2. Leukipp und Demokrit Demokrit >>>
Interessanter sind Leukipp und Demokrit; sie setzen die eleatische Schule fort. Diese beiden Philosophen gehören demselben philosophischen Systeme; sie sind in Ansehung ihrer philosophischen Gedanken zusammenzunehmen und so zu betrachten. Leukipp ist der ältere. Demokrit war Schüler und Freund Leukipps1) ; er vervollkommnete das, was jener angefangen; aber was ihm hierin eigentümlich angehört, ist schwerer zu unterscheiden, geschichtlich nicht nachzuweisen.
Bei Empedokles sehen wir Bestimmtheit der Prinzipien hervortreten, Scheidung der Prinzipien. Daß der Unterschied zum Bewußtsein kommt, ist ein wesentliches Moment; aber die Prinzipien haben hier teils den Charakter von physischem Sein, teils zwar von ideellem Sein, aber diese Form ist noch nicht Gedankenform. Dagegen sehen wir bei Leukipp und Demokrit ideellere Prinzipien - das Atome und das Nichts - und ein näheres Eindringen der Gedankenbestimmung in das Gegenständliche - den Anfang einer Metaphysik der Körper - oder die reinen Begriffe die Bedeutung von Körperlichkeit erhalten, den Gedanken in gegenständliche Form übergehen. Die Lehre ist im Ganzen unausgebildet und kann keine Befriedigung geben.
Von den Lebensumständen des Leukipp ist durchaus nichts Näheres bekannt, nicht einmal, was er für ein Landsmann gewesen. Einige machen ihn zu einem Eleaten, andere zu einem Abderiten (weil er mit Demokrit zusammengewesen; Abdera liegt in Thrakien am Archipelagos) oder Melier (Melos ist eine Insel nicht weit von der peloponnesischen Küste) oder auch, wie Simplicius2) , zu einem Milesier. Daß er ein Zuhörer und Freund Zenons gewesen, wird bestimmt angegeben; doch scheint er fast gleichzeitig mit ihm gewesen zu sein, so wie auch mit Heraklit.
Leukipp ist der Urheber des berüchtigten atomistischen Systems, das, in neueren Zeiten wiedererweckt, als das Prinzip vernünftiger Naturforschung gegolten hat. Nehmen wir dies System für sich, so ist es freilich dürftig und nicht viel darin zu suchen. Allein dies muß dem Leukipp als großes Verdienst zugeschrieben werden, daß er, wie es in unserer gemeinen Physik ausgedrückt wird, die allgemeinen und sinnlichen Eigenschaften der Körper unterschied. Die allgemeine Eigenschaft heißt spekulativ, daß er das Körperliche durch den Begriff oder das Wesen des Körpers in der Tat allgemein bestimmte; Leukipp faßte die Bestimmtheit des Seins nicht auf jene oberflächliche Weise, sondern auf spekulative. Wenn gesagt wird, der Körper hat diese allgemeine Eigenschaft, z. B. Gestalt, Undurchdringlichkeit, Schwere, so stellt man sich vor, die unbestimmte Vorstellung "Körper" sei das Wesen und sein Wesen etwas anderes als diese Eigenschaften. Aber spekulativ ist das Wesen eben die allgemeinen Bestimmungen, oder sie sind der abstrakte Inhalt und die Realität des Wesens. Dem Körper als solchem bleibt dort nichts für das Wesen als die reine Einzelheit, - dies die Bestimmung des Wesens. Aber er ist Einheit Entgegengesetzter, und die Einheit als Einheit dieser Prädikate macht sein Wesen aus, oder sie sind Wesenheiten, - die allgemeinen Begriffe sind Wesen, oder sie sind an sich seiende.
Erinnern wir uns, daß wir in der eleatischen Philosophie das Sein und Nichtsein als Gegensatz sahen: Nur das Sein ist, das Nichtsein ist nicht. Auf die Seite des Nichtseins fällt alles Negative überhaupt, Bewegung, Veränderung, Denken usf. - lauter Bestimmungen, die aufgehoben werden, indem nur das Sein ist. Sein ist noch nicht die in sich zurückkehrende und zurückgekehrte Einheit, wie Heraklits Bewegung und das Allgemeine. Von der Seite, daß in die sinnliche unmittelbare Wahrnehmung Unterschied, Veränderung, Bewegung fällt usf., kann gesagt werden, daß die Behauptung, nur das Sein sei, dem Augenscheine ebenso widerspricht als dem Gedanken. Denn dies Nichts ist, das die Eleaten aufhoben; sie haben diese zwei Momente, beide haben Gleichgültigkeit. Oder in der Heraklitischen Idee ist Sein und Nichtsein dasselbe. Dies erhellt, wenn wir aus dieser Einheit wieder trennen die Bedeutung: Das Sein ist, aber das Nichtsein, da es eins mit dem Sein, ist ebensowohl; oder Sein ist sowohl Prädikat des Seins als des Nichtseins. Dies spricht Leukipp aus; was in Wahrheit bei den Eleaten vorhanden war, spricht Leukipp als seiend aus.
Das Sein aber und Nichtsein, beide mit der Bestimmung eines Gegenständlichen oder, wie sie für die sinnliche Anschauung sind, ausgesprochen, so sind sie der Gegensatz des Vollen und Leeren (το πλῃϱες ϰαὶ τὸ ϰενόν). Das Leere ist das als seiend gesetzte Nichts; das Volle aber, ihm gegenüber, das als Gegenstand (Realität) überhaupt gesetzte Sein.
Dies sind die Grundwesenheiten und die Erzeugungen von allen3) - Sein-für-Anderes und Reflexion-in-sich, nur sinnlich, nicht an sich bestimmt; denn das Volle ist sich selbst gleich, wie das Leere.
Das Volle ist unbestimmt, hat das Atom zu seinem Prinzip. Das Absolute ist das Atom und das Leere (τα ατομ ϰι τὸ ϰενόν); das ist wichtige Bestimmung, wenn auch dürftig. Das Prinzip ist also, daß das Atome und das Leere das Wahre, das Anundfürsichseiende ist. Nicht die Atome, wie wir sprechen, nicht dies Eins allein, wie wir es uns z. B. in der Luft schwimmend vorstellen, - das Dazwischen ist ebenso notwendig, dies Nichts; und dies haben sie als das Negative, als das Leere bestimmt. Es ist so hier die erste Erscheinung des atomistischen Systems.
Von diesem Prinzipe selbst sind nun näher seine Bestimmungen, Bedeutungen anzugeben.
a) Das Erste ist das Eins, die Bestimmung des Fürsichseins; diese Bestimmung hatten wir noch nicht. Parmenides ist das Sein, abstrakt Allgemeine; Heraklit ist der Prozeß; die Bestimmung des Eins, Fürsichseins kommt dem Leukipp zu. Parmenides sagt, das Nichts ist gar nicht; bei Heraklit war Sein und Nichts im Prozeß; Leukipp hat auch das Positive als fürsichseiendes Eins und das Negative als Leeres.
Das Fürsichsein ist eine wesentliche, notwendige Gedankenbestimmung. Das atomistische Prinzip ist nicht vorbei, nach dieser Seite muß es immer sein. Das Eins ist jetzt und ist immer und muß in jeder logischen Philosophie als ein wesentliches Moment vorkommen4) , nicht aber als Letztes. Die konkretere Bestimmung des Eins, der Einheit, des Seins ist nun die, daß das Eins das Fürsichsein ist; dies ist Sein, einfache Beziehung auf sich selbst, als Sein. Aber es ist wichtig, daß das Fürsichsein auch reicher bestimmt ist; es ist Beziehung auf sich durch Negation des Andersseins. Wenn ich sage, ich bin für mich, so bin ich nicht nur, sondern negiere in mir alles andere, schließe es von mir ab, sofern es als äußerlich erscheint. Es ist die Negation des Andersseins, - dieses ist Negation gegen mich. So ist das Fürsichsein Negation der Negation, und diese ist, wie ich es nenne, die absolute Negativität. Ich bin für mich, da negiere ich das Anderssein, das Negative; und diese Negation der Negation ist also Affirmation. Diese Beziehung auf mich im Fürsichsein ist so affirmativ, ist Sein, das ebensosehr Resultat ist, vermittelt ist durch ein Anderes, - aber durch Negation des Anderen; Vermittlung ist darin enthalten, aber eine Vermittlung, die ebensosehr aufgehoben ist.
Das Fürsichsein ist ein großes Prinzip. Das Werden ist nur das Umschlagen von Sein in Nichts und von Nichts in Sein, wo jedes negiert ist; aber daß gesetzt ist, daß beide seien, einfach bei sich selbst, ist das Prinzip des Fürsichseins, was bei Leukipp zum Bewußtsein, zur absoluten Bestimmung geworden ist. Es ist der Fortgang vom Sein, Werden. Im Logischen kommt dann zwar zuerst das Dasein.5) Dies ist aber das Erscheinende, der Schein; es gehört der Sphäre der Erscheinung an und kann so nicht Prinzip der Philosophie werden. Die Entwicklung der Philosophie in der Geschichte muß entsprechen der Entwicklung der logischen Philosophie; aber es muß in dieser Stellen geben, die in der Entwicklung in der Geschichte wegfallen. Wollte man z. B. das Dasein zum Prinzip machen, so wäre es das, was wir im Bewußtsein haben: es sind Dinge, diese sind relativ, sie sind da, sind endlich und haben eine Relation zueinander; es ist dies die Kategorie unseres gedankenlosen Bewußtseins.
In Leukipp sehen wir nun jenes Prinzip; dies ist die Hauptsache. Bei Leukipp ist das Eins noch das abstrakte Eins. Das Prinzip ist zwar noch sehr abstrakt, obgleich es bestrebt ist, sich konkret zu machen; aber hierbei geht es dann noch sehr dürftig zu. Die wesentliche Bestimmung ist das Eins gegenüber der Einheit, dem Sein; in anderer Form die Einzelheit (das Atom ist das Individuelle, Unteilbare, die Bestimmung der Subjektivität), - das Allgemeine gegenüber der Individualität, der Subjektivität. Hierum handelt es sich in allen Dingen; es sind dies die großen Bestimmungen, und man weiß erst, was man an diesen dürftigen Bestimmungen hat, wenn man auch im Konkreten erkennt, daß sie auch da die Hauptsache sind. Z. B. in der Freiheit, dem Recht, Gesetz und dem Willen handelt es sich nur um diesen Gegensatz der Allgemeinheit und Einzelheit. Der Geist ist auch Atom, Eins; aber, als Eins in sich, unendlich voll. WEITER>>>
1) M: Aristoteles, Metaphysik I, 4
2) M: Zu Aristoteles, Physik (7)
3) M: Aristoteles, Metaphysik I, 4
4) M: vgl. Logik, Buch I, Abschnitt 2, Kapitel 3
5) M: vgl. Logik, Buch I, Abschnitt 1, Kapitel 2
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