|
1. Dialektik 1 / 2 / 3 / 4
Das formelle Philosophieren vermag die Dialektik nicht anders zu betrachten, als daß sie eine Kunst sei, das Vorgestellte oder auch die Begriffe zu verwirren, das Nichts derselben aufzuzeigen, so daß ihr Resultat nur negativ ist. Diese Dialektik sehen wir bei Platon häufig, teils in den mehr eigentlich sokratischen, moralischen Dialogen, teils auch in den vielen Dialogen, welche sich auf die Vorstellung der Sophisten von der Wissenschaft beziehen. Aber der Begriff der wahrhaften Dialektik ist, daß sie die notwendige Bewegung der reinen Begriffe aufzeigt, nicht als ob sie dieselben dadurch in Nichts auflöste, sondern eben das Resultat ist, daß sie diese Bewegung sind und (das Resultat einfach ausgedrückt) das Allgemeine eben die Einheit solcher entgegengesetzten Begriffe. Das vollkommene Bewußtsein über diese Natur der Dialektik finden wir nun zwar nicht bei Platon, aber sie selbst, nämlich das absolute Wesen auf diese Weise in reinen Begriffen erkannt, und die Darstellung der Bewegung dieser Begriffe.
Was das Studium der Platonischen Dialektik erschwert, ist diese Entwicklung und das Aufzeigen des Allgemeinen aus den Vorstellungen. Dieser Anfang, der das Erkennen zu erleichtern scheint, macht wieder die Schwierigkeit größer, da er in ein Feld hineinzieht, worin ganz anderes gilt als in der Vernunft, und dies Feld gegenwärtig macht, dahingegen, wenn in den reinen Begriffen allein fortgegangen und sich bewegt wird, gar nicht an jenes erinnert wird. Allein gerade dadurch gewinnen die Begriffe auch größere Wahrheit. Denn die rein logische Bewegung scheint uns sonst leicht für sich zu sein, ein eigenes Land, welches ein anderes neben ihm hat, das ebenso auch gilt. Aber indem sie dort zusammengebracht werden, so erscheint das Spekulative erst in seiner Wahrheit, daß es nämlich die einzige Wahrheit ist, - die Verwandlung des sinnlichen Meinens in das Denken.
Es ist schon früher bei Sokrates bemerkt, daß zum Teil das Interesse der Sokratischen Bildung war, zunächst das Allgemeine im Menschen zum Bewußtsein zu bringen. Dies können wir von hier aus als abgetan ansehen und nur bemerken, daß eine Menge von Dialogen des Platon bloß darauf gehen, eine allgemeine Vorstellung zum Bewußtsein zu bringen, von der wir weiter keine Mühe haben; so erregt die Weitläufigkeit des Platon oft Überdruß. .
In unserem Bewußtsein ist zunächst das Einzelne, das unmittelbar Einzelne, das sinnlich Reale, oder es sind auch Verstandesbestimmungen, die uns als ein Letztes, Wahrhaftes gelten. Wir nehmen so das Äußerliche, Sinnliche, Reale im Gegensatz zum Ideellen. Dies ist aber das Allerrealste, das allein Reale; und daß es das einzig Reale ist, ist die Einsicht Platons: Das Allgemeine ist das Ideelle, das Wahre ist das Allgemeine, der Gedanke bestimmt gegen das Sinnliche. Der Inhalt vieler Dialoge ist, zu zeigen, daß das, was als Einzelnes, Vieles ist, nicht das Wahrhafte sei: man muß im Einzelnen nur das Allgemeine betrachten. Das Allgemeine ist zunächst unbestimmt, es ist die Abstraktion und ist als solche nicht konkret in sich; aber es kommt wesentlich auf die weitere Bestimmung des Allgemeinen in sich an. Dieses Allgemeine hat nun Platon die Idee (ειδος) genannt, was wir zunächst Gattung, Art übersetzen; und die Idee ist auch allerdings die Gattung, die Art, die aber mehr durch den Gedanken gefaßt ist, mehr für den Gedanken ist. Man muß deshalb aber nicht unter Idee etwas Transzendentales, weit Hinausliegendes sich denken; ειδος ist nicht in der Vorstellung substantiiert, isoliert, sondern die Gattung, das Genus. Idee ist uns geläufiger unter dem Namen des Allgemeinen. Das Schöne, das Wahre, Gute für sich selbst ist Gattung. Wenn freilich unser Verstand meint, Gattung sei nur dies, daß das Äußerliche für uns zum Merkmal, zur Bequemlichkeit zusammengefaßt sei - sie sei ein Zusammenfassen von gleichen Bestimmungen, von mehreren Einzelnen, gemacht durch unsere Reflexion -, so haben wir allerdings das Allgemeine in ganz äußerer Form. Das Tier ist Gattung, es ist lebendig; dies ist seine Gattung, die Lebendigkeit ist sein Substantielles, Wahres, Reelles; nimmt man dem Tier das Leben, so ist es nichts.
Das Bestreben Platons war nun, diesem Allgemeinen eine Bestimmung zu geben. Das nächste ist die Einsieht, daß das Sinnliche, das unmittelbar Seiende, die Dinge, die uns erscheinen, nichts Wahres sind, weil sie sich verändern, durch Anderes bestimmt werden, nicht durch sich selbst. Dies ist eine Hauptseite, von der Platon oft ausgeht. Das Sinnliche, Beschränkte, Endliche ist das, was nur ist im Verhältnis zu einem Anderen, nur relativ ist; dies ist nichts Wahres im objektiven Sinn, wenn wir auch ganz wahre Vorstellungen davon haben. Es ist an ihm selbst nicht wahr; es ist sowohl es selbst als das Andere, das auch als Seiendes gilt; es ist so der Widerspruch und der unaufgelöste Widerspruch; es ist, und das Andere hat Macht in ihm. Gegen diese Form des Endlichen ist die Dialektik des Platon besonders gerichtet. Es ist schon früher erinnert, daß die Platonische Dialektik den Zweck hat, die endlichen Vorstellungen der Menschen zu verwirren und aufzulösen, um das Bedürfnis der Wissenschaft, diese Richtung auf das, was ist, in ihrem Bewußtsein hervorzubringen. Viele Dialoge des Platon haben diesen Zweck, und sie enden ohne einen affirmativen Inhalt. Ein Inhalt, den er sehr oft behandelt, ist, daß er von der Tugend, Wissenschaft aufzeigt, daß nur eine Tugend, nur eins das Wahre ist; er macht dann so das allgemeine Gute hervorgehen aus den besonderen Tugenden. Die Dialektik hat insofern das Interesse, hat die Wirkung, das Besondere zu konfundieren; und dies geschieht dadurch, daß aufgezeigt wird seine Endlichkeit, die Negation, die in ihm vorhanden ist, daß es nicht in der Tat ist, was es ist, sondern in sein Gegenteil übergeht, daß es eine Grenze hat, eine Negation seiner, die ihm wesentlich ist. Wird diese aufgezeigt, festgehalten, so vergeht es, ist ein Anderes als das, für welches es angenommen wird. Diese Dialektik ist die Bewegung des Gedankens; sie ist wesentlich auf äußerliche Weise, für das reflektierende Bewußtsein nötig, um das Allgemeine, was unsterblich ist, an und für sich ist, unveränderlich ist, hervorgehen zu lassen. Die Dialektik, um das Besondere aufzulösen und so das Allgemeine zu produzieren, ist noch nicht die wahrhafte Dialektik, noch nicht in ihrer wahrhaften Richtung; es ist eine Dialektik, die Platon gemeinschaftlich hat mit den Sophisten, die es sehr gut verstanden haben, das Besondere aufzulösen.
Die weitere Dialektik hat dann die Bestimmung, das Allgemeine, das durch die Verwirrung des Besonderen hervorgeht, in ihm selbst zu bestimmen und in ihm die Gegensätze aufzulösen, so daß diese Auflösung des Widerspruchs das Affirmative ist. So ist das Allgemeine bestimmt als das, welches die Widersprüche, die Gegensätze in sich auflöst, in sich aufgelöst hat, mithin als das Konkrete, als das in sich Konkrete. Die Dialektik in dieser höheren Bestimmung ist die eigentlich Platonische. So ist die Dialektik als spekulativ, nicht mit einem negativen Resultat endigend; sondern sie zeigt die Vereinigung der Gegensätze auf, die sich vernichtet haben. Hier fängt das für den Verstand Schwierige an. Auch Platon ist selbst noch auf räsonierende Weise dialektisch; die Form der Methode ist noch nicht rein für sich ausgebildet. Seine Dialektik ist oft bloß räsonierend, von einzelnen Gesichtspunkten ausgehend; oft hat sie nur ein negatives Resultat, oft ist sie ohne Resultat. Andererseits ist Platon selbst gegen diese nur räsonierende Dialektik gerichtet, aber man sieht, daß es nicht ohne Schwierigkeit ist; es macht ihm Mühe, den Unterschied gehörig hervorzuheben.
Was nun die spekulative Dialektik des Platon anbetrifft, so ist dies, was bei ihm anfängt, das Interessanteste, aber auch das Schwierigste in seinen Werken, - so daß man es gewöhnlich nicht kennenlernt, indem man Platonische Schriften studiert. Das Wichtigste in der Platonischen Philosophie ist bei Tennemann gerade gar nicht aufgefaßt, - einiges als dürre ontologische Bestimmungen zusammengetragen. Es ist geistlos, zu sehen beim Platon, ob was für sie abfällt.
Was sind nun dies für Gedanken, auf die es ankommt? Was sind die reinen Gedanken? Denn die διάνοια unterscheidet Platon davon. Man kann über vieles Gedanken haben, wenn man übrigens Gedanken hat. So meint es Platon nicht. Die wahrhaft spekulative Größe Platons, das, wodurch er Epoche macht in der Geschichte der Philosophie und damit in der Weltgeschichte überhaupt, ist die nähere Bestimmung der Idee, - eine Erkenntnis, welche denn einige Jahrhunderte später überhaupt das Grundelement in der Gärung der Weltgeschichte und der neuen Gestaltung des menschlichen Geistes ausmacht.
Diese nähere Bestimmung kann aus dem Vorhergehenden so gefaßt werden, daß Platon α) das Absolute gefaßt hat als das Sein des Parmenides, aber als das Allgemeine identisch mit dem Nichts, wie Heraklit sagt: das Sein ist sowenig als das Nichts, - dies Werden in einem; β) die pythagoreische Dreiheit (in Zahlbestimmungen) in Gedanken ausgedrückt hat, überhaupt das Absolute als Einheit des Seins und Nichtseins, Einen und Vielen gefaßt hat. Platon ist Vereinigung der vorhergehenden Prinzipien: α) Sein, aber als Allgemeines, Gutes, Wahres, Schönes, bestimmt als Gattung, Zweck, d. h. über das Besondere, Mannigfaltige herrschend, es durchdringend, produzierend; - diese selbstproduzierende Tätigkeit ist noch nicht entwickelt, Platon verfällt oft in äußerliche Zweckmäßigkeit; β) Bestimmtheit, Unterschied, pythagoreische Zahlen; γ) Heraklits Veränderung und eleatische Dialektik: letztere äußerliches Tun des Subjekts, den Widerspruch zu zeigen, - jetzt objektive Dialektik (Heraklit), Veränderung, Übergehen der Dinge an ihnen selbst, d. i. der Ideen, d. i. hier ihrer Kategorien, nicht die äußerliche Veränderlichkeit, sondern inneres Übergehen aus und durch sich selbst, δ) Sokrates' Denken, das Sokrates nur zum Behuf der moralischen Reflexion-in-sich des Subjekts aufgegeben, als objektiv, - die Idee ist Allgemeines, Gedanke, und ist. Die vorhergehenden Philosophien verschwinden, nicht weil sie widerlegt sind, sondern in ihm.
Platons Untersuchung versiert ganz im reinen Gedanken; und die reinen Gedanken an und für sich betrachten, heißt Dialektik >>>
Platon Politeia
Das Höhlengleichnis. Beschreibung der Lage der Gefangenen >>>
|
|
|