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B. Zweite Abteilung

1. Locke

Wer diese ganze Manier systematisch vorgestellt hat, ist Locke gewesen, der den Gedanken Bacons weiter ausführte, und wenn Bacon für die Wahrheit an das sinnliche Sein verwies, so zeigte Locke das Allgemeine, den Gedanken überhaupt in dem sinnlichen Sein auf oder zeigte, daß wir das Allgemeine, Wahre aus der Erfahrung haben. So betrachtet, daß der Begriff gegenständliche Wirklichkeit für das Bewußtsein habe, ist dies ein notwendiges Moment der Totalität. Aber wie dieser Gedanke bei Locke erscheint, daß wir das Wahre aus der Erfahrung oder dem sinnlichen Sein, aus der Wahrnehmung nehmen und abziehen, ist es der trivialste, schlechteste Gedanke, - statt Moments so das Wesen des Wahren.

Gegen die Voraussetzung der inneren Unmittelbarkeit der Idee und gegen die Methode, sie in Definitionen und Axiomen vorzutragen, und gegen die absolute Substanz behauptet die Forderung, die Ideen als Resultate darzustellen, und dann die Individualität und das Selbstbewußtsein sein Recht.
Diese Bedürfnisse geben sich in der Lockeschen und Leibnizischen Philosophie, obzwar auf unvollkommene Weise, zu erkennen. Dies Prinzip tritt daher in der Philosophie jener unterschiedslosen Identität entgegen, und zwar bei Locke so, daß die unmittelbare Wirklichkeit das Reale und Wahre ist und das Interesse der Philosophie die Erkenntnis dessen, was an und für sich wahr ist, aufgibt und nur dahingeht, die Art und Weise zu beschreiben, wie der Gedanke das Gegebene aufnimmt.

Locke und Leibniz sind beide für sich selbst stehend, einander entgegengesetzt. Das Allgemeine, was in ihnen gemeinschaftlich ist, ist, daß sie, im Gegensatz gegen Spinoza und Malebranche, das Besondere, die endliche Bestimmtheit und das Einzelne zum Prinzip machen. Bei Locke besonders ist es darum zu tun, das Allgemeine, die allgemeinen Ideen, Vorstellungen überhaupt und den Ursprung derselben zu erkennen.
Bei Spinoza und Malebranche ist die Substanz oder das Allgemeine das Wahrhafte, was an und für sich, ohne Ursprung, ewig ist und woran das Besondere nur Modifikationen sind. Bei Locke ist hingegen das Endliche und das endliche Erkennen, Bewußtsein das Erste, und daraus soll abgeleitet werden das Allgemeine; Leibniz macht ebenso die Monade, das Einzelne, Individuelle, was bei Spinoza nur eine Form des Untergehens hat, zum Prinzip; und in dieser Rücksicht ist es, daß ich beide zusammenstelle.

Locke macht eine Art des Gegensatzes zu Spinoza aus. Bei diesem ist die Substanz das Absolute, allein Seiende, das Ewige; und alles ist nur etwas, insofern es auf die Substanz bezogen, durch sie begriffen wird. Locke macht Gegenbild dazu, stellt sich auf den entgegengesetzten Standpunkt. Gegen die starre Einheit der Spinozistischen Substanz hält das Bewußtsein an den Unterschieden fest: teils hält es an sich, als frei in sich, gegenüber dem Sein - Natur, Gott -, um es als seinen Gegenstand sich zu bestimmen; teils von diesem Gegensatze aus die Einheit hervorzubringen und zu ihr sich zu erheben. Es ist allgemeine Tendenz, den Gegensatz, Unterschied zu behaupten und in ihm und aus ihm die Einheit zu erkennen.
Aber die Wege dieser Tendenz verstanden sich selbst noch wenig, hatten noch kein Bewußtsein über ihre Aufgabe und die Weise, ihre Forderung zu leisten. Zunächst bei Locke ist die andere Seite, das Beschränkte, Endliche, Sinnliche, unmittelbar Daseiende, Negative die Hauptsache;
es ist, - das äußerlich und innerlich Wahrnehmbare. Spinoza hat dem Negativen Unrecht getan;
es kam daher zu keiner immanenten Bestimmung, alles Bestimmte geht zugrunde.
In Locke ist das Endliche das Erste, das Fundament; von ihm wird zu Gott übergegangen.
Er bleibt ganz bei der gemeinen Stufe des Bewußtseins stehen, daß Gegenstände außer uns, führt sie herüber, erhebt die Einzelheiten der Wahrnehmung ins Allgemeine. Es ist Versuch einer Deduktion der allgemeinen Begriffe; der Weg der Definitionen ist verlassen, mit denen sonst angefangen wird.
Die allgemeinen Begriffe, das mit sich Identische, z. B. die Substantialität, entsteht subjektiv aus den Gegenständen. Das Endliche ist nicht als absolute Negativität in seiner Unendlichkeit aufgefaßt; das werden wir zum dritten bei Leibniz sehen. Leibniz setzt in höherem Sinn die Individualität, das Unterschiedene als für sich seiend, und zwar gegenstandslos, als wahrhaftes Sein, - nur als Totalität, nicht als Endliches, und doch unterschieden, so daß also jedes selbst die Totalität.

Ganz außer den Augen gesetzt ist bei Locke die Wahrheit an und für sich selbst. Das Interesse ist nicht mehr, zu erkennen, was wahr, an und für sich ist; sondern das Interesse ist subjektiv, wie sich in unserem Erkennen dies mache, wie wir zu den Vorstellungen kommen, - besonders zu den allgemeinen Vorstellungen oder zu den Ideen, wie Locke es nannte. Er macht die Voraussetzung, daß solche Bestimmungen unmittelbar wahr seien; Realität hat die schlechte Bedeutung, ob etwas außer uns. Locke beschreibt den Weg, auf welchem im Bewußtsein allgemeine Gedanken zum Bewußtsein kommen, - ein Weg der Erscheinung. Hiermit wird von nun an oder auf dieser Seite der Gesichtspunkt des Philosophierens ganz und gar verändert; das Interesse beschränkt sich auf die Form des Übergehens des Objektiven oder des Gefühls in die Form von Vorstellung. Bei Spinoza und Malebranche sahen wir allerdings auch als Hauptbestimmung, diese Beziehung des Denkens auf das Ausgedehnte zu erkennen, also das ins Verhältnis, ins Relative Fallende, - auch die Frage: Wie ist beides bezogen? Sie wurde aber in dem Sinne beantwortet und genommen, daß nur diese Beziehung für sich das Interesse ausmacht, und diese Beziehung selbst, als absolute Substanz, ist dann Identität, das Wahre, Gott, - nicht die Bezogenen.
Das Interesse fällt nicht auf die Bezogenen; nicht die Bezogenen sind das Seiende, Vorausgesetzte und Festbleibende, - die Bezogenen sind nur akzidentell. Hier gelten die Bezogenen, - die Dinge und das Subjekt; sie sind als geltend vorausgesetzt.

Es ist scheinbar dasselbe Interesse wie in Malebranches Recherche de la vérité.
Bei Malebranche tritt das Psychologische auch ein; es ist aber nur das Spätere. Die absolute Einheit ist das Hauptinteresse; sie gilt als Grundlage. Wie kommen wir zu Vorstellungen, fragt Malebranche.
Die Antwort lautet:
α) Wir sehen alles in Gott; und
β) darum ist das Allgemeine, Unendliche schlechthin das Erste und die Voraussetzung des Erkennens des Einzelnen.
Bei Locke fängt es mit einzelnen Wahrnehmungen an. Wie kommen wir zu allgemeinen Vorstellungen? - Wir abstrahieren sie von den einzelnen Wahrnehmungen, d. h. die einzelnen Wahrnehmungen sind das Erste, das Allgemeine das Folgende, das von uns Gemachte, nur dem Denken als subjektivem Angehörige.
Beide Seiten, als einseitige, gelten und bleiben; und das Interesse ist eigentlich bloß psychologischer Art, den Weg zu betrachten, wie die einzelnen Empfindungen zu allgemeinen Vorstellungen werden.
Das Gefühl ist allerdings die niedrigste, die tierische Weise des Geistes; der Geist, als denkend, will das Gefühl in seine Weise umwandeln. Kant wirft dem Locke mit Recht vor: nicht das Einzelne ist die Quelle der allgemeinen Vorstellungen, sondern der Verstand. Die Hauptsache ist aber die Natur dieses Inhalts selbst. Es hilft nichts, ob er aus dem Verstande oder der Erfahrung entspringe; sondern es fragt sich:
Ist dieser Inhalt für sich selbst wahr? Bei Locke hat die Wahrheit nur die Bedeutung der Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Dingen; da ist bloß von der Relation die Rede, der Inhalt sei nun ein objektives Ding oder Inhalt der Vorstellung. Ein anderes aber ist, den Inhalt selbst zu untersuchen; man muß nicht über die Quelle streiten. Das Interesse des Inhalts an und für sich verschwindet in jener Stellung gänzlich.

Von Locke geht eine breite Bildung aus, die andere Formen angenommen hat, aber dem Prinzip nach dasselbe geworden ist. Sie ist allgemeine Vorstellungsweise geworden und nimmt sich auch für Philosophie, obgleich der Gegenstand der Philosophie darin gar nicht anzutreffen ist.

Die Lebensumstände werden im eigentlichen Sinne Privatbegebenheiten, bestimmt durch äußere Umstände; sie enthalten nichts Merkwürdiges. Das Leben wird gelehrt, einförmig, gewöhnlich, schließt sich an äußerlich gegebene Verhältnisse an, kann nicht als eine eigentümliche Gestalt sich dar- und hinstellen.
Die Macht der Verhältnisse ist unendlich groß geworden, weil vernünftigere Objektivität und Wirklichkeit vorhanden ist; die Persönlichkeit, das individuelle Leben wird gleichgültiger.
Ein Philosoph, sagt man, soll auch als Philosoph leben, d. h. von den äußerlichen Verhältnissen zur Welt unabhängig, die Beschäftigung in ihnen und die Bemühung um sie aufgeben. Aber so verschränkt in Ansehung aller Bedürfnisse, besonders der Bildung, kann keiner für sich die Mittel haben, sondern muß sie im Zusammenhang mit den anderen suchen. Eben darum sind die äußerlichen Verhältnisse, die Weise, wie ich darin bin, notwendig, aber gleichgültig gegen mich. Man muß nicht sich, seinen Charakter darein setzen, noch darin als seine unabhängige Gestalt sich zeigen - und sich eine aus sich geschaffene Stellung in der Welt geben.

John Locke ist geboren 1632 zu Wrington in England. Er studierte zu Oxford für sich die Cartesianische Philosophie; die scholastische Philosophie, die noch vorgetragen wurde, ließ er liegen. Er widmete sich der Arzneikunde, die er jedoch, seiner Schwächlichkeit wegen, nicht eigentlich ausübte. Mit einem englischen Gesandten ging er 1664 auf ein Jahr nach Berlin. Nach seiner Rückkehr nach England wurde er mit dem geistreichen - nachmaligen - Grafen Shaftesbury bekannt, der sich seines medizinischen Rats bediente; er lebte in dessen Hause, ohne nötig zu haben, sich mit medizinischer Praxis abzugeben.
Als dieser späterhin Großkanzler von England wurde, erhielt Locke von ihm ein Amt; aber bei dem Wechsel, den dieser in seinem Ministerium erlitt, verlor Locke bald darauf seine Stelle wieder.
Er begab sich nun, wegen Besorgnis vor Schwindsucht, 1675 nach Montpellier zur Wiederherstellung seiner Gesundheit. Er gewann zwar seine Stelle wieder, als sein Gönner wieder ins Ministerium kam, wurde jedoch bald nachher, bei einem neuen Sturze dieses Ministers, von neuem abgesetzt und mußte sogar aus England flüchten. Er ging nach Holland, das damals das Land war, wo alles Schutz fand, was genötigt war, einer Unterdrückung, sei sie politisch oder religiös, zu entfliehen, und wo sich damals die berühmtesten und freisinnigsten Männer zusammenfanden. Er wurde von Oxford verjagt.1) Die Hofpartei verfolgte ihn; er sollte vermöge eines königlichen Befehls, gefangengenommen und nach England ausgeliefert werden. Er mußte sich deswegen bei seinen Freunden verborgen halten. Er kehrte dann, bei der erfolgten Revolution, 1688 mit Wilhelm von Oranien, als dieser den englischen Thron bestieg, wieder nach England zurück. Er wurde Kommissar des Handels und der Kolonien, gab sein berühmtes Werk über den menschlichen Verstand heraus und lebte zuletzt, zurückgezogen von öffentlichen Geschäften, bei englischen Großen auf ihren Landhäusern, wegen seiner schwächlichen Gesundheit; 1704 am 28. Oktober starb er in einem Alter von 73 Jahren.2)

Die Lockesche Philosophie ist sehr geehrt, sie ist im ganzen noch die Philosophie der Engländer und der Franzosen und auch in einem gewissen Sinne noch jetzt der Deutschen.
Der kurze Gedanke der Lockeschen Philosophie ist
α) dieser, daß die allgemeine Vorstellung, daß das Wahre, die Erkenntnis, beruhe auf Erfahrung. Einerseits wird die Erfahrung und Beobachtung, andererseits das Analysieren, Herausheben der allgemeinen Bestimmungen als Gang der Erkenntnis vorgeschrieben; es ist metaphysizierender Empirismus, und dies ist der gewöhnliche Weg in den Wissenschaften. Locke schlägt so in Hinsicht der Methode den entgegengesetzten Weg ein wie Spinoza. Dieser hatte Definitionen vorne hingestellt: Locke ist umgekehrt bemüht, aufzuzeigen, daß die allgemeinen Vorstellungen hervorgehen aus der Erfahrung. Bei der Methode des Spinoza und Descartes kann man vermissen, daß die Entstehung der Ideen nicht angegeben ist, sie sind geradezu genommen, wie z. B. Substanz, Unendliches usf.
Das Bedürfnis ist jedoch, aufzuzeigen, wo diese Ideen, Gedanken herkommen, wodurch sie begründet, bewahrheitet sind. So hat nun Locke ein wahrhaftes Bedürfnis zu befriedigen gesucht, indem er bemüht war, aufzuzeigen das Entstehen, die Begründung dieser allgemeinen Vorstellungen.
Diese Begründung ist aber nur in Beziehung auf empirisches Entstehen, d. h. was unser Bewußtsein für einen Weg nimmt, wenn es sich entwickelt. Jeder Mensch weiß, daß er von Erfahrungen, Empfindungen, ganz konkreten Zuständen anfängt und daß später der Zeit nach erst die allgemeinen Vorstellungen sind; diese haben einen Zusammenhang mit dem Konkreten der Empfindung, die allgemeinen Vorstellungen sind darin enthalten. Der Raum kommt z. B. später zum Bewußtsein als das Räumliche, die Gattung später als das Einzelne; und es ist nur Tätigkeit meines Bewußtseins, das Allgemeine zu scheiden von dem Besonderen der Vorstellung, Empfindung usf.

β) So ist der Gang, den Locke eingeschlagen hat, ganz richtig, aber nicht dialektisch, sondern das Allgemeine aus dem empirisch Konkreten analysiert. Die dialektische Betrachtung ist ganz und gar verlassen, überhaupt die Wahrheit. - Eine andere Frage ist: Sind diese allgemeinen Bestimmungen an und für sich wahr? Und wo kommen sie, nicht nur in meinem Bewußtsein, in meinem Verstande her, sondern in den Dingen selbst? Raum, Ursache, Wirkung usf. sind Kategorien. Wie kommen diese Kategorien in das Besondere? Wie kommt der allgemeine Raum dazu, sich zu bestimmen? Dieser Standpunkt, ob diese Bestimmungen des Unendlichen, der Substanz usf. an und für sich wahr sind, wird ganz aus dem Auge verloren. Platon untersuchte das Unendliche, Sein, und das Endliche und Bestimmte usf., daß keines für sich das Wahre sei; dies seien sie nur als beide sich identisch setzend, die Wahrheit des Inhalts mag nun herkommen, woher sie will. Aber hier wird ganz Verzicht geleistet auf die Wahrheit an und für sich.

γ) Wo das Denken von Haus aus konkret, Denken und Allgemeines identisch mit dem Ausgedehnten ist, ist ohne Interesse, unverständlich die Frage nach der Beziehung beider, die das Denken auseinandergebracht, auseinandergesetzt hat. Wie überwindet das Denken die Schwierigkeiten, die es selbst erzeugt hat? Hier bei Locke werden gar keine erzeugt und erweckt. Vorher ist das Bedürfnis, der Schmerz, die Entzweiung zu erwecken.

Was nun die näheren Gedanken Lockes anbetrifft, so sind sie sehr einfach. Locke betrachtet, wie der Verstand nur das Bewußtsein und insofern etwas im Bewußtsein ist, und erkennt das Ansich nur, insofern es in diesem ist.

α) Lockes Philosophie ist besonders gegen Cartesius gerichtet; dieser hatte von angeborenen Ideen gesprochen. Locke bestritt also die sogenannten angeborenen Ideen - theoretische und praktische3) ,
- d. i. die allgemeinen, an und für sich seienden Ideen, die zugleich vorgestellt wurden als dem Geiste auf eine natürliche Weise angehörig. Locke verstand nämlich darunter nicht wesentliche Bestimmungen des Menschen, sondern Begriffe, die in uns vorhanden sind und existieren - so wie wir Arme und Beine am Körper haben und der Trieb zum Essen in allen sich findet -, daß das Bewußtsein sie hat, d. h. aber, daß sie im Bewußtsein als solchem sind. In Locke ist also die Vorstellung von der Seele als einer inhaltslosen tabula rasa, die nun erfüllt werde aus dem, was wir Erfahrung nennen.4) - Der Ausdruck "angeborene Begriffe" war gewöhnlich damals, und es ist von den angeborenen Begriffen zum Teil so kraß gesprochen worden. Aber ihre wahrhafte Bedeutung ist, daß sie an sich sind, wesentliche Momente in der Natur des Denkens, Eigenschaften eines Keims, die noch nicht existieren. Insofern liegt etwas Wichtiges in der Lockeschen Bemerkung; als verschiedene wesentliche bestimmte Begriffe sind sie nur dadurch legitimiert, daß von ihnen gezeigt wird, daß sie in dem Wesen des Denkens liegen. Aber wie die Sätze, die als Axiome gelten, und Begriffe, die als bestimmte in den Definitionen unmittelbar aufgenommen werden, so haben sie allerdings die Form von vorhandenen, angeborenen. Sie sollen an und für sich gelten, so wie sie eingesehen werden; dies ist eine bloße Versicherung. Oder von der andern Seite ist die Frage, woher sie kommen, seicht. Der Geist ist allerdings an sich bestimmt, der für sich existierende Begriff; seine Entwicklung ist, zum Bewußtsein zu kommen. Diese Bestimmungen, die er aus sich hervorbringt, kann man nicht angeboren nennen. Diese Entwicklung muß veranlaßt werden durch ein Äußerliches, die Tätigkeit des Geistes ist zunächst Reaktion; erst so wird er sich seines Wesens bewußt.

Diese Widerlegung, die Locke macht, ist empirisch. Seine Gründe sind folgende:
"Man beruft sich auf die allgemeine Übereinstimmung bei moralischen Gefühlen, logischen Sätzen, die sich nicht anders erklären lasse als dadurch, daß sie von der Natur eingepflanzt seien. Aber diese Übereinstimmung findet nicht statt. Z. B. der Satz: Was ist, das ist; es ist unmöglich, daß dasselbe Ding zugleich sein und nicht sein könne, - diese könnte man noch am ehesten für angeboren halten."
Dieser Satz gilt nicht, das gilt für den Begriff nicht; es gibt auf Erden und im Himmel nichts, was nicht Sein und Nichtsein enthält.
"Viele Menschen, Kinder und Unwissende", sagt Locke, "haben nicht die geringste Kenntnis von diesen Sätzen. Man kann nicht behaupten, es sei etwas der Seele Eingeprägtes, wovon sie Kenntnis hat."5)
Locke führt an, daß man hierauf erwidere:
"Menschen wissen erst von solchen Grundsätzen, wenn sie zum Gebrauch der Vernunft kommen.
Ist es aber der Gebrauch der Vernunft, der ihnen zur Entdeckung derselben behilflich ist und dieselben entdeckt, so sind sie ja eben nicht angeboren. Die Vernunft soll sein, aus bereits bekannten Prinzipien unbekannte Wahrheiten abzuleiten. Wie sollte also die Anwendung der Vernunft nötig sein, um die vermeintlich angeborenen Prinzipien zu entdecken?"6)
Dies ist eine schwache Einwendung; denn sie setzt voraus, daß man unter angeborenen Ideen solche versteht, die der Mensch im Bewußtsein sogleich als ganz fertig habe. Aber die Entwicklung im Bewußtsein ist etwas anderes als das, was an sich Vernunftbestimmung ist; und so ist der Ausdruck angeborene Idee allerdings ganz schief.
"Bei Kindern und Ungelehrten, weil sie nicht verbildet, müßten sie sich am meisten zeigen."
Er gibt noch mehr dergleichen Gründe an, besonders praktische: die Verschiedenheit der moralischen Lehren, die Bösen, Grausamen, die kein Gewissen haben. "Lord Herbert -  De veritate nimmt angeborene Impressionen an (notiones communes in foro interiori descriptae)." Er bestreitet Platons Ideen: Die allgemeinen Begriffe seien später (bei Malebranche waren sie dagegen früher), sie werden erst aus den besonderen gebildet.7) - Das erste Buch beschäftigt sich damit. Wir kommen erst zu dem, was wir Ideen nennen.

β) Das Weitere ist dann aber, daß Locke im zweiten Buch zu dem Ursprung der Ideen übergeht und dies Bilden aus der Erfahrung aufzuzeigen suchte. Das Positive, was er jenem Aufnehmen aus dem Innern entgegenstellt, ist ebenso schief, daß er sie aus dem Äußeren aufnimmt, nur das Sein-für-Anderes festhält, das Ansich ganz verkennt. Er sagt:
"Da jeder Mensch sich bewußt ist, daß er denkt und daß das, womit sein Geist (mind) beschäftigt (applied) ist im Denken, die Ideen sind, so ist es über allen Zweifel, daß die Menschen in ihrem Geiste verschiedene Ideen haben, solche, als durch die Worte ausgedrückt sind: Weiße, Härte, Weichheit, Denken, Bewegung, Mensch, Elefant, Armee, Trunkenheit und andere."
Idee heißt hier Vorstellung; wir verstehen unter Idee etwas anderes.
"Es ist nun zu allererst zu untersuchen: Wie kommt der Mensch zu solchen Ideen? Angeborene Ideen sind schon widerlegt. - Setzen wir also den Geist voraus als ein weißes Papier, leer von allen Charakteren, ohne irgendeine Idee, woher wird er damit versehen? Darauf antworte ich mit einem Worte: von der Erfahrung. Auf sie gründet sich alles unser Wissen."8)
Es ist richtig, daß der Mensch bei der Erfahrung anfängt, wenn er zu Gedanken kommen will. Alles wird erfahren, nicht bloß das Sinnliche, sondern auch, was meinen Geist bestimmt, bewegt: d. h. ich muß das selbst haben, sein; und das Bewußtsein über das, was ich habe, bin, ist Erfahrung. Es ist absurd, daß man etwas wisse usf., was nicht in der Erfahrung sei, z. B. Mensch, - alle sind Menschen, ich brauche sie nicht alle gesehen zu haben. Ich bin Mensch, habe Tätigkeit, Willen, Bewußtsein über das, was ich bin und was andere sind; und so ist dies allerdings Erfahrung. Aber das betrifft bloß den psychologischen Weg des Geistes. Ein ganz anderes ist es, zu fragen: Ist dies, was in uns ist, wahr? Das Woher erschöpft die Frage nicht.

Alle Begriffe gründen sich auf die Erfahrung, und der Verstand (Denken) ist nur Verknüpfen, Vergleichen und Unterscheiden dieses Aufgenommenen.9) Das Denken selbst ist ihm nicht das Wesen der Seele, sondern eine von den Kräften und Äußerungen derselben. Eben er hält das Denken als seiend im Bewußtsein fest, bewußtes Denken, und bringt also die Erfahrung an, daß wir nicht immer denken.
Die Erfahrung zeige Schlafen ohne Träume, wenn man tief schläft. Locke führt das Beispiel eines Menschen an, der sich bis in sein 25. Jahr keines Traumes erinnerte.10) Es ist wie in den Xenien:

Oft schon war ich, und hab wirklich an gar nichts gedacht.11)

D. h. mein Gegenstand ist nicht ein Gedanke. Aber Anschauung, Erinnerung ist Denken, Denken Wahrheit. Lockes Räsonnement ist ganz seicht; es hält sich ganz nur an die Erscheinung, an das, was ist, nicht was wahr ist. Den Zweck und das Interesse der Philosophie hat er ganz aufgegeben.

Die Ideen, wie er es zu nennen beliebt, was teils die Bedeutung von Vorstellungen, teils von Gedanken hat, nun entstehen aus der Erfahrung: teils aus der äußeren Erfahrung, teils aus der inneren; aus jener, z. B. dem Gesichte, die Vorstellungen von Farbe und Licht usf., aus dieser von Glauben, Zweifeln, Urteilen, Schließen usf. Es ist platte Hererzählung. Die Erfahrungen, sagt Locke, sind zuerst Sensationen; das andere ist die Reflexion darüber.12) - Was nun fürs erste über die Sache selbst zu sagen ist, so ist es wieder dasselbe, daß das Bewußtsein allerdings alle Vorstellungen, Begriffe aus der Erfahrung und in der Erfahrung hat; es kommt nur darauf an, was man unter Erfahrung versteht. Gewöhnlich, wenn so gesprochen wird, versteht man gar nichts darunter; so spricht man davon als von etwas ganz Bekanntem. Erfahrung aber ist nichts als die Form der Gegenständlichkeit; es ist etwas im Bewußtsein, heißt, es hat gegenständliche Form für es, oder es erfährt dasselbe, es schaut es als ein Gegenständliches an, - unmittelbares Wissen, Wahrnehmen. Da ist nun gar keine Frage davon, daß, was man weiß, von welcher Art es sein wolle, erfahren werden müsse; das liegt im Begriff der Sache. Das Vernünftige ist, d. h. es ist als ein Seiendes für das Bewußtsein, oder es erfährt es; es muß gesehen, gehört, als Welterscheinung dasein oder dagewesen sein, - die Verbindung des Allgemeinen mit dem Gegenständlichen. Aber dies ist nicht die einzige Form; die des Ansich ist ebenso absolut und wesentlich, - d. h. das Begreifen des Erfahrenen oder das Aufheben dieses Scheins des Andersseins und das Erkennen der Notwendigkeit der Sache durch sich selbst.
Es ist nun ganz gleichgültig, ob man dies nimmt als etwas Erfahrenes, als eine Reihe von Erfahrungsbegriffen, wenn man so sprechen kann, oder Vorstellungen, oder dieselbe Reihe als Reihe von Gedanken, an sich Seienden.

Die Hauptbemühung Lockes ist nun, aufzuzeigen, wie die metaphysischen Begriffe aus der Erfahrung entspringen, nicht vollständig, - empirisch aufgenommen: Raum, Undurchdringlichkeit, Figur, Bewegung, Ruhe und dergleichen aus der äußeren Empfindung; Denken, Wollen usf. aus der inneren; allgemeine Begriffe, Dasein, Einheit, Vermögen usf. aus beiden zusammen.13)

γ) Locke geht also davon aus, daß alles Erfahrung ist; aus dieser Erfahrung nun abstrahieren wir uns allgemeine Vorstellungen über die Gegenstände und ihre Qualitäten. Und Locke macht dann in Ansehung der äußeren Qualitäten einen Unterschied, der früher schon bei Aristoteles vorgekommen und den wir auch bei Descartes gesehen. Er unterscheidet primäre und sekundäre Qualitäten: die ersten kommen den Gegenständen selbst in Wahrheit zu; die anderen sind keine reale Qualitäten, sondern gründen sich auf die Natur der Organe des Empfindens. Primäre Qualitäten sind mechanische, Ausdehnung, Solidität, Figur, Bewegung, Ruhe; dies sind Qualitäten des Körperlichen, wie das Denken die Qualität des Geistigen ist.
Die Bestimmungen unserer besonderen Empfindungen wie Farben, Töne, Gerüche, Geschmack usf. sind jedoch nicht primär.14)
Derselbe Unterschied ist bei Descartes, nur hat er hier eine andere Form.
Bei Descartes sind die zweiten so bestimmt, daß sie nicht das Wesen des Körpers ausmachen; bei Locke, daß sie für die Empfindung sind oder in das Sein fürs Bewußtsein fallen; Locke rechnet freilich Figur usf. auch noch zu dem Wesen. Eigenschaften, die fürs Gefühl, sind nach Aristoteles Solidität15) ; aber damit ist über die Natur des Körpers gar nichts ausgemacht. - Es kommt Locke hier selbst ein Unterschied des Ansich und des Für-ein-Anderes herein, worin er das Moment des Für-ein-Anderes als das Unwesentliche erklärt - und doch alle Wahrheit nur in dem Für-ein-Anderes sieht.

δ) Nachdem dies vorausgesetzt ist, ist das Weitere, daß der intellectus, der Verstand es ist, der jetzt das Allgemeine findet und erfindet. Der Bischof von Worcester machte den Einwand, daß, wenn die Idee der Substanz auf einen klaren und deutlichen Schluß gegründet ist (grounded upon plain and evident reason), sie weder aus der Sensation noch Reflexion stammt. Locke antwortet: "Allgemeine Ideen kommen in den Geist weder durch Sensation noch durch Reflexion" (Bewußtsein des Innern, innere Bestimmungen), "sondern sie sind Geschöpfe oder Erfindungen des Verstandes. Der Verstand macht sie durch Vorstellungen, die er durch die Reflexion und Sensation gewonnen hat."16)
Die Arbeit des Verstandes nun besteht darin, aus diesen sogenannten Ideen eine Menge neuer hervorzubringen durch eigene Bearbeitung, durch Zusammenfügung mehrerer einfacher in eine, durch Vergleichung und Gegeneinanderstellung, endlich durch Absonderung oder Abstraktion, wodurch die allgemeinen Begriffe entspringen; so Raum, Zeit, Einheit und Verschiedenheit, Ursache und Wirkung, Macht, Freiheit, Notwendigkeit. "So ist er aktiv"; allein "seine Aktivität ist ein Verbinden, Zusammensetzen" allgemeiner Ideen.17) Locke setzte das Wesen des Verstandes in die formelle Tätigkeit, aus den durch die Wahrnehmung erhaltenen einfachen Vorstellungen durch Vergleichung und Zusammensetzung neue Bestimmungen zu bilden. Er sagt: "Der Verstand ist in Rücksicht seiner einfachen Formen (modes)" - solche einfachen Bestimmungen sind Kraft (power), auch Zahl (number), Unendlichkeit (infinity) - "ganz passiv und empfängt sie von der Existenz und der Operation der Dinge, wie die Empfindung sie darbietet, ohne daß er eine Idee macht"; er ist das Auffassen der abstrakten Empfindungen, die in den Gegenständen enthalten sind. Da macht er denn auch einen Unterschied zwischen einfachen und vermischten Formen. Kausalität usf. ist so ein gemischter Modus (mixed mode); und doch siehe die Beschreibung, wie diese Idee entstehe.18)

In Ansehung jenes Entstehens zusammengesetzterer Vorstellungen aus einfachen hat Locke das Verdienst, von diesem Wege der bloßen Definition abgegangen zu sein: Substanz ist dieses, Modus ist dieses, Ausdehnung ist dieses usf., die eine ganz inkohärente Reihe ausmachen. Die Art nun, wie der Verstand die allgemeinen Vorstellungen gewinnt aus den konkreten Vorstellungen, ist die Hauptsache; diese Ableitung aus der Erfahrung expliziert er am Besonderen. Allein die Art, wie er diese Deduktion angreift, ist nun völlig nichtssagend, - etwas ganz Formales, eine leere Tautologie; diese Explikation ist höchst trivial und langweilig und sehr weitläufig. Z. B. die allgemeine Vorstellung vom Raume bilden wir aus der Wahrnehmung der Entfernung von Körpern durch Gesicht und Gefühl.19)
D. h. mit anderen Worten: Wir nehmen einen bestimmten Raum wahr, abstrahieren, und dann haben wir den Begriff des Raums überhaupt. Die Wahrnehmung der Entfernungen gibt uns Vorstellungen vom Raum;
es ist jedoch kein Ableiten, sondern nur ein Weglassen der anderen Bestimmungen. Die Entfernung ist selbst ja die Räumlichkeit; der Verstand bildet also die Bestimmung der Räumlichkeit aus der Räumlichkeit.
- So bekommen wir den Begriff der Zeit durch die ununterbrochene Sukzession der Vorstellungen im Wachen20) ; d. h. aus der bestimmten Zeit nehmen wir die allgemeine wahr. Die Vorstellungen folgen fortwährend aufeinander; lassen wir das Besondere darin weg, so erhalten wir dadurch die Vorstellung der Zeit.

Substanz (substance), eine zusammengesetzte Idee (complex idea), kommt daher, daß wir oft einfache Ideen (blau, schwer usw.) beieinander wahrnehmen. Dieses Beisammen stellen wir uns als Etwas vor, und was jene einfachen Ideen zugleich trägt, worin sie existieren usf. So Vermögen usf.21)
Das ist langweilig. - Dann werden die Bestimmungen der Freiheit und Notwendigkeit, der Ursache und Wirkung auf dieselbe Weise hergeleitet. "Ursache und Wirkung (cause and effect). In der Kenntnis, die unsere Sinne von der beständigen Veränderung der Dinge nehmen, müssen wir beobachten, daß verschiedene Besondere, beides Qualitäten und Substanzen" - im schlechteren Sinne als bei Spinoza -, "anfangen zu existieren und daß sie diese ihre Existenz von der gehörigen (due) Applikation und Wirksamkeit irgendeines anderen Dings erhalten. Von dieser Beobachtung gewinnen wir unsere Idee von Ursache und Wirkung; Wachs schmilzt am Feuer."22) Auch das ist langweilig. - Oder: "Jeder, denke ich, findet in ihm selbst eine Macht, anzufangen oder zu unterlassen, fortzusetzen oder ein Ende zu machen verschiedenen Handlungen in ihm selbst. Von der Betrachtung der Ausdehnung dieser Macht des Geistes über die Handlungen des Menschen entstehen die Ideen der Freiheit und Notwendigkeit."23)
Man kann sagen, Oberflächlicheres kann es nun nichts geben als diese Ableitung der Ideen.
Die Sache selbst, um die es zu tun ist, das Wesen ist gar nicht berührt. Es wird auf eine Bestimmung aufmerksam gemacht, die in einem konkreten Verhältnisse enthalten ist; der Verstand abstrahiert daher nur und fixiert andererseits. Es ist Übersetzung aus dem Bestimmten in die Form der Allgemeinheit, worin dieselbe zugrunde liegt; dies zugrunde liegende Wesen nun ist es eben, von dem zu sagen wäre, was es sei. Hier nun gesteht Locke z. B. vom Raume, daß er nicht wisse, was er an sich sei.24)

Diese Lockesche sogenannte Analyse der zusammengesetzten Vorstellungen und sogenannte Erklärung derselben hat nun wegen ihrer ungemeinen Klarheit und Deutlichkeit den allgemeinen Eingang gefunden. Denn was ist klarer, als daß wir den Begriff der Zeit daher haben, daß wir die Zeit wahrnehmen, sehen nicht eigentlich, - des Raums daher, daß wir ihn sehen. Besonders die Franzosen haben dies aufgenommen, weiter ausgeführt; ihre Idéologie enthält nichts anderes als dieses.

ε) "Das Allgemeine selbst, Gattungsbegriff, ist, wenn man das Besondere" der Qualitäten,
"Umstände, Zeit, Ort usf. absondert." Was nun so Art oder Gattung heißt, ist bloß ein Erzeugnis unseres Verstands, das sich auf Ähnlichkeit der Objekte bezieht.25) Das Allgemeine als solches ist nach Locke Produkt unseres Geistes; es ist nicht das Objektive, sondern bezieht sich nur auf Objekte. Die Gattungen drücken wohl etwas aus, das in den Gegenständen ist; sie erschöpfen die Gegenstände aber nicht. Locke unterschied daher die Wesen in reelle Wesen und Namenwesen, wovon jene das wahre Wesen der Dinge ausdrücken; die Gattungen also sind bloße Namenwesen.
"Sie dienen dazu, die Gattungen und Arten für uns zum Erkennen zu unterscheiden; aber das reelle Wesen der Natur kennen wir nicht." Dafür, daß die Gattungen nichts an sich sind, nicht in der Natur, nicht an und für sich Bestimmtes, gibt Locke gute Gründe an, z. B. die Mißgeburten26) ; - wäre die Gattung an und für sich, so gäbe es keine Mißgeburt. Aber er übersieht, daß auch zur Gattung gehört, daß sie existiert; und dahinein treten noch andere Bestimmungen. Sie tritt auseinander; es ist die Sphäre, wo die einzelnen Dinge aufeinander einwirken und so daher die Existenz der Gattung verkümmern können. Dies ist gerade so, wie wenn bewiesen wird, daß das Gute nicht an sich sei, weil es auch schlechte Burschen gibt, - daß der Kreis nichts an und für sich in der Natur sei, weil z. B. der Umring eines Baums einen sehr unregelmäßigen Kreis vorstellt oder ich einen schlechten Kreis zeichne. Die Natur ist dies, dem Begriff nicht vollkommen adäquat sein zu können; er hat nur im Geiste seine wahrhafte Existenz. - Ferner ist dies, daß die Gattungen nichts an sich, das Allgemeine nicht Wesen der Natur ist, ihr Ansich nicht das Gedachte, dasselbe, daß wir das reale Wesen nicht kennen, - die seither zum Ekel wiederholte Litanei:

Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist27) ,

bis zur Ansicht, daß Für-ein-Anderes-Sein, Wahrnehmen nicht an sich ist, die nicht zum Positiven durchgedrungen, daß das Ansich das Allgemeine ist. Locke ist weit zurück in der Natur der Erkenntnis, weiter als Platon, wegen des Urgierens des Für-ein-Anderes-Seins.

Noch merkwürdig ist, daß aus gesundem Verstand Locke gegen die allgemeinen Sätze, Axiome, A=A, wenn etwas A ist, so kann es nicht B sein, kämpft: sie seien überflüssig, von höchst geringem oder gar keinem Nutzen. Noch niemand hat auf den Satz des Widerspruchs eine Wissenschaft gebaut.
Es läßt sich aus ihnen das Wahre ebenso beweisen als das Falsche; sie sind Tautologien.28)

Dies ist die Lockesche Philosophie. Was Locke sonst in Beziehung auf Erziehung, Toleranz, Naturrecht oder allgemeines Staatsrecht geleistet, geht uns hier nicht an, geht auf die Bildung. - Bayles Philosophie in seinem Dictionnaire hat keine Ahnung vom Spekulativen, sowenig als Locke.
Als wichtig ist anzuführen, daß er das Räsonnement, vernünftige Denken über bestimmte Gegenstände befördert, - vornehmlich die Einwürfe der Vernunft, der Philosophen, z. B. besonders der Manichäer,
gegen die Theologie, geoffenbarte Lehre, als unwiderleglich durch die Vernunft selbst vorgestellt hat; dagegen, daß eben die Theologie vorher behauptet hatte, daß sie der Vernunft ganz gemäß sei und die Vernunft nur dies formelle Geschäft habe, ihren Inhalt, ohne eigenen, begreiflich zu machen.

Das Wahre zu erkennen ist ein Interesse der Philosophie, dies soll hier auf empirische Weise erreicht werden; es dient, auf die allgemeinen Bestimmungen aufmerksam zu machen.
Aber solches Philosophieren ist nicht nur der Standpunkt des gewöhnlichen Bewußtseins, dem alle Bestimmungen seines Denkens als gegeben erscheinen, demütig mit Vergessen seiner Tätigkeit;
sondern bei diesem Ableiten und psychologischen Entstehen ist das, was allein der Philosophie obliegt, der Gesichtspunkt, ob diese Gedanken und Verhältnisse an und für sich Wahrheit haben, gar nicht vorhanden.

Die Lockesche Philosophie ist, wenn man will, eine Metaphysik: es handelt sich um allgemeine Bestimmungen, allgemeine Gedanken; und dies Allgemeine soll aus Erfahrung, Beobachtung abgeleitet werden. Die Lockesche Philosophie erklärt die allgemeinen Vorstellungen, indem sie aus konkreten Wahrnehmungen das Allgemeine abstrahiert. Dieses Herausnehmen ist trivial.
Man kann (wie Wolff tat) sagen, daß es willkürlich ist, von konkreten Vorstellungen anzufangen.
Aus blauer Blume, blauem Himmel entsteht uns die Vorstellung der Identität; ebenso Ursache und Wirkung. Man kann geradezu von allgemeinen Vorstellungen anfangen. Wir finden in unserem Bewußtsein die Vorstellung Zeit, Ursache; das sind die späteren Tatsachen des Bewußtseins. Dieses Verfahren liegt dem Räsonnement zugrunde, nur daß hier noch unter den verschiedenen Vorstellungen unterschieden werden muß, welche als die wesentlichste anzusehen ist; bei Locke kommt dieser Unterschied im ganzen nicht in Betracht.
- Das Andere ist das praktische Verfahren, das sich auf dieselbe Weise verhält, daß der Gedanke sich anwendet auf Gegenstände oder daß aus den Gegenständen ihre Gedanken herausgezogen werden, in den Gegenständen aufmerksam gemacht wird auf das inwohnende wesentlich Allgemeine. Wir haben bürgerliche Gesellschaft, Staat; das ist ein großer Komplex, Wille des Regenten, Untertanen, ihre Zwecke, Wohl für sich. Da sind wir im Konkreten. Indem wir solchen Gegenstand vor uns haben, so können wir allgemeine Vorstellungen herausheben; es muß aber herausgehoben werden, welche Vorstellung die ist, vor der die anderen weichen müssen.

Dies ist nun freilich eine sehr begreifliche und triviale, eben deshalb aber auch populäre Philosophie, an die sich das ganze englische Philosophieren, wie es noch heute ist, anschließt.
Die Lockesche Philosophie ist die allgemeine Weise des denkenden Verhaltens, welche Philosophie genannt wird. Bei diesem Räsonnement wird auch von Wahrnehmungen, Erfahrungen ausgegangen, die in uns unmittelbar fallen, - Gefühle, die wir haben; solche Bestimmungen sind die Grundlage, das Wesentliche. Dieses Räsonieren geht vom gegenwärtigen Geiste aus, vom eigenen Innerlichen oder Äußerlichen; es ist die Form, die in der Wissenschaft eingeführt wurde, die damals entstand.
So gilt Newton bei den Engländern für den Philosophen ϰατtʼ' ἐξοχήν.
Dieser metaphysizierende Empirismus ist die vorzüglichste Weise der Betrachtung, des Erkennens in England und in Europa überhaupt; und die Wissenschaften im allgemeinen und besonders die empirischen Wissenschaften haben diesem Gange ihren Ursprung zu verdanken. Aus Beobachtungen Erfahrungen ableiten, heißt bei ihnen philosophieren. Ein solcher, zog Newton aus seinen Erfahrungen seine Verstandessätze; und in Physik und Farbenlehre hat er schlechte Beobachtungen und noch schlechtere Schlüsse gemacht. Er ist von Erfahrungen auf allgemeine Gesichtspunkte gekommen, hat sie wieder zugrunde gelegt und daraus das Einzelne konstruiert. Das sind die Theorien.
Die Beobachtung der Dinge und das darin immanente Gesetz, das ihnen inwohnende Allgemeine zu erkennen, ist das Interesse geworden. Das scholastische Ausgehen von Grundsätzen, Definitionen hat man verworfen; praktisches Philosophieren, Philosophieren des räsonierenden Denkens ist das, was jetzt allgemein geworden ist und wodurch die ganze Revolution der Stellung des Geistes hervorgegangen ist.
Das Allgemeine sind Gesetz, Kraft, allgemeine Materie; das sind die Definitionen, Axiome.
Das ist ein Schritt weiter als Spinoza, der gleich mit der Definition anfängt, die so nicht berechtigt ist.
Jetzt ist sie abgeleitet, nicht mehr orakelmäßig hingestellt. Dieses hat seine Berechtigung, wenn auch die Art und Weise, wie diese Berechtigung sich etabliert, nicht die gehörige ist.
Das einzige Wichtige ist die Frage Lockes, wo jene Vorstellungen herkommen.
Die Analyse der Erfahrung ist so die Hauptsache. Die modernen Wissenschaften sind daraus entstanden, Naturwissenschaft, Mathematik, und bei den Engländern die Staatswissenschaft; sie hatten zuerst Gedanken über den Staat, Hobbes ist in dieser Rücksicht zu nennen.

 

1) *Quarterly Review, April 1817, p. 70-71: "Der Akt (the act), daß Locke von Oxford verjagt wurde" (was er dort gewesen, ist nicht gesagt), "zwar nicht der Akt der Universität, sondern Jakobs II., auf dessen ausdrücklichen Befehl und unter der peremtorischen Autorität eines schriftlichen Mandats (warrant), als Visitor of Christ-Church, die Austreibung stattfand. Aus der Korrespondenz, die stattfand, erhellt, daß das Kollegium wider Willen sich unterwarf als einer Maßregel, der es nicht widerstehen konnte, ohne den Frieden und die Ruhe seiner Mitglieder zu kompromittieren." - Vgl. The Works of John Locke, London 1812, Vol. I: The life of the Author, p. XXVI-XXVIII

2) Buhle, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. IV, S. 238-241; The Works of John Locke, Vol. I:
The live of the Author, p. XIX-XXXIX

3) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book I, Chap. II, § 1, p. 13; Chap. II-III

4) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book I, Ch. III, § 22, p. 51

5) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book I, Ch. II, § 2-5, p. 13-16

6) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book I, Ch. II, § 6-9, p. 16-17

7) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book I, Ch. II, § 27, p. 30-32; Ch. III, § 1-15, p. 33-46; Ch. IV, § 20, p. 69-71

8) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book II, Ch. I, Of Ideas in general and their Original: § 1-2, p. 77

9) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book II, Ch. XII, § 1, p. 143

10) An Essay concerning human Understanding (The Works of John Locke, Vol. I), Book II, Ch. I, § 10-14, p. 81-85

11) Xenien von Goethe und Schiller, Nr. 375, "Ich"

12) An Essay concerning human Understanding, l. c., § 2-5, p. 77-79

13) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. II-VII, p. 93-109

14) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. VIII, § 9-26, p. 112-121

15) vgl. Aristoteles, De anima II, 11

16) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. II, § 2, not., p. 93-94

17) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XII, § 1, p. 143;

18) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XXVI

19) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XIII, § 2, p. 147; Ch. IV, § 2, p. 100

20) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XIV, § 3, p. 163

21) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XXIII, § 1-2, p. 1-4; Ch. XXI, § 1, p. 220

22) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XXVI, § 1, p. 40

23) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XXI, of Power: § 7, p. 224

24) An Essay concerning human Understanding, l. c., Ch. XIII, § 17-18, p. 155

25) An Essay concerning human Understanding III, Ch. III, § 6, p. 156; § 13, p. 166-167

26) An Essay concerning human Understanding III, Ch. III, § 15, 17, p. 168-170

27) Albrecht von Haller, "Die Falschheit der menschlichen Tugenden", in: Versuch schweizerischer Gedichte, Bern 1732

28) An Essay concerning human Understanding IV, Ch. VII, § 8-11, p. 24-34

 

180px-John_Locke

John Locke 
* 29. August1632 in Wrington bei Bristol 
† 28. Oktober  1704  in Oates (Essex ))
- englischer Philosoph.                          >>>

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