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<<< 2. Leukipp und Demokrit
Bei Leukipp und Demokrit ist die Bestimmtheit (die bei Epikur hernach vorkommt) physikalisch geblieben; es kommt aber auch im Geistigen vor. In der Sphäre des Willens kann die Ansicht gemacht werden, daß im Staate der einzelne Wille, als Atom, das Absolute sei. Das sind die neueren Theorien über den Staat, die sich auch praktisch geltend machten. Der Staat muß auf dem allgemeinen Willen beruhen, sagt man, das ist an und für sich seiender Wille oder der Wille der Einzelnen; das Letzte ist atomistisch, so Rousseaus Contrat social. Alles dies kommt von der Gedankenbestimmung des Eins.
Das Prinzip des Eins ist ganz ideell, gehört ganz dem Gedanken an, selbst wenn man auch sagen wollte, daß Atome existieren. Das Atom kann materiell genommen werden, es ist aber unsinnlich, rein intellektuell; die Atome Leukipps sind nicht die molécules, die kleinen Teile der Physik. So kommt bei Leukipp die Vorstellung vor, daß "die Atome unsichtbar sind ( ̓όϱατα)", wir sie nicht sehen können "wegen der Kleinheit ihrer Körperlichkeit"6) , - wie man in neuerer Zeit von den molécules spricht. Es ist dies aber nur eine Ausrede; das Eins kann man nicht sehen, es ist ein Abstraktum des Gedankens. Mit Gläsern und Messern kann man das Atom nicht zeigen (ebenso die sinnlichen Eigenschaften des Sehens, Hörens); was man zeigt, ist immer Materie, die zusammengesetzt ist. So will man in neueren Zeiten durch das Mikroskop das Innere - die Seele - erforschen, im Organischen dahinterkommen, besonders sehen und fühlen. Das Prinzip des Eins ist also ganz ideell, nicht aber, als ob es nur im Gedanken, im Kopfe wäre, sondern so, daß der Gedanke das wahre Wesen der Dinge ist. So hat es Leukipp auch verstanden, und seine Philosophie ist mithin gar nicht empirisch. Tennemann (Bd. I, S. 261) sagt dagegen ganz schief: "Das System des Leukipp ist das entgegengesetzte des eleatischen; er erkennt die Erfahrungswelt für die einzig objektiv reale und die Körper für die einzige Art von Wesen." Aber das Atome und das Leere sind keine Dinge der Erfahrung. Leukipp sagt: die Sinne sind es nicht, durch die wir des Wahren bewußt werden, - Idealismus im höheren Sinne, nicht subjektiver.
b) Von Atom ist die Übersetzung Individuum, nur stellen wir uns dabei sogleich ein konkretes Einzelnes vor. Diese Prinzipien sind hoch zu achten, denn sie sind ein Fortschritt; das Unzureichende tritt aber sogleich hervor, sowie von ihnen weiter fortgegangen wird. Die weitere Vorstellung von allem Konkreten, Wirklichen ist nämlich: "Das Volle aber ist nichts Einfaches, sondern es ist ein unendlich Vielfaches. Diese unendlich Vielen bewegen sich im Leeren; denn das Leere ist. Ihre Vereinigung (Zusammenkommen) macht das Entstehen" - d. h. von einem existierenden Dinge, das für die Sinne ist -, "die Auflösung und Trennung das Vergehen." Alle weiteren Kategorien fallen hier hinein. "Die Tätigkeit und Passivität besteht darin, daß sie sich berühren; aber ihre Berührung ist nicht, daß sie eins werden, denn aus dem, was wahrhaft (abstrakt) eins ist, wird nicht eine Menge, noch aus dem, was wahrhaft (abstrakt) viel ist, eins." Oder: "Sie sind in der Tat weder passiv noch tätig", sie bleiben immer durchs Leere getrennt. Denn als tätig und passiv sind sie aufeinander bezogen; d. h. sie sind eins miteinander, und sie sind nicht absolut Viele, d. h. in ihrer Vielheit an und für sich Seiende; sondern die Beziehung und Trennung, das Verhältnis der Aktivität und "Passivität ist allein das Leere", - ein rein Negatives für sie, d. h. das ihnen Fremde; ihre Beziehung ist etwas anderes als sie. So z. B. wenn ich zähle, ein Geldstück, zwei, drei usf., so ist dies weder eine Tätigkeit dieser Stücke noch ein Leiden; sie bleiben, was sie sind, es ist keine Beziehung derselben. Die Atome sind also, selbst bei der erscheinenden Vereinigung in dem, was wir Dinge nennen, getrennt voneinander durch das Leere. Dies Leere ist auch das Prinzip der Bewegung, die Atome bewegen sich im Leeren; und dies ist gleichsam eine Sollizitation von ihnen, dieses Leere zu erfüllen, es zu negieren. Dies sind ihre Sätze.7)
Wir sehen, daß wir unmittelbar an der Grenze dieser Gedanken sind; denn wo von Beziehung die Rede sein sollte, treten wir heraus aus ihnen. α) Erstlich das Gedachte ist, wie schon erinnert, das Sein und Nichtsein, und vorgestellt als Verschiedene in Beziehung aufeinander (denn an sich haben sie keine Verschiedenheit) das Volle und Leere, - das für das Bewußtsein gesetzte Sein und Nichtsein. β) Das Volle aber hat ebensowohl die Negativität an ihm selbst, es ist als Fürsichseiendes ein Anderes, für sich ausschließend Anderes; es ist Eins und unendlich viele Eins. Das Leere ist aber nicht das Ausschließende, sondern die reine Kontinuität; Eins und Kontinuität sind die Gegensätze. γ) Beide nun so fixiert, so ist für die Vorstellung nichts annehmlicher, als in der seienden Kontinuität die Atome schwimmen - sie bald getrennt, bald vereinigt werden - zu lassen, so daß ihre Vereinigung nur eine oberflächliche Beziehung, eine Synthesis ist, die nicht durch die Natur des Vereinten bestimmt ist, sondern worin im Grunde diese an und für sich Seienden noch getrennt bleiben, - keine Beziehung derselben an ihnen selbst, Besonderung.
Dies ist aber ein ganz äußerliches Verhalten; Selbständige werden verbunden mit Selbständigen, bleiben selbständig, und so ist es nur eine mechanische Vereinigung. Alles Lebendige, Geistige usf. ist so nur zusammengesetzt, und die Veränderung, Erzeugung, Schaffung ist daher bloß Vereinigung. Hier zeigt sich gleich die ganze Dürftigkeit. Auch in neuerer Zeit, besonders durch Gassendi, ist diese Vorstellung von Atomen erneuert worden. Aber die Hauptsache ist, daß, sowie man diese Atome, molécules, kleine Teile usf. als selbständig bestehen läßt, die Vereinigung nur mechanisch wird; die Vereinigten bleiben einander äußerlich, das Band ist nur äußerlich, - eine Zusammensetzung.
So dürftig diese Vorstellung ist, so dürfen wir doch dies nicht hinzufügen, was zum Teil die Vorstellung neuerer Zeiten hinzufügt, daß einmal in der Zeit so ein Chaos gewesen sei, eine von Atomen erfüllte Leere, die dann nachher so sich verbunden und geordnet haben, daß dadurch diese Welt herausgekommen sei; sondern es ist noch jetzt und immer, daß das Ansichseiende das Leere und das Volle ist. Gerade dies ist die befriedigende Seite, welche die Naturforschung in solchen Gedanken gefunden, daß darin das Seiende in seinem Gegensatze als Gedachtes und entgegengesetzt Gedachtes ist, hiermit als an und für sich Seiendes. Die Atomistik stellt sich daher überhaupt der Vorstellung von einer Schöpfung und Erhaltung der Welt durch ein fremdes Wesen gegenüber. Die Naturforschung fühlt in der Atomistik zuerst sich davon befreit, keinen Grund für die Welt zu haben. Denn wenn die Natur als von einem Anderen erschaffen und erhalten vorgestellt wird, so wird sie vorgestellt als nicht an sich seiend, ihren Begriff außer ihr zu haben; d. h. sie hat einen ihr fremden Grund, sie als solche hat keinen Grund, sie ist nur aus dem Willen eines Anderen begreiflich; wie sie ist, ist sie zufällig, ohne Notwendigkeit und den Begriff an ihr selbst. In der Vorstellung der Atomistik aber ist die Vorstellung des Ansich der Natur überhaupt, d. h. der Gedanke findet sich selbst in ihr; und dies ist das Erfreuliche für den Begriff, eben sie zu begreifen, es als Begriff zu setzen. In den abstrakten Wesen hat die Natur den Grund an ihr selbst, ist einfach, für sich. Das bestimmte, Einem entgegengesetzte oder als dem Bewußtsein entgegengesetzte sinnliche Sein muß einen Grund haben: die Ursache ist das Entgegengesetzte, der Grund die Einheit dieser Entgegengesetzten, - ihre eigene Bestimmung. Das Atom und das Leere sind einfache Begriffe. Mehr als dies Formelle aber - daß überhaupt ganz allgemeine einfache Prinzipien, der Gegensatz des Eins und der Kontinuität aufgestellt ist, daß der Gedanke sich darin, in der Natur findet oder das Wesen ein Gedachtes an sich ist - ist nicht darin zu sehen und zu finden.
Wenn wir von einer weiteren, reicheren Naturansicht ausgehen und fordern, daß aus der Atomistik auch sie begreiflich werde, so ist die Befriedigung sogleich aus; man sieht sogleich das Inkonsequente, das Nichthinreichende, irgend damit weiterzukommen. Aber an sich ist sogleich über diese Gedanken hinauszugehen. Der Gegensatz der Kontinuität und Nichtkontinuität ist der erste; aber es sind Momente des reinen Gedankens, über die er sogleich hinausgehen muß. Denn eben diese Negativen, die Eins, sind nicht an und für sich; die Atome sind ununterscheidbar, gleich an sich, oder ihr Wesen ist als reine Kontinuität gesetzt, - sie fallen vielmehr unmittelbar in einen Klumpen zusammen. Die Vorstellung hält sie wohl auseinander, gibt ihnen ein sinnlich vorgestelltes Sein; aber sind sie gleich, so sind sie reine Kontinuität, - dasselbe was das Leere ist.
Aber das, was ist, ist konkret, bestimmt. Wo kommt nun diese Bestimmtheit her, wie Farbe, Gestalt? Das ist ganz etwas Äußerliches und Zufälliges. Die bestimmte Verschiedenheit vermißt man; das Eins, als das Fürsichseiende, verliert alle Bestimmtheit. Nimmt man verschiedene Materien an, elektrischen, magnetischen, Licht-Stoff, mechanisches Drehen der molécules, so ist man α) ganz unbekümmert um Einheit, β) sagt nie ein vernünftiges Wort über den Übergang der Erscheinungen, - nur Tautologien.
c) Leukipp und Demokrit wollten weitergehen; so tritt Beziehung ein, d. h. das Aufheben dieser Atome, ihres Anundfürsichseins. Es soll eine Pflanze erklärt werden. Woher kommt die Bestimmung? Wie will man die Unterschiedenheit aus diesen Prinzipien auffassen? (Im Politischen kommt sie vom einzelnen Willen.) Bei Leukipp ist nun das Bedürfnis eines bestimmteren Unterschiedes als dieses oberflächlichen der Vereinigung und Trennung eingetreten; er hat ihn dadurch zu machen gesucht, daß er mehr Bestimmungen an den Atomen setzt. Sie werden eben deswegen als ungleich gesetzt, und zwar ihre Verschiedenheit ebenso unendlich. Diese Verschiedenheit hat Leukipp näher auf dreierlei Weise zu bestimmen versucht. Aristoteles führt an8) , er habe gesagt, die Atome seien verschieden α) nach der Gestalt, wie A von N; β) durch die Ordnung (Ort), wie AN oder NA; γ) durch die Stellung, ob sie aufrecht stehen oder liegen, wie Z, N. Daher sollen alle Unterschiede kommen. Wir sehen, dies sind ebenso wieder äußere Beziehungen, gleichgültige Bestimmungen. Gestalt, Ordnung und Lage sind unwesentliche Verhältnisse - Verhältnisse, welche nicht die Natur des Dinges an sich selbst betreffen, sondern deren Einheit und Beziehung nur in einem Anderen ist, - Indifferente, nicht durch den Begriff, sein Wesen Bezogene, das gleichgültige Sein derselben. Für sich ist dieser Unterschied schon inkonsequent. Die Atome sind das ganz einfache Eins; von Gestalt, Ordnung kann da nicht die Rede sein; sie sind einander vollkommen gleich, einer solchen Verschiedenheit gar nicht fähig; also ist ihre Stellung kein Unterschied. Diese Bestimmungen sind für sich sehr dürftig. Es ist Zurückführen des Sinnlichen auf wenige Bestimmungen; aber das Sinnliche ist als selbständig angenommen, - in Materien.
Aristoteles sagt von Leukipp9) , "er wollte den Gedanken der Erscheinung und sinnlichen Wahrnehmung näherbringen", indem er das Nichts ebenso als seiend behauptete wie das Sein, und dies ist notwendig im Begriffe; "und er stellte dadurch die Bewegung, Entstehen und Untergehen als an sich seiend vor"; Werden, das für die sinnliche Anschauung ist, ist auch an sich, als eine Trennung und Vereinigung der Atome, des Einfachen, an und für sich Seienden. Aber sie ist so in der Tat nicht an den Atomen selbst, sondern ein ihnen Fremdes; weil diese rein Selbständige sind, ihr Wesen nicht der Prozeß ist. Aber wenn er nun weitergeht und das Atom auch als an sich gestaltet vorstellt, so bringt er das Wesen wohl der sinnlichen Anschauung auch so näher, aber nicht dem Begriffe. Es muß wohl zur Gestaltung fortgegangen werden, aber dahin ist noch ein weiter Weg von der Bestimmung der Kontinuität und der Diskretion.
Leukipp schränkt die fernere Bestimmung hierauf ein; alle anderen Unterschiede sollen aus diesen begriffen werden. So finden wir Bestimmung der Gestalt angeführt. Aristoteles sagt10) : "Demokrit und die meisten anderen alten Philosophen sind, wenn sie von dem Sinnlichen sprechen, sehr ungeschickt, indem sie alles Empfindbare zu einem Greiflichen machen wollen; denn sie reduzieren alles auf den Tastsinn. " Alle sinnlichen Eigenschaften "werden zurückgeführt auf Gestalt", auf die verschiedene Verbindung von molécules, die etwas zu einem "Schmeckbaren", Riechbaren macht. Weiß und schwarz sind so verschieden, seien dieses, sagen sie: "Das Schwarze sei das Rauhe, das Weiße das Glatte", - ein Versuch, der auch in der Atomistik der neueren Zeit gemacht ist. Es ist der Trieb der Vernunft, nur die Weise ist falsch; so ein Arrangement der molécules ist eine ganz nichtssagende, unbestimmte Allgemeinheit. Dieses materielle Prinzip ist mechanisch; die Franzosen, von Descartes aus, stehen auf dieser Seite. Alles Konkrete ist nur äußerliche Zusammensetzung, es ist keine immanente Bestimmtheit vorhanden; der Übergang zu weiteren als mechanischen Bestimmungen macht sich nicht oder zeigt sich als dürftig, platt und kahl. In diesen Bestimmungen dieser Philosophie liegt die Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen - primären und sekundären - Eigenschaften, von denen jene darauf sich bezogen, daß die Materie selbständig und daß sie schwer sei.
Wir finden näher, daß Leukipp aus diesen Prinzipien des Atomen und des Leeren eine Konstruktion der Welt gewagt hat, die sonderbar erscheinen kann. Wie nun Leukipp mit diesen armen Bestimmungen weitergegangen und, indem er diese Gedanken als die absoluten nahm, nicht über diese Bestimmungen hinauskam und doch das Ganze der Welt damit vorstellte - eine ebenso leere Vorstellung -, davon gibt uns Diogenes Laertios (IX, § 31-33) einen Bericht, der geistlos genug aussieht; aber die Natur der Sache erlaubte nicht viel Besseres. Es ist damit weiter nichts zu machen, als die Dürftigkeit dieser Vorstellung daraus zu ersehen.
Nämlich: "Die Atome durch die Diskretion des Unendlichen treiben sich" (es tritt Repulsion der Atome ein), "verschieden an Gestalt, in das große Leere - durch den Widerstand gegeneinander (ἀντιτυπία) und eine erschütternde, schwingende Bewegung (παλμός)11) ; hier zusammengehäuft, machen sie einen Wirbel (δίνην), wo sie, zusammenstoßend und auf mannigfaltige Weise sich kreisend, die gleichen zu den gleichen zusammen geschieden werden. Da sie aber, wenn sie im Gleichgewichte wären, wegen der Menge keineswegs irgendwohin sich bewegen könnten, so gehen die feineren in das äußere Leere, gleichsam herausspringend, die übrigen bleiben beieinander, und verwickelt laufen sie gegeneinander zusammen und machen das erste runde System. Dies steht aber wie eine Haut ab, die aller Arten Körper in sich enthält; indem diese, der Mitte entgegenstrebend, eine Wirbelbewegung machen, so wird diese umgebende Haut fein, indem nach dem Zuge des Wirbels die kontinuierlichen zusammenlaufen. Auf dieselbe Art entsteht dann die Erde, indem die in die Mitte geführten zusammenbleiben. Die Umgebung, die wie eine Haut ist, wird wieder durch den Anflug der äußeren Körper vermehrt; und da sie sich eben im Wirbel bewegt, reißt sie alles an sich was sie berührt. Die Verbindung einiger macht wieder ein System, zuerst das feuchte und schlammige, alsdann das ausgetrocknete und kreisende in dem Wirbel des Ganzen; alsdann entzündet, vollendet sich so die Natur der Gestirne. Der äußerste Kreis ist die Sonne, der innere der Mond" usf.
Dies ist eine leere Darstellung. Es ist weiter kein Interesse in diesen trüben, verworrenen Vorstellungen der Kreisbewegung und dessen, was später Anziehen und Abstoßen genannt worden ist, womit nicht weit zu kommen ist. Differente Bewegung ist als Wesen der Materie gesetzt; das Prinzip, wodurch die Atome sich bewegen, ist so das Leere, das Negative gegen das Affirmative. Das Prinzip und der Fortgang desselben ist hoch zu achten; aber sowie damit an das Konkrete gegangen wird, zeigt sich die Dürftigkeit für diese konkreten weiteren Bestimmungen.
Demokrit ist zuverlässiger aus Abdera (in Thrakien am ägäischen Meer), der in späteren Zeiten wegen ungeschickter Handlungen so berüchtigten Stadt. Er ist, wie es scheint, um die 80. Olympiade (460 v. Chr.) oder Ol. 77, 3 (470 v. Chr.) geboren; einige lassen ihn um die 71. Olympiade (494 v. Chr.) geboren werden.12) Er ist - Diogenes Laertios gibt es an (IX, § 34) - vierzig Jahre jünger als Anaxagoras (wenn er nicht Ol. 71 geboren, sondern Ol. 80), lebte noch zu Sokrates' Zeiten und ist selbst jünger als dieser. Sein Verhältnis zu den Abderiten ist viel besprochen worden, und viele schlechte Anekdoten werden darüber von Diogenes Laertios erzählt. Er ist bekannt, weil er sich von seinen Mitbürgern zurückzog. Er war sehr reich; sein Vater soll den Xerxes auf seinem Zuge nach Griechenland bewirtet haben.13) Es wird von ihm berichtet, daß er sein ansehnliches Vermögen auf Reisen nach Ägypten und in das innere Morgenland verwandt habe; doch das letztere hat keine Glaubwürdigkeit. Sein Vermögen wird auf 100 Talente angegeben14) , und wenn ein attisches Talent von etwa 1000-1200 Taler darunter gemeint wäre, so hätte er allerdings damit schon weit kommen können. Daß er ein Freund und Schüler Leukipps gewesen, wird einstimmig berichtet; wo sie aber zusammen gewesen, ist nicht berichtet. "Nachdem er von seinen Reisen in sein Vaterland zurückgekommen, lebte er sehr eingezogen" (war verachtet von den Abderiten), "da er sein ganzes Vermögen verzehrt hatte, wurde aber von seinem Bruder aufgenommen und gelangte zu hoher Verehrung bei seinen Landsleuten", nicht durch seine Philosophie, sondern "durch einige Weissagungen. Nach dem Gesetze konnte der, welcher sein väterliches Vermögen durchgebracht hatte", kein ehrliches Begräbnis erhalten, d. h. "nicht in den väterlichen Begräbnisort aufgenommen werden. Um nun der Verleumdung und der üblen Nachrede" (als ob er sein Vermögen durch Liederlichkeit verschwendet) "keinen Raum zu geben, hat er den Abderiten sein Werk Διάϰοσμος vorgelesen, und diese haben ihm dafür ein Geschenk von 500 Talenten gemacht, seine Bildsäule öffentlich aufstellen lassen und ihn mit großem Pomp begraben, nachdem er, bei 100 Jahre alt, gestorben."15) Daß dies auch ein Abderitenstreich gewesen sei, dafür haben es die wenigstens nicht angesehen, welche uns diese Erzählung hinterlassen haben.
Es ist schon erinnert worden, daß Demokrit ganz das Leukippische System aufnahm. Er sagte: "Nach der Meinung (νόμῳ) ist Warmes, nach der Meinung Kaltes, nach der Meinung Farbe, Süßes und Bitteres; nach der Wahrheit (ἐτεῃ) nur die Unteilbaren und das Leere." 16) Es wird freilich berichtet, daß er des Leukipp Gedanken mehr ausgebildet habe; es ist uns zwar darüber einiges aufbehalten, das aber keiner Anführung wert ist.
"Die Seele sei kugelförmige Atome."17) Wir sehen näher, daß er sich auf das Verhältnis des Bewußtseins eingelassen, unter anderem, daß er sich auf die Erklärung des Ursprungs der Empfindungen eingelassen und daß bei ihm die Vorstellungen anfangen, daß von den Dingen gleichsam feine Oberflächen sich ablösen, die in die Augen und Ohren hereinfließen usf.18) Sonst wie - da Figur, Ordnung und Lage (Gestalt überhaupt) die einzige Bestimmung des Ansichseienden ist - diese Momente doch als Farbe und unterschiedene Farbe usf. empfunden werden, darüber ist nichts gesagt. Es ist darin nichts zu sehen, als α) daß die Wirklichkeit ihr Recht hier behält, statt andere nur von Täuschung sprechen, und β) daß das Bestreben der Vernunft eigentlich dahin geht, die Erscheinung, das Wahrgenommene zu begreifen.
So viel sehen wir, daß Demokrit den Unterschied der Momente des Ansich- und des Für-Anderes-Seins bestimmter ausgesprochen hat. Denn an sich ist nur das Leere und Unteilbare und ihre Bestimmungen; für ein Anderes aber ist gleichgültiges, differentes Sein, die Wärme usf. Aber es ist damit auch zugleich dem schlechten Idealismus Tor und Tür aufgetan, der mit dem Gegenständlichen dann fertig zu sein meint, wenn er es aufs Bewußtsein bezieht und von ihm nur sagt, es ist meine Empfindung, mein. Damit ist die sinnliche Einzelheit zwar in der Form des Seins aufgehoben, aber es bleibt noch dieselbe sinnliche Vielheit; es ist eine sinnliche, begriffslose Mannigfaltigkeit des Empfindens gesetzt, in der keine Vernunft ist und um welche sich dieser Idealismus weiter nicht bekümmert.
6) M: Aristoteles, De generatione et corruptione I, 8
7) M: Aristoteles, De generatione et corruptione I, 8
8) M: Metaphysik I, 4
9) M: De generatione et corruptione I, 8
10) M: De sensu, c. 4
11) M: Plutarch, De placitis philosophorum I, 26; Stobaios, Eclogae physicae, c. 20; Tennemann, Bd. I, S. 278
12) M: Diogenes Laertios IX, § 41; Tennemann, Bd. I, S. 415
13) M: Valerius Maximus VIII, 7
14) M: Diogenes Laertios IX, § 35-36
15) M: Diogenes Laertios IX, § 39
16) M: Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII, § 135
17) M: Aristoteles, De anima I, 2
18) M: Plutarch, De placitis philosophorum IV, 8
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