B. Philosophie des Aristoteles
Hiermit verlassen wir jetzt Platon; man trennt sich ungern von ihm. Indem wir aber zu seinem Schüler Aristoteles übergehen, muß uns noch mehr bangen, weitläufig werden zu müssen; denn er ist eins der reichsten und umfassendsten (tiefsten) wissenschaftlichen Genies gewesen, die je erschienen sind, - ein Mann, dem keine Zeit ein Gleiches an die Seite zu stellen hat. Und indem wir noch einen so großen Umfang seiner Werke besitzen, so wird der Stoff um so ausgedehnter; die Ausführlichkeit, die Aristoteles verdient, kann ich ihm leider nicht gewähren. Wir werden bei Aristoteles uns beschränken müssen auf eine allgemeine Vorstellung von seiner Philosophie (Platon und Aristoteles sind, wenn irgendeiner, Lehrer des Menschengeschlechts zu nennen) und nur besonders bemerken, inwiefern Aristoteles in seiner Philosophie weitergeführt, was das Platonische Prinzip begonnen, sowohl in der Tiefe der Ideen als nach deren Ausdehnung. Aristoteles ist in die ganze Masse und alle Seiten des realen Universums eingedrungen und hat ihren Reichtum und Zerstreuung dem Begriffe unterjocht; und die meisten philosophischen Wissenschaften haben ihm ihre Unterscheidung, ihren Anfang zu verdanken. Indem die Wissenschaft auf diese Weise in eine Reihe von Verstandesbestimmungen bestimmter Begriffe auseinanderfällt, enthält die Aristotelische Philosophie zugleich die tiefsten spekulativen Begriffe. Er ist so umfassend und spekulativ wie keiner. Die allgemeine Ansicht seiner Philosophie erscheint aber nicht als ein sich systematisierendes Ganzes, dessen Ordnung und Zusammenhang ebenfalls dem Begriffe angehörte, sondern die Teile sind empirisch aufgenommen und nebeneinandergestellt; der Teil ist für sich als bestimmter Begriff erkannt, aber er ist nicht die zusammenhängende Bewegung. Und obwohl sein System nicht als in seinen Teilen entwickelt erscheint, sondern die Teile nebeneinanderstehen, so sind sie doch eine Totalität wesentlich spekulativer Philosophie.
Ein Grund, von Aristoteles weitläufig zu sein, liegt darin, daß keinem Philosophen soviel Unrecht getan worden ist durch ganz gedankenlose Traditionen, die sich über seine Philosophie erhalten haben und noch an der Tagesordnung sind, obgleich er lange Jahrhunderte der Lehrer aller Philosophen war. Man schreibt ihm Ansichten zu, die gerade das Entgegengesetzte seiner Philosophie sind. WEITER>>>
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