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Das Kriterium ist eigentlich die Logik Epikurs, die er Kanonik genannt hat; es ist die Bestimmung, Auseinandersetzung der Momente, die die Regel dessen ausmachen, was Wahrheit ist. In Ansehung der Erkenntnis gibt er drei Stufen an, wodurch die ϰϱιτήϱια der Wahrheit bestimmt sein sollen; diese sind die Empfindungen überhaupt und dann die Antizipationen (πϱολήψεις), - in Ansehung des Theoretischen; und dann die Leidenschaften, Triebe und Neigungen, - in Ansehung des Praktischen.5)
a) Nach Epikur hat das Kriterium drei Momente. Die drei Stufen der Erkenntnis sind erstens die Empfindung, zweitens die πϱόληψις, Vorstellung, drittens die Meinung (δόξα).
α) Seite des Äußeren. "Die Empfindung ist alogisch, ohne Grund", - das an und für sich Seiende, nur ein Gegebenes. "Denn sie wird nicht von sich selbst bewegt, noch, von einem Anderen bewegt, kann sie" von dem, was sie ist, "etwas wegnehmen oder dazutun"; sondern sie ist eben, wie sie ist. "Noch kann etwas sie kritisieren oder widerlegen (ἐλέγξαι). Denn weder kann die ähnliche Empfindung die ähnliche beurteilen" (einerlei Arten des Gesichts), "denn sie sind beide von gleicher Kraft", gelten beide gleich viel. Sie für sich muß mithin jede andere Empfindung gelten lassen. "Noch die unähnliche die unähnliche; denn sie gelten jede für etwas Verschiedenes (οὐ των αὐτων ϰϱιτιϰαί)" - Rot und Blau. Das ist richtig, jede ist einzeln. So sind die Empfindungen allerdings, jede ist eine Empfindung für sich; die eine kann nicht eine Regel sein, ein Kritisierendes für eine andere; und die unähnliche hat kein Recht gegen eine andere, denn sie gelten alle für sich. "Noch eine fremde Empfindung die fremde; denn wir geben auf alle acht. Auch das Denken kann die Empfindung nicht kritisieren; denn alles Denken selbst hängt von der Empfindung ab", - sie ist sein Inhalt. Aber die Empfindung kann sich irren. "Die Wahrheit des Empfundenen wird erst dadurch bewährt, daß das Empfinden besteht (τὰ ἐπαισϑήματα ὑϕεστάναι)", - daß es eine feste Grundlage wird, daß es sich konstatiert in der Wiederholung und so fort. "Das Sehen, Hören ist etwas Bleibendes, wie das Schmerzen." Dieses Bleibende, sich Wiederholende ist das Feste, Bestimmte; das ist die Grundlage von allem, was wir für wahr halten. Diese bleibende Empfindung wird nun vorgestellt; und das ist die πϱόληψις. "Deswegen kann denn auch das Unbekannte (τὰ ἄδηλα, das Nichterscheinende, Nichtempfundene) durch das Erscheinende (das Empfinden) bezeichnet werden"; - ein Unbekanntes kann vorgestellt werden nach der Art bekannter Empfindung. Was nicht unmittelbar empfunden wird, davon nachher besonders bei der physischen Wissenschaft. Alle unbekannten, nicht empfindbaren Gedanken sind von den Empfindungen ausgegangen (geworden), sowohl nach der Zufälligkeit ihres Entstehens, daß sie einfallen, als nach dem Verhältnisse, Ähnlichkeit und Verbindung; wobei das Denken auch etwas beiträgt. (Die Einbildungen der Wahnsinnigen oder des Traumes sind ebenfalls wahr, denn sie bewegen; es bewegt aber nicht, was nicht ist). Das Feste ist das Empfinden, und das Unbekannte muß nach der bekannten Empfindung bestimmt, aufgefaßt werden. Jede Empfindung ist für sich, jede ist etwas Festes; und sie ist wahr, insofern sie sich als fest zeigt.6) Wir hören Epikur sprechen, wie man es im gemeinen Leben hört: Was ich sehe, höre, oder die sinnliche Anschauung überhaupt enthält das Seiende; jedes so sinnlich Angeschaute ist für sich. Dies Rot ist dies Rot, Blau ist Blau; es widerlegt, negiert eins das andere nicht: alle gelten nebeneinander, sind gleichgültig; eins gilt wie das andere. Fürs Denken selbst sind diese angeschauten Dinge der Stoff und Inhalt; das Denken bedient sich selbst immer der Bilder. Bei der Verknüpfung dieser Vorstellungen trägt das Denken auch bei; es ist das formelle Verknüpfen derselben.
β) Seite des Innern. "Die Prolepsis ist nun gleichsam der Begriff (das Innere), oder die richtige Meinung oder der Gedanke oder das allgemeine inwohnende Denken; es ist nämlich die Erinnerung dessen, was oft erschienen ist", - das Bild. "Z. B. wenn ich sage, dies ist ein Mensch, so erkenne ich durch die Prolepsis sogleich seine Gestalt, indem die Empfindungen vorangingen." Durch diese Wiederholung wird sie zu einer festen Vorstellung in mir; diese Vorstellungen sind etwas Bestimmtes in uns, und zwar etwas Allgemeines. Freilich haben die Epikureer nicht die Allgemeinheit in der Form des Denkens gebraucht, sondern nur gesagt, sie komme dadurch, daß etwas oft erschienen sei. Dieses wird dann festgehalten durch den Namen, das so in uns entstandene Bild bekommt einen Namen. "Jedes Ding hat durch den ihm zuerst beigelegten Namen seine Evidenz, Enargie, Deutlichkeit."7) Name ist Bestätigung, Setzen der Identität, des Einen. Die Evidenz, die Epikur ἐνάϱγεια nennt, ist eben dies Wiedererkanntwerden des Sinnlichen durch Subsumtion unter die schon im Besitz seienden und durch den Namen befestigten Vorstellungen; die Evidenz einer Vorstellung ist, daß man ein Sinnliches bestätigt als dem Bilde entsprechend. Es ist das der Beifall, den wir bei den Stoikern als eine Zustimmung des Denkens gesehen haben, die einen Inhalt gibt: das Denken erkennt das Ding als das Seinige, nimmt es in sich auf; dies ist jedoch nur formell geblieben. Hier ist auch Einheit der Vorstellung des Gegenstands mit sich selbst als Erinnerung im Bewußtsein, aber die von Sinnlichem ausgeht; das Bild, die Vorstellung ist das Zustimmende zu einer Empfindung. Wiedererkennen des Gegenstandes ist Auffassen; aber nicht als Gedachtes, sondern Vorgestelltes. Auffassen gehört der Erinnerung, dem Gedächtnisse an. Das höchste Ideelle ist der Name. Name ist etwas Allgemeines, gehört dem Denken an, macht das Vielfache einfach; aber so, daß seine Bedeutung und Inhalt das Sinnliche ist und nicht als dies Einfache gelten soll, sondern als Sinnliches. Hierdurch ist statt des Wissens die Meinung begründet.
γ) Die Meinung endlich ist nun nichts anderes als eben jetzt die Beziehung jener allgemeinen Vorstellung (und jenes Bildes), die wir in uns haben, auf einen Gegenstand (auf eine Empfindung oder Anschauung), - das Urteilen. Denn in der πϱόληψις haben wir das antizipiert, was in der Anschauung vorkommt; und danach sprechen wir aus, ob etwas ein Mensch, ein Baum sei oder nicht. "Die Meinung hängt von einem vorhergehenden Enargischen ab, worauf wir etwas beziehen, wenn wir fragen: woher wissen wir, daß dies ein Mensch ist oder nicht? Diese Subsumtion, δόξα oder auch ὑπόληψις, kann entweder wahr oder falsch sein: jenes, wenn die Anschauung durch das Zeugnis (der πϱόληψις) bestätigt wird, oder nicht widersprochen wird; dieses, wenn nicht."8) Die Meinung ist nämlich eine Vorstellung als Anwendung ihrer, als einer schon gehabten, des Typus, auf einen vorstehenden Gegenstand, der dann untersucht wird, ob die Vorstellung von ihm mit ihm übereinstimme. Die Meinung ist wahr, wenn sie bestätigt wird, mit dem Typus übereinstimmt. Die Meinung hat ihr Kriterium an der Empfindung, ob sie sich als dasselbe wiederholt. Dies ist ebenso das ganz Gewöhnliche: Wenn wir eine Vorstellung haben, bedarf es des Zeugnisses, daß wir dies gesehen haben oder jetzt sehen.
Dies sind die drei ganz einfachen Momente. Aus der Empfindung formiert sich ein Bild; Bild ist die Empfindung auf allgemeine Weise; dies subsumiert unter die Prolepsis gibt eine Meinung, eine δόξα. Wir haben Empfindungen, z. B. blau, sauer, süß usf.; dadurch formieren sich allgemeine Vorstellungen, diese haben wir; und wenn uns wieder ein Gegenstand vorkommt, so erkennen wir, daß dies Bild diesem Gegenstande entspricht. Dies ist das ganze Kriterium. Es ist ein ganz trivialer Gang; denn er bleibt stehen bei den ersten Anfängen des sinnlichen Bewußtseins, der Anschauung, der unmittelbaren Anschauung eines Gegenstandes. Die nächste Stufe ist allerdings die, daß die erste Anschauung sich zu einem Bilde formiert, zu einem Allgemeinen, - und dann die Subsumtion des Gegenstandes, der gegenwärtig ist, unter dies allgemeine Bild. Es wird also hier von der äußerlichen Empfindung angefangen; und von diesem Empfinden über Seiendes, Äußerliches werden unterschieden die Affekte, die innerlichen Empfindungen.
b) Die Affekte, die innerlichen Empfindungen geben die Kriterien für das Praktische. Sie sind gedoppelter Art, entweder angenehm oder unangenehm, haben Vergnügen (Befriedigung) und Schmerz; jenes erste ist eigentümlich als dem Empfindenden angehörig, das Positive, der Schmerz aber als ihm fremd, das Negative. Sie sind das Bestimmende des Handelns. Diese Empfindungen sind der Stoff, aus dem sich allgemeine Vorstellungen bilden über das, was mir Schmerz oder Vergnügen macht (sie sind wieder als bleibend πϱολήψεις, die δόξα ist wieder Beziehung der Vorstellung auf die Empfindung); und danach beurteile ich die Gegenstände, die Neigungen, Begierden usf. Diese Meinung ist es, durch welche dann der Entschluß, etwas zu tun oder zu meiden, bestimmt wird.9) Dies macht nun die ganze Kanonik des Epikur aus, - die allgemeine Richtschnur für die Wahrheit. Sie ist so einfach, daß es nichts Einfacheres geben kann, - abstrakt, aber auch sehr trivial; und mehr oder weniger im gewöhnlichen Bewußtsein, welches zu reflektieren anfängt. Es sind gemeine psychologische Vorstellungen; sie sind ganz richtig. Aus den Empfindungen machen wir uns Vorstellungen, als das Allgemeine; dadurch wird es bleibend. Die Vorstellungen werden selbst (bei der δόξα) durch Empfindungen geprüft, ob sie bleibend sind, sich wiederholen. Das ist im Ganzen richtig, aber ganz oberflächlich; es ist der erste Anfang, die Mechanik des Vorstellens in Ansehung der ersten Wahrnehmungen. Es ist über diesen noch eine ganz andere Sphäre, ein Feld, das Bestimmungen in sich selbst enthält; und diese sind die Kriterien jenes von Epikur Angeführten. Jetzt sprechen sogar Skeptiker von Tatsachen des Bewußtseins; dieses Gerede ist gar nicht weiter als diese epikureische Kanonik.
5) Diogenes Laertios X, § 31
6) Diogenes Laertios X, § 31-32
7) Diogenes Laertios X, § 33
8) Diogenes Laertios X, § 33-34
9) Diogenes Laertios X, § 34
(HEGEL, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie / ... / B. Philosophie des Epikur)
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