c. William Occam
Der Gegensatz zwischen Idealisten und Realisten ist zwar schon früh aufgekommen, aber erst später ausgebildet und aufs Äußerste getrieben, besonders durch den Franziskaner Wilhelm Occam aus dem Dorfe Occam in der Grafschaft Surrey in England, mit dem Beinamen Doctor invincibilis, dessen Blüte in den Anfang des 14. Jahrhunderts fällt. Seit Occam erregte der Streit allgemeines Interesse. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Er ist höchst berühmt durch die Gewandtheit, die logischen Waffen zu handhaben: scharfsinnig in Unterscheidungen, fruchtbar, Gründe und Gegengründe zu erfinden usf. Er hat nun nach Abaelard wieder diese Frage zur Tagesordnung gebracht, war ein Hauptverfechter des Nominalismus, der bisher nur einzelne Freunde(Roscelin, Abaelard) gehabt. Seine Schüler hießen Occamisten, die Franziskaner waren Occamisten und die Dominikaner, nach Thomas von Aquino, Thomisten. Das Verhältnis der Orden und der Politik schlich sich ein. Occam (und sein Orden) hat die Ansprüche der Fürsten, des Königs von Frankreich und des Kaisers von Deutschland Ludwig von Bayern, 1322 auf einem Konvent seines Ordens und sonst, gegen die Anmaßungen des Papstes auf das stärkste verteidigt. Wilhelm sagte unter anderem zum Kaiser: Tu me defendas gladio, ego te defendam calamo. Daher ist der Gegensatz jenes Ordens mit den Dominikanern auch in politischer Rücksicht von hoher Wichtigkeit. Er wurde 1328 in den Bann getan und starb 1343 zu München.
Es fragte sich nämlich (in einer Schrift von Occam), "ob, was unmittelbar und zunächst durch das Allgemeine und Gleichnamige bezeichnet wird, eine wahre Sache außer der Seele, ein, dem es gemeinschaftlich und gleichnamig, Innerliches und Essentiales ist, realiter von ihm unterschieden."1) Die Bestimmung der Realisten, welche dies behaupteten, wird so angegeben: "Es ist eine Meinung", sagt Occam, "daß jegliches Allgemeine, Gleichnamige eine realiter außer der Seele existierende Sache ist im Jeglichen und Einzelnen und daß das Sein (Essenz) eines jeglichen Einzelnen real unterschieden ist von jedem Einzelnen" (von seiner Individualität) "und von jedem Allgemeinen; so daß der allgemeine Mensch eine wahre Sache ist außer der Seele, die realiter in jeglichem Menschen existiert, unterschieden von Jeglichem, vom allgemeinen Lebendigen und von der allgemeinen Substanz und so von allen Gattungen und Arten, sowohl den subalternen als den nicht subalternen." Das Gleichnamige sei nicht mit dem Selbst, dem letzten Punkt der Subjektivität identisch. Der Mensch ist, ist Lebendiges usw.; Menschheit, Vernunft, Sein, Leben sind Prädikate, Allgemeine. Alle diese werden vorgestellt als für sich im Individuum existierend: die Gattungen sowohl als die Arten, subalternen und nicht; jene sind z. B. Farbe usw., diese Essenz usw. "So viel allgemeine Prädikabilien" (z. B. Qualität), "so viele sind im einzelnen Dinge real verschiedene Sachen, deren jede realiter von der anderen und von jenem Einzelnen unterschieden ist", und doch bleibt jede univocum; "alle jene Sachen werden in sich keineswegs vervielfacht, sosehr auch die Einzelnen vervielfältigt werden, die in jedem Individuum derselben Art sind."2) Das ist die härteste Vorstellung der Selbständigkeit, Absonderung jeder allgemeinen Bestimmung.
Occam widerlegt dies. Gedanken, Vorstellungen, Begriffe, alles ist res. Occam sagt ferner: "Die reale Wissenschaft unterscheidet sich von der rationalen nicht darin, daß jene auf die Dinge gehe, so daß die Dinge selbst die erkannten Sätze oder deren Teile wären, diese nicht so auf die Dinge gehe; sondern darin, daß die Teile oder Termini der erkannten Sätze in der realen Wissenschaft an die Stelle der Dinge, in der rationalen aber an die Stelle anderer Termini treten."3)
Nach Scotus "existiert in der außer der Seele seienden Sache dieselbe Natur realiter mit der zu einem bestimmten Individuum einschränkenden Differenz, nur formal unterschieden und an sich weder allgemein noch individuell, sondern unvollständig allgemein in der Sache und vollständig allgemein im Verstande".4)
Occam stellt andere Meinungen entgegen, entscheidet sich nicht gerade, doch bringt er am meisten für die Meinung vor, "daß das Allgemeine nicht etwas Reales ist, das ein subjektives Sein für sich weder in der Seele noch im Dinge habe. Es ist ein Gebildetes, das aber doch objektive Realität in der Seele hat"; es entspreche demselben aber doch keine Gegenständlichkeit. "Der Verstand, der eine Sache außerhalb der Seele wahrnimmt, bildet sich ähnliche Sache im Geiste nach, so daß, wenn er produktive Kraft hätte, er sie als numerisches Eins heraussetzen würde. - Wem das nicht gefällt, daß diese Vorstellung gemacht genannt werde, so kann man sagen, die Vorstellung sei ein Konzept, das in dem Geiste existiere als Zeichen eines Dinges außerhalb der Seele."5) - Das Prinzip der Individuation, das den Scholastikern soviel zu schaffen macht, wurde dabei auf die Seite geschoben. - Dies ist die Hauptfrage bei den Scholastikern, die für sich wichtig genug ist.
Die Bestimmung des Allgemeinen, die von den Scholastikern herkommt, ist höchst wichtig, bezeichnend für die Bildung der neueren Welt. Das Allgemeine ist das Eine, aber nicht abstrakt, sondern vorgestellt, gedacht als alles in sich befassend. Aristoteles stellte den Schluß auf: was dem A zukommt (ϰατηγοϱειται) usf., und die Kategorien (ἃ ϰατηγοϱειται των ὄντων); Plotin, besonders Proklos das unmitteilbare Eine; es wird erkannt aus seinen Ordnungen (τάξεων). "Von dem, was von ihnen abhängt (ἐξημμένων, von ἐξάπτομαι), werden die Götter genannt; deswegen ihre Hypostasen, die ihre Bestimmtheit ausmachen, die unerkennbar sind (ἄγνωστοι), ist es möglich, aus diesem (ἐξημμένων) zu erkennen. Denn unaussprechbar ist für sich alles Göttliche und unerkennbar, als dem unaussprechbaren Einen eingewachsen (τῳ ἑνὶ τῳ ἀϱϱήτῳ συμϕυές). Aus den Teilhabenden aber, aus der Veränderung geschieht es, derselben Eigentümlichkeiten zu erkennen. Daher sind Gedachte (νοητοί), die das wahrhaft Seiende (τὸ ὄντως ὄν) herausstrahlen. Deswegen ist das wahrhaft Seiende das gedachte Göttliche (νοητὸν ϑειον) und ist das Unmitteilbare (ἀμέϑεϰτον), vor dem νους Verwirklichte."6) Die christliche Religion ist die offenbare: Gott ist das Dreieinige, also das Offenbare, nicht die Triaden und das Eine unterschieden; sondern eben das Eine ist das Dreifache selbst, d. h. für Anderes seiend, in sich relativ. Das Allgemeine ist das πϱότεϱον, πϱό, πϱόαγειν, bei Platon und Aristoteles das Ganze, ὅλον, παν, das πάντα ἕν.
Occam fand viele Anhänger. Der Streit zwischen Nominalisten und Realisten entbrannte auf das heftigste; und man zeigt noch ein Katheder, das von dem Platze des Opponenten durch eine Bretterwand geschieden war, damit sich die Disputierenden nicht in die Haare geraten möchten. - Von nun an wurde die Theologie in zwei Gestalten gelehrt (theologia scholastica secundum utramque partem). Buridan >>>
1) Occam, in librum I sententiarum, Dist. II, Qu. 4
2) Occam, in librum I sententiarum, Dist. II, Qu. 4
3) Occam, in librum I sententiarum, Dist. II, Qu. 4
4) Occam, in librum I sententiarum, Dist. II, Qu. 6 (Tennemann, Bd. VIII, S. 852-853)
5) Occam, in librum I sententiarum, Dist. II, Qu. 8
6) Proklos, Institutio theologica, c. 162
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