhäusern zu stehen. Die Pelopiden und die anderen, größtenteils fremden Königsstämme waren untergegangen. Griechenland war in vielfache Berührung nach außen gekommen, teils suchten die Griechen in sich selbst nach einem gesellschaftlichen Bande. Das patriarchalische Leben war vorbei; es trat in vielen Staaten das Bedürfnis zu gesetzlichen Bestimmungen und Einrichtungen, sich frei zu konstituieren, ein. Wir sehen viele Individuen auftreten, die nicht mehr durch ihren Stamm Herrscher ihrer Mitbürger waren, sondern durch Talent, Phantasie, Wissenschaft ausgezeichnet und verehrt. Solche Individuen sind in verschiedene Verhältnisse zu ihren Mitbürgern gekommen. Sie sind teils Berater gewesen - der gute Rat wurde häufig auch nicht befolgt-, teils sind sie von ihren Mitbürgern gehaßt und verachtet worden: diese Männer zogen sich vom öffentlichen Wesen zurück. Andere sind gewaltsame, wenn auch nicht grausame Beherrscher ihrer Mitbürger geworden, andere endlich Gesetzgeber der Freiheit gewesen.
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