Seneca ist als bestimmter, beschränkter Stoiker bekannt; er kommt auch auf Epikureer zu sprechen. Ein unverdächtiges Zeugnis über Epikurs Moral findet sich bei Seneca. Seneca in seiner Schrift De vita beata (c. XIII) sagt: "Mein Urteil jedoch ist, und ich sage zum Teil gegen viele meiner Landsleute, daß die moralischen Gebote Epikurs ein Heiliges und Richtiges vorschreiben und, wenn man es näher betrachtet, sogar Trauriges. Denn jenes Vergnügen geht auf etwas sehr Geringes und Dürftiges zusammen. Dasselbe Gesetz, was wir für die Tugend, schreibt er fürs Vergnügen vor. Er verlangt, daß es der Natur gehorche; es ist aber sehr wenig Üppigkeit, mit der die Natur sich befriedigt."
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- In Seneca selbst ist mehr Brast und Bombast moralischer Reflexion als wahrhafte Gediegenheit. Einesteils sein Reichtum, seine Pracht der Lebensart ist ihm entgegengesetzt worden - er hatte sich unermeßliche Reichtümer von Nero schenken lassen, andernteils kann man ihm seinen Zögling, den Nero, entgegensetzen: dieser hält eine von Seneca gemachte Rede. Dieses Räsonnement ist glänzend, oft Rederei, wie bei Seneca. Man wird angeregt, aber oft nicht befriedigt. Man kann dies sophistisch nennen; Scharfsinn und redliche Meinung muß man anerkennen. Das Letzte der Überzeugung bleibt aber mangelhaft.
... Bei Seneca finden wir viel Erbauliches, Erweckendes, Bekräftigendes für das Gemüt, geistreiche Antithesen, Rhetorik, Scharfsinnigkeit der Unterscheidung; aber wir empfinden zugleich Kälte, Langeweile über diese moralischen Reden.
... Indem das sittliche Prinzip der Stoiker bei diesem Formalismus bleibt, so bleibt alles Reden derselben darein eingeschlossen. Ihre Gedanken sind eben das beständige Zurückführen des Bewußtseins auf seine Einheit mit sich selbst. Die Kraft des Verschmähens der Existenz ist groß, die Stärke dieses negativen Verhaltens erhaben. Das stoische Prinzip ist ein notwendiges Moment in der Idee des absoluten Bewußtseins; es ist auch eine notwendige Zeiterscheinung. Denn wenn die Realität der Welt verlorengegangen wie in der römischen Welt, der reale Geist, das Leben im abstrakten Allgemeinen verschwunden, muß das Bewußtsein, dessen reale Allgemeinheit zerstört ist, in seine Einzelheit zurückgehen und in seinen Gedanken sich selbst erhalten.
Es liegt hierin die Bestimmung der abstrakten Freiheit, der abstrakten Unabhängigkeit.
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