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G.W.F.Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie / ... / A. Jacobi <<< Neueste deutsche Philosophie
A. Jacobi
In Verbindung mit Kant müssen wir hier vorher auch noch von Jacobi sprechen; die Jacobische Philosophie ist mit der Kantischen Philosophie gleichzeitig. Das Resultat ist dasselbe im ganzen, nur ist teils der Ausgangspunkt, teils der Gang ein anderer. Der äußerliche Ausgangspunkt ist bei Jacobi mehr die französische Philosophie (und deutsche Metaphysik), er wurde durch sie angeregt; Kant fing mehr von der englischen Seite, dem Humeschen Skeptizismus, an. Jacobi, in seinem negativen Verhalten (wie Kant), hat mehr das Objektive der Erkenntnisweise vor sich gehabt und betrachtet, er erklärte die Erkenntnis ihrem Inhalt nach für unfähig, das Absolute zu erkennen. Kant betrachtet nicht den Inhalt; er erkannte das Erkennen als subjektiv und erklärte es daher für unfähig, das an und für sich Seiende zu erkennen. - Was ist das Wahre? Dieses Wahre muß konkret, präsent, nicht aber endlich sein. - Es ist Fortsetzung, Hinausgehen über die vorige Periode. >>> [Zweiter Abschnitt: Periode des denkenden Verstandes]
Friedrich Heinrich Jacobi, 1743 zu Düsseldorf geboren, stand in bergischen und nachmals in bayerischen Diensten. In Genf und Paris hat er sich ausgebildet, dort mit Bonnet, hier mit Diderot Umgang gehabt. In Düsseldorf trat er in ein öffentliches Amt (Administration der ökonomisch-finanziellen Partie). Mit der Französischen Revolution wurde er außer Aktivität gesetzt. Als bayerischer Beamter ging er nach München, wurde dort 1804 Präsident der Akademie der Wissenschaften, welche Stelle er jedoch 1812 niederlegte. In napoleonischen Zeiten wurden die Protestanten als demagogisch verschrien. Bis ans Ende seines Lebens lebte er in Paris; 1819 starb er am 10. März. Jacobi ist vom edelsten Charakter, ein tief gebildeter Mann, der lange in Geschäften des Staats gelebt hat und der sehr vertraut war mit der französischen Philosophie.
1785 gab er Briefe über Spinoza heraus; sie wurden 1783 geschrieben. Die Ausgabe hat äußere Veranlassung; er hat nicht systematisch, nur in Briefen philosophiert. Ein zufälliger Streit mit Mendelssohn, der eine Lebensbeschreibung Lessings machen wollte, gab Veranlassung, daß Jacobi seine Ansichten entwickelte. Jacobi ließ ihm sagen, ob es ihm bekannt sei, daß Lessing ein Spinozist gewesen.5) Mendelssohn wurde ungehalten, und dies veranlaßte den Briefwechsel. Und es zeigte sich im Verfolg des Streites, daß diejenigen, welche sich für Männer vom Fach hielten, für Männer vom Fach der Philosophie und vom Monopol der Freundschaft Lessings, wie Nicolai, Mendelssohn usf., nichts vom Spinozismus wußten; es zeigte sich bei ihnen nicht nur Flachheit der philosophischen Einsicht, sondern sogar Unwissenheit. Die Wolffische Philosophie wurde fortgesetzt, hatte ihre pedantische Form verlassen, kam aber darum nicht weiter. Mendelssohn hielt sich, wurde für den größten Philosophen gehalten und von seinen Freunden gelobt. Seine Morgenstunden sind trockene Wolffische Philosophie, sosehr diese Herren auch heitere platonische Form ihren strohernen Abstraktionen zu geben sich bemühten. Es handelt sich von den angenehmen und unangenehmen Empfindungen, Vollkommenheit, was möglich sei zu denken und nicht. Die Metaphysik ist auf ihr Dünnstes reduziert worden; es blieb kein fester Faden. In dem Briefwechsel kommt sogleich vor, wie Spinoza vergessen worden ist. Mendelssohn zeigte Ignoranz selbst über das äußerlich Historische der spinozistischen Philosophie, viel mehr noch über das Innere.6) Daß Jacobi Lessing für einen Spinozisten ausgab und die Franzosen heraushob, - dieser Ernst kam den Herren wie ein Donnerschlag vom blauen Himmel herunter. Sie - selbstgefällig, fertig, obenauf - waren ganz verwundert, daß er auch etwas wissen wolle, und von solchem "toten Hund" wie Spinoza.7) Bei dieser Gelegenheit kam es zu Erklärungen, in denen Jacobi seine philosophischen Ansichten näher entwickelte.
Mendelssohn stand Jacobi so gegenüber, daß Mendelssohn auf dem Erkennen bestand, ins Denken und Begreifen unmittelbar das Wahre und Wesen setzte, und behauptete: "Was ich als wahr nicht denken kann, macht mich als Zweifel nicht unruhig. Eine Frage, die ich nicht begreife, kann ich auch nicht beantworten, ist für mich so gut als keine Frage."8) Damit trieb er sich herum. So enthält sein Beweis vom Dasein Gottes eben diese Notwendigkeit des Denkens: daß die Wirklichkeit schlechthin gedacht werden müsse und ein Denkendes voraussetze, oder die Möglichkeit des Wirklichen im Denkenden ist. "'Was kein denkendes Wesen als möglich vorstellt, ist auch nicht möglich; und was von keinem denkenden Wesen als wirklich gedacht wird, kann auch in der Tat nicht wirklich sein.'" "Man hebe von irgendeinem Etwas den Begriff eines denkenden Wesens auf", den Begriff desselben, "daß jenes Etwas möglich oder wirklich sei, so ist dies Etwas selbst aufgehoben." Begriff ist das Wesen. "Kein endliches Wesen kann die Wirklichkeit eines Dinges auf das Vollkommenste als wirklich denken, und noch weniger kann es die Möglichkeit und Wirklichkeit aller vorhandenen Dinge einsehen: 'Es muß also ein denkendes Wesen oder einen Verstand geben, der den Inbegriff aller Möglichkeiten als möglich und den Inbegriff aller Wirklichkeiten als wirklich auf das Vollkommenste denkt; d. h. es muß einen unendlichen Verstand geben, und dieser ist Gott.'"9) Wir sehen α) Einheit des Denkens und Seins, β) die absolute Einheit als unendlichen Verstand: jenes das Selbstbewußtsein, das nur als endliches begriffen ist. Die Wirklichkeit, das Sein hat seine Möglichkeit im Denken, oder seine Möglichkeit ist Denken; es ist nicht Herausgehen aus der Möglichkeit zur Wirklichkeit.
Jacobi steht dieser Forderung des Denkens so gegenüber, daß das Denken nicht die Quelle der Substanz, sondern die Substanz die Quelle des Denkens ist. "Also muß vor dem Denken etwas Nichtdenkendes als das Erste angenommen werden; etwas, das, wenn schon nicht durchaus in der Wirklichkeit, doch der Vorstellung, dem Wesen, der inneren Natur nach als das Vorderste gedacht werden muß." - Mendelssohn sagt darüber: "Sie scheinen hier etwas denken zu wollen, das kein Gedanke ist; einen Sprung in das Leere zu tun, dahin uns die Vernunft nicht folgen kann. Sie wollen sich etwas denken, das vor allem Denken vorhergeht und also dem allervollkommensten Verstande selbst nicht denkbar sein kann."10)
1. Der Hauptgedanke Jacobis ist nach einer Seite: "Jeder Weg der Demonstration geht in den zum Fatalismus aus", Atheismus, Spinozismus11) , - stellt Gott vor als ein Abgeleitetes, in etwas Gegründetes; Begreifen heißt, seine Abhängigkeit aufzeigen. Man gibt eine Ursache an von etwas, dieses hat wieder eine endliche Wirkung; das ist das vermittelte Wissen überhaupt. Er behauptet, daß das Erkennen sich durchaus nur aufs Endliche beziehen kann. Das ist im ganzen mit dem Kantischen Resultat dasselbe, daß wir nur Erscheinungen erkennen; der Ausdruck Erscheinung drückt die subjektive Form aus.
Was nun Jacobis Ansicht über das Erkennen anbetrifft, so hat er darüber die Vorstellung, daß er sagt: Die Vernunft - später bestimmte er es anders, unterschied Vernunft und Verstand (davon nachher), und statt der Vernunft sagt er nachher Verstand12) - kann "immer nur Bedingungen des Bedingten, Naturgesetze, Mechanismus zutage bringen. Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können", nicht aus der entfernten; die entfernteste ist immer Gott. Die nächste bestimmte Ursache des Gegenstandes ist zu erkennen; Gott ist die ganz allgemeine Ursache. Oder wir erkennen die Sache, wenn wir "ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen". Das ist allerdings endliches Erkennen; jede Bedingung ist wieder ein Bedingtes. "So begreifen wir z. B. einen Zirkel, wenn wir uns den Mechanismus seiner Entstehung oder seine Physik deutlich vorzustellen wissen; die syllogistischen Formeln, wenn wir die Gesetze, welchen der menschliche Verstand im Urteilen und Schließen unterworfen ist, seine Physik, seinen Mechanismus wirklich erkannt haben ... . Darum haben wir von Qualitäten als solchen keine Begriffe, sondern nur Anschauungen ... . Selbst von unserem eigenen Dasein haben wir nur ein Gefühl, aber keinen Begriff. Eigentliche Begriffe haben wir nur von Figur, Zahl, Lage, Bewegung und den Formen des Denkens", - Qualitäten sind erkannt, begriffen, wenn sie darauf zurückgeführt, objektiv vernichtet sind.13) Dies ist nun das Erkennen überhaupt: von etwas Bestimmtem seine Bedingungen angeben, es als Bedingtes, von anderem Bewirktes, von einer Ursache Hervorgebrachtes aufzeigen.
"Das Geschäfte der Vernunft überhaupt ist progressive Verknüpfung und ihr spekulatives Geschäft Verknüpfung nach erkannten Gesetzen der Notwendigkeit, d. i. des Identischen ... . Alles, was die Vernunft durch Zergliedern, Verknüpfen, Urteilen, Schließen und Wiederbegreifen" (ihre Tätigkeit) "herausbringen kann, sind lauter Dinge der Natur" (Endlichkeiten); "und die menschliche Vernunft selbst gehört, als eingeschränktes Wesen, mit zu diesen Dingen. Die gesamte Natur aber, der Inbegriff aller bedingten" (endlichen) "Wesen, kann dem forschenden Verstande mehr nicht offenbaren, als was in ihr enthalten ist: nämlich mannigfaltiges Dasein, Veränderungen, Formenspiel" (Bedingtes), "nie einen wirklichen Anfang" (Anfang der Welt), "nie ein reelles Prinzip irgendeines objektiven Daseins." Erkennen ist: bestimmte Bedingung einsehen; diese ist wieder endlich. - Zweitens: "Versteht man unter Vernunft das Prinzip der Erkenntnis überhaupt, so ist sie der Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist; durch sie besteht der Mensch, er ist eine Form, die sie angenommen hat."14)
Damit hängt zusammen seine Ansicht über das Unternehmen, das Unbedingte erkennen zu wollen: "Ich nehme den ganzen Menschen ... und finde, daß sein Bewußtsein aus zwei ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstellung des Bedingten und des Unbedingten, zusammengesetzt ist. Beide sind unzertrennlich miteinander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt und mit dieser nur gegeben werden kann", - die Vorstellung des Bedingten nur durch die Vorstellung des Unbedingten. "Wir haben von seinem Dasein" (des Unbedingten) "dieselbe, ja eine größere Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Dasein haben."
"Da unser bedingtes Dasein" und Erkennen nun "auf einer Unendlichkeit von Vermittlungen beruht, so ist damit unserer Nachforschung ein unabsehliches Feld eröffnet, welches wir schon um unserer physischen Erhaltung willen" (um praktischer Zwecke) "zu bearbeiten genötigt sind." Ein ganz anderes aber wäre, das Unbedingte erkennen zu wollen. "Bedingungen des Unbedingten entdecken, dem absolut Notwendigen eine Möglichkeit erfinden und es konstruieren zu wollen, um es begreifen zu können, ... dies ist es, was wir unternehmen, wenn wir uns bemühen, der Natur ein uns begreifliches, d. i. ein bloß natürliches Dasein auszumachen und den Mechanismus des Prinzips des Mechanismus an den Tag zu bringen. Denn wenn alles, was auf eine uns begreifliche Weise entstehen und vorhanden sein soll, auf eine bedingte Weise entstehen und vorhanden sein muß, so bleiben wir, solange wir begreifen, in einer Kette bedingter Bedingungen. Wo diese Kette aufhört, da hören wir auf zu begreifen; und da hört auch der Zusammenhang, den wir Natur nennen, selbst auf. Der Begriff der Möglichkeit des Daseins der Natur wäre also der Begriff eines absoluten Anfangs oder Ursprungs der Natur; er wäre der Begriff des Unbedingten selbst, insofern es die nicht natürlich verknüpfte, d. i. für uns unverknüpfte - unbedingte Bedingung der Natur ist. Soll nun ein Begriff dieses Unbedingten und Unverknüpften - folglich Außernatürlichen - möglich werden, so muß das Unbedingte aufhören, das Unbedingte zu sein, es muß selbst Bedingungen erhalten; und das absolut Notwendige muß anfangen, das Mögliche zu werden, damit es sich konstruieren lasse." Das ist widersprechend. Dies ist nun der Gedanke Jacobis.
Das Unbedingte wird auch "das Übernatürliche genannt", das Unbegreifliche; dahin gehört auch die Natur. "Da alles was außer dem Zusammenhange des Bedingten, des natürlich Vermittelten liegt, auch außer der Sphäre unserer deutlichen Erkenntnis liegt und durch Begriffe nicht verstanden werden kann, so kann das Übernatürliche auf keine andere Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist, nämlich als Tatsache. - Es ist!", ist dies Unvermittelte. Und "dieses Übernatürliche", Unendliche, "dieses Wesen aller Wesen", was ist, "nennen alle Zungen: den Gott".15)
Das Unbedingte hat also keine Bedingung, kann nicht erkannt werden, ist nur als Tatsache für uns, auf unmittelbare, nicht vermittelte Weise. - Der Unterschied von der Jacobischen und Kantischen Ansicht ist der, daß bei Kant die Kategorien nichts taugen, das Erkennen nur Erkennen der Erscheinung ist, nicht dessen, was ist; und dies geschieht, weil die Kategorien nur subjektiv sind, nicht weil sie beschränkt, endlich sind; sondern die Hauptsache ist immer, daß sie subjektiv sind. Bei Jacobi ist dagegen dies die Hauptsache, daß die Kategorien nicht nur subjektiv sind, sondern daß sie sind Bedingungen und bedingte Bedingungen; und begreifen heißt, den Zusammenhang durch Kategorien setzen, d. h. durch bedingte Bedingungen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied; aber im Resultat kommen beide überein.
2. Also nach dem zweiten Hauptsatze kann das Übernatürliche nur als Tatsache ausgesprochen werden; es ist, alle Zungen nennen es Gott. Das unmittelbare Wissen hat nun Jacobi Glauben genannt.16) Er geht ins Selbstbewußtsein zurück, wir finden bei ihm das Denken in seiner subjektiven Haltung. Gott, das Absolute, Unbedingte kann nicht bewiesen werden. Denn beweisen, begreifen heißt, Bedingungen für etwas erfinden, es aus Bedingungen ableiten; aber ein abgeleitetes Absolutes, Gott usf. wäre so nicht ein Absolutes, nicht ein Unbedingtes, nicht Gott.17) Nun ist in unserem Bewußtsein Bewußtsein von Gott, und dies ist so beschaffen, daß mit dem Gedanken von Gott unmittelbar verknüpft ist, daß er ist. Und dies Wissen kann nach Jacobi kein Bewiesenes sein; es ist so ein nicht in unserem Wissen vermitteltes, sondern ein unmittelbares Wissen, - an dies kann man appellieren im Menschen. Der Mensch geht in seiner Vorstellung, seinem Denken über das Natürliche, Endliche hinaus, geht fort zu einem Übernatürlichen, Übersinnlichen; und daß dies ist, ist ihm so gewiß als er selbst. Die Gewißheit, daß es ist, ist identisch mit seinem Selbstbewußtsein; so gewiß ich bin, so gewiß ist Gott.18) Dies unmittelbare Wissen von Gott ist hier der Punkt, der in der Jacobischen Philosophie festgesetzt ist; Jacobi nennt dies nun auch Glauben. Kants und Jacobis Glaube sind verschieden. Bei Kant ist es ein Postulat der Vernunft, die Forderung der Auflösung des Widerspruchs der Welt und des Guten; bei Jacobi ist es unmittelbares Wissen für sich und ist so vorgestellt.
Alles, was nun seit Jacobis Zeit von Philosophen wie Fries und Theologen über Gott geschrieben ist, beruht auf dieser Vorstellung vom unmittelbaren Wissen, intellektuellen Wissen; und man nennt dies auch Offenbarung, aber in einem anderen Sinn als Offenbarung in theologischer Bedeutung. Die Offenbarung als unmittelbares Wissen ist in uns selbst, während die Kirche die Offenbarung als ein Mitgeteiltes von außen nimmt.19) Der Glaube im theologischen Sinn ist Glaube an etwas, was ein Gegebenes ist durch Lehre. So ist es gleichsam ein Betrug, wenn hier von Glaube und Offenbarung gesprochen wird und vorgestellt wird, als sei von Glauben und Offenbarung im theologischen Sinn die Rede, da doch hier der philosophisch sein sollende Sinn ein ganz anderer ist, so fromm man auch tut. Dies ist der Standpunkt Jacobis; und was auch von Philosophen und Theologen dagegen gesagt ist, er ist sehr gern aufgenommen und verbreitet. Und man findet überall nichts als die Jacobischen Gedanken, wobei denn das unmittelbare Wissen dem philosophischen Erkennen, der Vernunft entgegengesetzt wird; und dann sprechen sie über Vernunft, Philosophie usf. wie der Blinde von der Farbe. Man gibt zwar zu, daß einer keinen Schuh machen könne, wenn er nicht Schuhmacher ist, obgleich er das Maß, den Fuß hat und auch die Hände. Hingegen von der Philosophie hat das unmittelbare Wissen die Meinung, daß jeder, wie er geht und steht, ein Philosoph ist, absprechen könne, wie er wolle, Bescheid wisse in der Philosophie.
Unter Vernunft versteht man einerseits vermittelte Erkenntnis, und andererseits gerade die intellektuelle Anschauung selbst. Es ist einerseits ein richtiges Moment, daß Vernunft das Wissen und Offenbaren des Anundfürsichseienden ist, da der Verstand das Offenbaren des Endlichen ist.20) Aber unter Glauben, Wissen als unmittelbar, wird dann auch jeder andere Inhalt begriffen; oder Jacobi nennt so diese Unmittelbarkeit, in welcher wir alles Sein, "daß wir einen Körper haben", Papier hier liegt, "andere wirkliche Dinge gewahr werden, und zwar mit ebensolcher Gewißheit, mit der wir uns selbst gewahr werden." Wir erhalten durch Beschaffenheiten, die wir annehmen, alle Vorstellungen, und es gibt keinen anderen Weg reeller Erkenntnis; denn die Vernunft, wenn sie Gegenstände gebiert, sind es Hirngespinste. "So haben wir denn eine Offenbarung der Natur."21) Alles, was ich unmittelbar weiß, ist Glaube. So wird der Ausdruck Glaube, der in der Religion hohen Wert hatte, gebraucht für den Inhalt jeglicher Art; dies ist der allgemeinste Standpunkt unserer Zeit.
Jacobi läßt hier den Glauben dem Denken gegenübertreten. Vergleichen wir beide miteinander, ob sie so himmelweit unterschieden sind, als diese meinen, die sie so entgegensetzen. α) Dem Glauben ist das absolute Wesen unmittelbar; das glaubende Bewußtsein fühlt sich davon durchdrungen. als von seinem Wesen: es ist sein Leben, es setzt sich unmittelbar eins mit ihm. Das Denken denkt das absolute Wesen; es ist das absolute Denken, absoluter Verstand, reines Denken; d. h. aber, es ist ebenso unmittelbar es selbst. β) Dem Glauben hat die Unmittelbarkeit des absoluten Wesens zugleich die Bedeutung eines Seins; es ist und ist ein Anderes als Ich. Ebenso dem Denkenden; es ist ihm absolutes Sein, Wirkliches an sich selbst und Anderes als das Selbstbewußtsein oder das Denken als endlicher Verstand, wie es genannt wird.
Was ist es nun, warum sich Glauben und Denken nicht verstehen, eins sich im anderen nicht erkennt? α) Der Glaube hat kein Bewußtsein darüber, daß er ein Denken ist, indem er das absolute Bewußtsein unmittelbar eins mit ihm als Selbstbewußtsein setzt; er weiß von ihm im Innern unmittelbar. Aber diese einfache Einheit spricht er aus; sie ist in seinem Bewußtsein nur als die Unmittelbarkeit in der Bedeutung des Seins, eine Einheit seines bewußtlosen Wesens, Substanz. Im Denken ist das Fürsichsein enthalten; diesem setzt er jene Unmittelbarkeit des Seins entgegen. β) Das Denken dagegen hat das Unmittelbare als absolute Möglichkeit, als absolut Gedachtes, - die Unmittelbarkeit, mit der es in ihm ist, also nicht in der Bestimmtheit des Seins, Lebens. - Auf der Spitze dieser Abstraktion stehen sich beide entgegen, wie die Aufklärung, die das absolute Wesen als ein Jenseits des Selbstbewußtseins setzt, und der Materialismus, der es als gegenwärtige Materie: dort in Glauben und Denken als positives Sein oder Denken, hier als Negatives des Selbstbewußtseins, das entweder so nur als Negatives bestimmt ist, Jenseits, oder für das Selbstbewußtsein seiend zugleich.
Unmittelbares Wissen ist die Bestimmung, man mag es nun Glaube, Wissen usf. heißen. Dies ist das Erste. Fragen wir nach dem Inhalt, so wird gewußt Gott und daß er ist. Dies unmittelbare Wissen gehört jedem Individuum an; es ist das Individuelle, das der Gewißheit eines jeden als solchen angehört. Und Gott ist hier genommen in der Bestimmung eines Geistigen überhaupt, nach der Bestimmung der Macht, Weisheit usf. Das ganz allgemeine Wissen nennen wir Denken, das besondere nennen wir Anschauung; und das Hineinbringen der äußerlichen Bestimmungen nennen wir Verstand. Das Allgemeine im Menschen ist das Denken, z. B. das religiöse Gefühl; das Tier hat es nicht, es ist ein menschliches Gefühl; und sofern es religiös ist, ist es als Gefühl eines Denkenden und die Bestimmung des Gefühls nicht Bestimmung eines natürlichen Triebes usf., sondern Bestimmung des Denkens. Gott ist also das Allgemeine abstrakt genommen, und er ist ganz abstrakt, selbst in seiner Persönlichkeit die absolut allgemeine Persönlichkeit. Wesentlich ist vor Augen zu haben, daß das, was in dem unmittelbaren Wissen geoffenbart wird, das Allgemeine ist. Aber das unmittelbare Wissen ist das natürliche, das sinnliche Wissen; und wenn der Mensch dazu gekommen ist, von Gott zu wissen als nur Gegenstand des Geistes, so ist dies Resultat vermittelt durch Lehre, durch lange fortgesetzte Bildung. Die Ägypter haben ebenso unmittelbar gewußt, daß Gott ein Ochse, eine Katze ist; und die Inder wissen noch jetzt mehr dergleichen. Es ist so ein Mangel der einfachen Reflexion, nicht zu wissen, daß das Allgemeine nicht im unmittelbaren Wissen ist, sondern eine Folge ist der Bildung, der Erziehung, der Offenbarung des Menschengeschlechts. - Wenn man das unmittelbare Wissen gelten läßt, so hat es jeder nur mit sich zu tun; alles ist dann gerechtfertigt. Dieser weiß dies, jener jenes; alles ist gebilligt, das Schlechteste, Irreligiöseste usf. Das Unmittelbare ist das Natürliche; und zu wissen von Gott als einem Geistigen, ist daher wesentlich erst Resultat von Vermittlung, Lehre.
Zweitens wird nun das unmittelbare Wissen dem vermittelten Wissen entgegengesetzt; und da kommt es denn auf den Gegensatz von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit an. "Wir bestanden auf der Annahme zweier verschiedener Wahrnehmungsvermögen im Menschen: eines Wahrnehmungsvermögens durch sichtbare und greifbare, mithin körperliche Wahrnehmungswerkzeuge; und eines anderen, durch ein unsichtbares, dem äußeren Sinne auf keine Weise sich darstellendes Organ, dessen Dasein uns allein kundwird durch Gefühle. Dieses Organ, ein geistiges Auge für geistige Gegenstände, ist von den Menschen - allgemein - Vernunft genannt worden."22) Sie spricht die Tatsachen von allgemeinen, an und für sich seienden Wahrheiten aus. Diese Annahme, daß das Allgemeine ist, Gott das Wahre ist, ist unmittelbares Wissen. Er nannte es innere Offenbarung, Glaube. "Wen die reinen Gefühle des Schönen und Guten, der Bewunderung und Liebe, der Achtung und Ehrfurcht nicht überzeugen, daß er in und mit diesen Gefühlen ein von ihnen unabhängig Vorhandenes wahrnehme, welches den äußeren Sinnen und einem auf ihre Anschauungen allein gerichteten Verstande unerreichbar ist, - wider den ist nicht zu streiten."23)
Diese Philosophie ist utiliter akzeptiert worden (man hat es leichter gehabt als mit Kant): "Weiter als bis zum Gefühl Gottes kann der Gedanke überhaupt nicht gehen." Das Erkennen ist noch ganz anderer Art, als was Jacobi so nennt; gegen das endliche Erkennen ist sein Argumentieren ganz richtig. Das unmittelbare Wissen ist nicht Erkennen, Begreifen; denn dazu gehört, daß der Inhalt bestimmt in sich, als konkret gefaßt werde. Bei dem unmittelbaren Wissen ist es der Fall, daß von Gott nur das gewußt wird, daß er Gott ist. Sollte es Bestimmungen geben von Gott, so müßten sie nach Jacobi als ein Endliches gefaßt werden; ihr Erkennen wäre wieder Fortgang von Endlichem zu Endlichem. Es bleibt also nur die unbestimmte Vorstellung von Gott, - ein "Über mir", bestimmungsloses Jenseits. So ist das dasselbe Resultat als die Aufklärung, - das höchste Wesen, wie bei der französischen Philosophie. Es ist dies das Resultat der Aufklärung (wie bei Kant), nur noch mit der Meinung, als ob diese Leerheit die höchste Philosophie wäre.
Dies sind sehr dürftige Bestimmungen. Wenn die Bestimmung der Philosophie darauf hinausliefe, so wäre sie sehr arm; diese Bestimmungen sind nur Formen, deren keine für sich Wahrheit hat. Die letzte Form, daß die Unmittelbarkeit als das Absoluteste gefaßt wird, zeigt den Mangel aller Kritik, aller Logik. Die Kantische Philosophie ist die kritische Philosophie; aber man hat es aus ihr vergessen, daß man das Unendliche nicht mit endlichen Kategorien ausmachen kann. Was den Gegensatz näher anbetrifft, so kann alles Wissen unmittelbar sein; aber alles unmittelbare Wissen ist auch vermittelt in sich. Dies wissen wir in unserem Bewußtsein und können es an den allgemeinsten Erscheinungen sehen. Ich weiß z. B. unmittelbar von Amerika, und doch ist dies Wissen sehr vermittelt. Stehe ich in Amerika und sehe den Boden, so mußte ich erst hinreisen, Columbus mußte es erst entdecken, Schiffe mußten gebaut werden usf.; alle diese Erfindungen gehören dazu. Das, was wir jetzt unmittelbar wissen, ist ein Resultat von unendlich vielen Vermittlungen. Sowie ich ein rechtwinkliges Dreieck sehe, weiß ich, die Quadrate der Katheten sind gleich dem Quadrate der Hypothenuse; ich weiß dies unmittelbar, und doch habe ich es nur gelernt und bin überzeugt durch die Vermittlung des Beweises. Das unmittelbare Wissen ist so überall vermittelt. Daß aber auch das als unmittelbar behauptete Wissen von Gott ein vermitteltes Wissen ist, ist ebenso leicht einzusehen. Der unmittelbare Mensch ist der natürliche Mensch in seinem natürlichen Verhalten, in seiner Begierde, der nicht das Allgemeine weiß. Die Kinder, die Eskimos usf. wissen von Gott nichts; der natürliche Mensch ist, wie er nicht sein soll. Es gehört die Vermittlung dazu, vermittels der Erhebung über das Natürliche zum Bewußtsein, zum Wissen des Allgemeinen, des Höheren zu kommen; dann weiß man es zwar unmittelbar, aber man kommt nur durch die Vermittlung dazu. Ich denke, ich weiß von dem Allgemeinen unmittelbar; aber eben dies Denken ist der Prozeß in sich selbst, - es ist Bewegung, Lebendigkeit. Alle Lebendigkeit ist Prozeß in sich, ist vermittelt, um so mehr noch geistige Lebendigkeit; und sie ist dies, von einem zum anderen überzugehen, vom bloß Natürlichen, Sinnlichen zum Geistigen. Der Gegensatz vom unmittelbaren und vermittelten Wissen ist so ganz leer; es ist eine der letzten Flachheiten, so etwas für einen wahrhaften Gegensatz zu halten: es ist der trockenste Verstand, der meint, daß eine Unmittelbarkeit etwas sein könne für sich, ohne Vermittlung in sich. Und die Philosophie tut nichts, als dies zum Bewußtsein zu bringen; die Philosophie zeigt die Vermittlung, die der Sache nach darin ist, z. B. in der Religion usf., auf.
Wenn jeder Standpunkt aber eine Seite hat, worin er gerechtfertigt ist, so liegt in diesem Standpunkte, daß der menschliche Geist unmittelbar von Gott weiß, das Große, daß dies eine Anerkenntnis der Freiheit des menschlichen Geistes ist. In ihr ist die Quelle des Wissens von Gott, alle Äußerlichkeit, Autorität ist so in diesem Prinzip aufgehoben. Es ist das Prinzip, aber auch nur das Prinzip der Freiheit des Geistes. Es ist das Große unserer Zeit, daß die Freiheit, das Eigentum des Geistes, daß er in sich bei sich ist, anerkannt ist, daß er in sich dies Bewußtsein hat. Dies ist aber nur abstrakt; denn das Weitere ist, daß das Prinzip der Freiheit wieder zur reinen Objektivität kommt, daß nicht alles, was mir einfällt, in mir aufsteigt, darum, weil es in mir geoffenbart wird, wahr ist; sondern daß es gereinigt wird und seine wahrhafte Objektivität erhält. Diese erhält es nur durch den Gedanken, der das Besondere, Zufällige abstreift, - eine Objektivität, die von der bloßen Subjektivität unabhängig und an und für sich ist, so daß das Prinzip der Freiheit des Geistes respektiert wird. Der eigene Geist muß ihm Zeugnis geben, daß Gott der Geist ist. Der Geist muß dem Geiste Zeugnis geben, der Inhalt muß der wahrhafte sein; aber dies konstatiert sich nicht dadurch daß es mir geoffenbart, versichert wird. Dies ist der Standpunkt; und wir haben so das Mangelhafte desselben und das Große des Prinzips, das darin liegt, gesehen.
5) Jacobi, Werke, Bd. IV, Abt. 1, S. 39-40
6) Jacobi, Werke, Bd. IV, Abt. 1, S. 91
7) Jacobi, Werke, Bd. IV, Abt. 1, S. 68
8) Briefe über die Lehre des Spinoza (2. Ausgabe, 1789) S. 85-86 (Werke, Bd. IV, Abt. 1, S. 110).
9) Buhle, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Teil VIII, S. 386-387; Mendelssohn, Morgenstunden (2. Ausgabe 1786), S. 293-296
10) Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 36-37, 88-89 (S. 67, 112-113)
11) Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 225, 223 (S. 223, 216)
12) Werke, Bd. II, S. 7 ff.; S. 221, Anm.
13) Briefe über die Lehre des Spinoza, Beilage VII, S. 419-420, und Anmerkung (Abt. 2, S. 149-150)
14) Briefe über die Lehre des Spinoza, Beilage VII, S. 421-423 (S. 150-152)
15) Briefe über die Lehre des Spinoza, Beilage VII, S. 423-427 (S. 152-156)
16) Werke, Bd. II, S. 3-4
17) Werke, Bd. III, S. 7
18) Werke, Bd. III, S. 35
19) vgl. Werke, Bd . III, S. 277
20) Werke, Bd. II, S. 8-14, 101
21) Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 216-217 (Abt. 1, S. 211)
22) Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 74
23) Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 76
>>> B. Kant
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