Noch ist Anaximenes übrig, der zwischen der 55. und 58. Ol. (560-548 v. Chr.) erscheint, ebenfalls ein Milesier, Zeitgenosse und Freund des Anaximander. Er hat wenig Ausgezeichnetes, und es ist sehr wenig von ihm bekannt. Gedankenlos und widersprechend führt Diogenes Laertios (II, § 3) an, "er sei nach Apollodoros in der dreiundsechzigsten Olympiade geboren, und gestorben im Jahre, wo Sardes erobert worden" (von Kyros, Ol. 58). "Er hat sich der schlichten und ungekünstelten ionischen Mundart bedient."
An die Stelle der unbestimmten Materie des Anaximander setzte er wieder ein bestimmtes Naturelement (das Absolute in einer realen Form), - statt des Thaletischen Wassers die Luft. Er fand wohl ein sinnliches Sein notwendig für die Materie; und die Luft hat zugleich den Vorteil, diese größere Formlosigkeit zu haben. Sie ist weniger Körper als das Wasser; wir sehen sie nicht, fühlen erst ihre Bewegung. Aus ihr trete alles hervor, und in sie löse alles sich wieder auf.1) Er bestimmte sie ebenso als unendlich.2) Diogenes Laertios drückt sich aus, das Prinzip sei die Luft und das Unendliche3) , als ob es zwei Prinzipien wären. Allein Simplicius4) sagt ausdrücklich, "daß ihm das Urwesen eine und eine unendliche Natur gewesen, wie dem Anaximander, nur nicht wie diesem eine unbestimmte, sondern eine bestimmte, nämlich die Luft", die er aber als etwas Seelenhaftes gefaßt zu haben scheint. Plutarch bestimmt die Vorstellungsweise des Anaximenes, wie aus der Luft (Äther nannten es Spätere) alles sich erzeuge und in sie auflöse, näher so: "Wie unsere Seele, die Luft ist, uns zusammenhält (συγατει), so hält auch (πειέχει) die ganze Welt ein Geist (πνευμα) und Luft zusammen; Geist und Luft ist gleichbedeutend."
Anaximenes zeigt sehr gut die Natur seines Wesens an der Seele auf; er bezeichnet gleichsam den Übergang der Naturphilosophie in die Philosophie des Bewußtseins oder das Aufgeben der gegenständlichen Weise des Urwesens. Die Natur dieses Urwesens ist vorher auf eine fremdartige, dem Bewußtsein negative Weise bestimmt gewesen; α) sowohl seine Realität, das Wasser oder auch die Luft, β) als das Unendliche ist ein Jenseits des Bewußtseins. Aber wie die Seele (so die Luft) dies allgemeine Medium: eine Menge von Vorstellungen, ohne daß diese Einheit, Kontinuität aufhört, - und ihr Verschwinden und Hervortreten; sie ist ebenso tätig als passiv, aus ihrer Einheit die Vorstellungen auseinanderwerfend und sie aufhebend und in ihrer Unendlichkeit sich selbst gegenwärtig, - negativ positive Bedeutung. Bestimmter ausgesprochen, nicht nur zur Vergleichung, ist diese Natur des Urwesens von dem Schüler des Anaximenes, von Anaxagoras.
Wir lassen diese und gehen zu Pythagoras über. Pythagoras war schon ein Zeitgenosse Anaximanders; aber der Zusammenhang der Entwicklung des Prinzips der physischen Philosophie hat es erfordert, Anaximander und Anaximenes noch mitzunehmen.
Wir sehen, daß sie, wie Aristoteles von ihnen sagt, das Urwesen in eine Weise der Materie setzten: Luft und Wasser; sodann (wenn Anaximanders Materie so zu bestimmen ist) auch ein Wesen feiner als Wasser und gröber als Luft. Heraklit, von dem bald zu sprechen ist, hat es erst als Feuer bestimmt. "Keiner aber", wie Aristoteles bemerkt5) , "die Erde als Prinzip genannt, weil sie als das zusammengesetzteste Element erscheint (δια τὴν μεγαλομέειαν)." Denn sie sieht gleich aus, wie ein Aggregat von vielen Einzelnen. Wasser dagegen ist dies Eine, Durchsichtige; es präsentiert die Gestalt der Einheit mit sich sinnlich, ebenso die Luft, das Feuer, die Materie usf. Das Prinzip soll eins sein, muß also auch Einheit mit sich in sich selbst haben; zeigt es Mannigfaltigkeit wie die Erde, so ist es nicht eins mit sich selbst, sondern vielfach.
Dies ist das, was wir über die Philosophie der älteren Ionier zu sagen haben.6) Das Große dieser armen abstrakten Gedanken ist: α) das Fassen einer allgemeinen Substanz in allem; β) daß sie bildlos, nicht mit Vorstellungen der Sinnlichkeit behaftet.
Das Mangelhafte dieser Philosophien hat niemand besser als Aristoteles erkannt. Er sagt zweierlei in seinem Urteil über diese drei Arten, das Absolute zu bestimmen7) : "Die das Urprinzip als Materie setzen, fehlen mannigfaltig.
α) Sie geben bloß die Elemente des Körperlichen an, nicht des Unkörperlichen, da es doch auch Unkörperliches gibt." Bei Aufnehmen der Natur, deren ihr Wesen Angeben, ist Aufnehmen vollständig zu fordern und das, was sich vorfindet, zu sehen. Das ist empirische Instanz. Aristoteles setzt das Unkörperliche als Art von Dingen entgegen: Das Prinzip jener Philosophen sei nur materiell, das Absolute müsse nicht auf einseitige Weise bestimmt werden. Oder: Sie setzen nicht die Unkörperlichkeit, den Gegenstand als Begriff, - das Materielle dem Immateriellen entgegen. Die Materie ist zwar selbst immateriell - diese Reflexion ins Bewußtsein -, aber sie wissen nicht, daß, was sie aussprechen, ein Wesen des Bewußtseins [ist]. Der erste Mangel also ist, daß das Allgemeine in besonderer Gestalt ausgesprochen wird.
β) Das Zweite, was Aristoteles sagt8) , ist: "Aus diesem allem sieht man, daß die Ursache (das Urwesen) nur in der Form der Materie (εν υλης ειδει) von ihnen ausgesprochen worden ist. Indem sie aber so fortgingen, so bahnte ihnen die Sache selbst weiter den Weg und nötigte sie, weiter nachzuforschen. Denn wenn Vergehen und Werden aus einem oder aus mehreren ist, so entsteht die Frage: wodurch geschieht dies (δια τί τουτο συμβαίνει) und was ist die Ursache hiervon? Denn die Substanz (das Zugrundeliegende, το υποείμενον) macht nicht sich selbst verändern." Nach dem Prinzip der Veränderung fragt man sogleich. "Ich sage, wie weder das Holz noch das Erz selbst Ursache ist ihrer Veränderung, weder macht das Holz ein Bett, noch das Erz eine Statue, sondern etwas anderes ist Ursache der Veränderung. Dies aber suchen heißt das andere Prinzip suchen, welches, wie wir sagen würden, das Prinzip der Bewegung ist."9)
Aristoteles sagt, daß aus der Materie als solcher, dem Wasser als nicht sich selbst bewegend, die Veränderung als solche nicht zu begreifen ist; und er gibt damit an, daß Thales wie die anderen das absolute Wesen nicht weiter bestimmt haben denn als Wasser oder sonst ein formloses Prinzip.
Aristoteles wirft den älteren Philosophen bestimmt vor, daß sie das Prinzip der Bewegung nicht erforscht, ausgesprochen haben. Bewegendes ist also nicht da, ferner Zweck fehlt ganz; überhaupt fehlt die Bestimmung der Tätigkeit im allgemeinen. Aristoteles sagt an der anderen Stelle: "Indem sie die Ursache des Entstehens und Vergehens anzugeben unternehmen, heben sie in der Tat die Ursache der Bewegung auf. Das einfache Wesen zeigen sie nicht als Ursache der Bewegung auf. Indem sie einen einfachen Körper (ausgenommen die Erde) zum Prinzipe machen, begreifen sie nicht die gegenseitige Entstehung und Veränderung des einen aus dem anderen: ich meine Wasser, Luft, Feuer" (bei Heraklit), "Erde." Sie erkannten nicht die Natur der Entstehung. Verdickung und Verdünnung, als quantitativer Unterschied, ist Gedoppeltheit der Form, nicht sie in ihrer Einfachheit. "Diese Entstehung ist als Trennung oder als Vereinigung zu setzen." Wenn überhaupt von Entstehen gesprochen wird, so kommt uns dieser Gegensatz herein, "daß eins früher, das andere später ist" - nicht aber der Zeit nach, sondern dem Begriffe nach. Das eine ist das einfache Allgemeine, das andere das Vielfache, Einzelne; es wird von dem Allgemeinen durch das Besondere zum Einzelnen herabgestiegen. Diese Natur des Entstehens ist der Gang, den sie genommen, - die Bewegung des Begriffs als gegenständliche Weise, die Entstehung und Natur der Bewegung im Sein: das Einzelne ist später, - der Begriff, in ihm selbst in sich zurückgekehrt, Gattung. Allgemein ist Wasser, Luft, Feuer. Am meisten scheint das Feuer zu diesem Elemente zu passen, denn es ist das feinste. "Die es also zum Prinzip machten, drückten sich dieser Natur des Entstehens" (Erkennens, λόγω, daß sie diesen Weg genommen) "am entsprechendsten aus; und ebenso meinten es die übrigen. Denn warum sollte sonst keiner die Erde zum Element gemacht haben, wie dies die Vorstellung des Volkes ist; Hesiod sagt, sie sei das erste Körperliche gewesen, so alt und allgemein ist diese Vorstellung." Sie haben also "das dem Werden nach Spätere" nicht "für das Erste der Natur nach" genommen. Werden ist jener Gang; nur dieser hat sie regiert, ohne ihn wieder aufzuheben oder jenes erste formell Allgemeine als solches zu erkennen und das Dritte, die Totalität, als das Wesen, - Einheit der Materie und Form.
Aristoteles sagt10) , daß sie mehr das Grundprinzip als Materie, Seiendes, die Neueren mehr als Gattung faßten. Das Wesen, das Absolute ist nicht gefaßt als das sich Bestimmende; es ist nur totes Abstraktum.
Wir können die drei Momente verfolgen: α) das Urwesen ist Wasser; β) Anaximanders Unendliches, Beschreibung der Bewegung, einfaches Hervortreten und Zurückkehren in die einfachen allgemeinen Seiten der Form, Verdickung und Verdünnung; γ) die Luft, verglichen mit der Seele.
Es ist erforderlich, daß die Seite der Realität - hier Wasser - zum Begriffe werde; ebenso die Momente der Entzweiung, Verdickung und Verdünnung, nicht dem Begriffe nach entgegengesetzt. Dieser Übergang in Pythagoras, daß die Seite der Realität als ideell gesetzt wird, ist Losreißen des Gedankens von dem Sinnlichen, Trennung des Intelligiblen und des Realen.
1) M: Plutarch, De placitis philosophorum I, 3
2) M: Cicero, De natura deorum I, 10
3) *ουτος αχην αέα ειπε αι το απειον. - Doch kann man auch αχην αι απειον zusammennehmen als Subjekt und αέα als Prädikat des Satzes.
4) M: zu Aristoteles, Physik (I, 6)
5) M: Metaphysik I, 8
6) *Angeführt wird noch Pherekydes, der Lehrer des Pythagoras. Hermias in irrisione gentilium, c. 12 (citante Fabricio ad Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. III, 4, § 30). Diogenes Apolloniates, Hippasos, Archelaos werden auch als ionische Philosophen genannt; wir wissen nichts als ihre Namen, und daß sie einem oder dem anderen Prinzip anhängen.
7) M: Metaphysik I, 8
8) M: Metaphysik I, 3
9) *Diese Kritik ist noch jetzt geltend, wo das Absolute als die eine starre Substanz vorgestellt wird.
10) M: Metaphysik I, 6; III, 3
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