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<<<Philosophie des Platon [Erziehung und Bildung der Seele ] 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7
γ) Was nun die Erziehung und Bildung der Seele anbetrifft, so steht dies mit dem Vorhergehenden in Verbindung. Man muß jedoch den Idealismus des Platon sich nicht als subjektiven Idealismus denken, als jenen schlechten Idealismus, wie er in neueren Zeiten wohl vorgestellt ist, als ob der Mensch überhaupt nichts lerne, nicht äußerlich bestimmt werde, sondern alle Vorstellungen aus dem Subjekt erzeugt werden. Es wird oft gesagt, der Idealismus sei dies, daß das Individuum alle seine Vorstellungen, auch die unmittelbarsten, aus sich erzeuge, alles aus sich setzt. Dies ist jedoch eine unhistorische, ganz falsche Vorstellung; wie dies rohe Vorstellen den Idealismus definiert, so hat es in der Tat unter den Philosophen keine Idealisten gegeben. Der Platonische Idealismus ist ebenso von dieser Gestalt ganz entfernt.
Was nun das Lernen insbesondere anbetrifft, so setzt Platon voraus, daß das, was das wahrhaft Allgemeine ist, die Idee, das Gute, Schöne, vorher im Geiste selbst einheimisch ist und nur aus ihm sich entwickelt. In seiner Republik (7. Buch) spricht er im Zusammenhang mit dem, was ich schon erwähnt habe, davon, wie die Erziehung, das Lernen beschaffen sei. Er sagt: "Wir müssen von der Wissenschaft und dem Lernen (πpαιδείας) dies halten, daß sie nicht so beschaffen sind" (sie seien nicht so vorzustellen), "wie einige dafür ausgeben" (er meint damit die Sophisten), "die von der Bildung sprechen, als ob das Wissen nicht in der Seele enthalten sei, sondern als ob man die Wissenschaft in die Seele so hineinlege, wie in blinde Augen das Sehen gelegt werde", wie man den Star steche. Diese Vorstellung, daß das Wissen ganz von außen komme, findet sich in neuerer Zeit bei ganz abstrakten, rohen Erfahrungsphilosophen, die behauptet haben, daß alles, was der Mensch vom Göttlichen wisse, für wahr halte, durch Erziehung, durch Angewöhnung in ihn komme, die Seele, der Geist nur die ganz unbestimmte Möglichkeit sei. Das Extrem ist dann die Offenbarung, wo alles von außen gegeben ist. In der protestantischen Religion ist diese rohe Vorstellung in ihrer Abstraktion nicht vorhanden; da gehört zum Glauben wesentlich das Zeugnis des Geistes, d. h. daß der einzelne subjektive Geist an und für sich, in sich diese Bestimmung enthalte, setze, mache, die in Form eines Äußerlichen, nur Gegebenen an ihn kommt. Platon spricht also gegen jene Vorstellung. Er sagt (dies bezieht sich auf den obigen Mythus, der bloß vorstellt): Die Vernunft lehrt, daß in jedem inwohne das immanente Vermögen seiner Seele; er habe in sich das Organ, mit dem er lernt. Nämlich, wie wenn das Auge nicht anders fähig wäre, als mit dem ganzen Körper sich von der Finsternis an das Helle zu wenden, so müsse man auch mit der ganzen Seele von dem ab, was geschieht, herumgewendet werden, abgewendet von dem, was ein Zufälliges ist, eine zufällige Vorstellung und Empfindung; sie müsse hingewendet werden zu dem, was ist, zu dem Seienden, bis sie fähig ist, dies auszuhalten und die Klarheit, die Helligkeit des Seienden zu schauen. Dies Seiende aber, sagen wir, ist das Gute. Dessen Kunst wäre die Kunst des Unterrichts. "Das Lehren ist so nur die Kunst dieser Heraus(Herum)führung der Seele - und zwar auf welche Weise am leichtesten und wirksamsten einer herumgekehrt würde -, nicht um ihm das Sehen einzusetzen (εe̓μπpοιησsαaι, hineinzumachen), sondern - indem er es schon hat, aber nicht gehörig in sich gewendet worden ist und nicht die Gegenstände sieht, die er sehen soll - nun dieses zu bewirken. Die anderen Tugenden der Seele stehen dem Körper näher; sie sind nicht vorher in der Seele, sondern kommen durch Übung und Gewohnheit hinein", können dadurch gestärkt oder geschwächt werden. "Das Denken (τὸ` ϕϱνηsαι) hingegen als ein Göttliches verliert seine Kraft niemals, und durch die Weise des Herumführens wird es nur gut oder böse."79)
Dies ist näher das Verhältnis, welches Platon in Rücksicht des Innerlichen und Äußerlichen festsetzt. Uns sind dergleichen Vorstellungen, daß der Geist aus sich bestimmt, das Gute bestimme usf., viel geläufiger; bei Platon aber war es darum zu tun, dies erst festzusetzen.
c) Unterschiede des Erkennens, Weise der Wissenschaft überhaupt nach Platon. Die Wahrheit setzt Platon allein in das, was durch den Gedanken produziert wird. Die Quelle der Erkenntnis ist mehrfach; das Gefühl, die Empfindung, das sinnliche Bewußtsein ist Quelle. Das Erste ist das sinnliche Bewußtsein; dies ist das Bekannte, von dem wir anfangen. Daß dadurch das Wahre gegeben werde, ist eine Vorstellung, der Platon durchaus entgegengesetzt ist, als der Lehre der Sophisten; so sahen wir es beim Protagoras. Beim Gefühl kommt leicht Mißverstand vor. Alles ist im Gefühl, wie jene Platonische μανία des Schönen. Das Wahre ist hier in der Weise des Gefühls; das Gefühl als solches ist nur Form. Mit dem Gefühl macht man Willkür zur Bestimmung des Wahren. Was der wahrhafte Inhalt sei, ist nicht durch das Gefühl gegeben; denn da hat aller Inhalt Platz. Auch der höchste Inhalt muß im Gefühl sein; dies ist aber nicht die wahrhafte Weise des Wahren. Gefühl ist das ganz subjektive Bewußtsein. Im Gedächtnis, im Verstande haben, ist uns etwas anderes, als im Herzen, im Gefühl haben, d. h. in unserer innersten Subjektivität, im Ich, im Diesen. Insofern der Inhalt im Herzen ist, sagen wir, ist er erst am wahrhaften Ort; er ist ganz identisch mit unserer besonderen Individualität. Der Mißverstand ist aber, daß ein Inhalt nicht darum der wahrhafte ist, weil er in unserem Gefühle ist. Das ist daher die große Lehre Platons, daß der Inhalt nur durch den Gedanken gefüllt wird; denn er ist das Allgemeine. Das Allgemeine kann nur durch den Gedanken produziert oder gefaßt werden; es ist nur durch die Tätigkeit des Denkens. Diesen allgemeinen Inhalt hat Platon als Idee bestimmt.
Platon bestimmt die Unterschiede in unserem Bewußtsein, in unserem Wissen noch näher. Am Ende des sechsten Buchs der Republik wird der Unterschied des Sinnlichen und Intellektuellen aufgestellt. Im Intelligiblen, Denken, Allgemeinen unterscheidet Platon zwei Weisen: Wissenschaften wie die Geometrie, das ist Denken (διάνοια); das reine Denken ist aber νόησsις. Das Sinnliche ist wieder doppelt. α) "Im Sinnlichen ist αα) äußerliche Erscheinung, Bilder im Wasser, Schatten, und was in den dichten, glatten, glänzenden und dergleichen Körpern ist. ββ) Die zweite Art begreift dasjenige, dem jenes ähnlich ist: die Tiere, Pflanzen", diese konkrete Lebendigkeit, "Gefäße, die wir verfertigen" (ϰαὶ` τὸ` σϰευασsτὸ`ν ὄλον γένος, totum fabricae genus). β) Im Intelligiblen ist auch solcher zwiefacher Inhalt: αα) "Das eine Mal gebraucht die Seele die Bilder jenes Geteilten" (Sinnlichen, Mannigfaltigen), "ist genötigt, von Grundlagen aus zu forschen, indem sie nicht geht auf den Anfang (Prinzip, αϱχήν), sondern zum Ende (Resultat). ββ) Die andere Gattung, das in der Seele selbst Gedachte, ist die, wo die Seele von einer Grundlage, Voraussetzung zu einem Prinzip ausgeht, das nicht hypothetisch ist, und ohne die Bilder, die wir zu jenem gebrauchen, durch die Ideen (εἴδεσι) selbst den Weg (μέϑοδν) macht. In der Geometrie, Arithmetik und ähnlichen Wissenschaften setzt man voraus das Gleiche und Ungleiche und Figuren und drei Arten von Winkeln und dergleichen. Und indem man von solchen Grundlagen (υποϑέσεις) ausgeht, so glaubt man nicht nötig zu haben, davon als von einem allen Bekannten Rechenschaft zu geben. Ferner weißt du, daß sie sich der Figuren, die sichtbar sind, bedienen und von ihnen sprechen, obgleich sie nicht dieses nur im Gedanken haben (πpεϱὶ` τούτων διανούμενοι), sondern diejenigen, wovon diese nur die Abbilder sind (εϰείνων πpέϱι, οις ταυτα έοιϰε), indem sie ihre Betrachtung (Bestimmungen, λόγους) um des Vierecks selbst machen und seiner Diagonale willen, nicht um jenes willen, das sie hinzeichnen; und ebenso mit den anderen Dingen." Man hat bestimmte Figuren vor sich (so verfährt man); die Figuren sind nicht als bestimmte gemeint; mit diesem Dreieck meine ich das Dreieck überhaupt, das allgemeine, es ist nicht um das Sinnliche als solches zu tun. "Diejenigen Figuren, welche sie zeichnen und beschreiben (welche auch einen Schatten geben und im Wasser Bild abspiegeln), - das alles gebrauchen sie nur als Bilder und suchen deren Originale zu sehen, die man nicht anders als mit dem Gedanken, Nachdenken (τη διανοία) sieht", nicht sinnlich; aber ihr Gegenstand ist nicht reines Verstandeswesen. - "Wahrhaftig! - Dieses nun habe ich oben diejenige Gattung des Gedachten (νοητtου τὸ` εἰδος) genannt, zu dessen Erforschung die Seele genötigt ist, Hypothesen zu gebrauchen, weil sie nicht auf das Prinzip geht, indem sie nicht über die Hypothesen" (jene Voraussetzungen) "hinausgehen kann, aber diese untergeordneten Bilder gebraucht als Bilder, die jenen vollkommen gleichgemacht und ganz so bestimmt sind. - Ich verstehe, daß du von dem redest, was in Geometrie und anderen dergleichen verwandten Wissenschaften geschieht. - Lerne jetzt den anderen Abschnitt des Gedachten (νοητtου) kennen, welchen die Vernunft (λόγος) selbst berührt, indem sie durch die Kraft (Vermögen) der Dialektik Hypothesen macht, nicht als Prinzipien, sondern in der Tat (t ὄντtι) nur als Hypothesen, als Auftritte und Ausgangspunkte (εe̓πpιβάσsεeις τtεe ϰαὶ` ὁϱμάς); damit sie bis zum Voraussetzungslosen (ἀνυποϑέτου), zum Prinzip des Alls gelange (του πpαντtὸ`ς αϱχήν)", das an und für sich ist, "es erfasse (αψάμενος) und, wieder das erfassend, was von jenem gefaßt wird, so wieder zum Ende (τελτήν) herabsteige, indem sie dabei ganz und gar kein Sinnliches gebrauche, sondern nur die Gattungen selbst, und so durch sie selbst zu ihnen am Ende gelange (τοις είδεσιν αὐτοις δʼ' αυτων ειςαυτα`, ϰαὶ` τελευτα ειςεἰδη)." Dies zu erkennen, ist das Interesse und das Geschäft der Philosophie, dies wird vom reinen Gedanken an und für sich erforscht, der sich nur in solchen reinen Gedanken bewegt (νόησις). - "Ich verstehe es, aber noch nicht ganz hinreichend. Du scheinst mir das behaupten zu wollen, daß das, was von der Wissenschaft der Dialektik (του διαλέγεσsϑaι), vom Seienden und Gedachten betrachtet wird, klarer (σαϕέστεϱον, richtiger) sei, als was von jenen genannten Wissenschaften, welchen die Hypothesen Prinzipien sind und wo die, welche sie betrachten, genötigt sind, mit dem Verstande (τtη διανοία), aber nicht mit den Sinnen zu betrachten. Weil sie nicht auf das absolute Prinzip (αϱχήν) überhaupt hinaufsteigen in ihrer Betrachtung, sondern aus Hypothesen spekulieren, so scheinen sie nicht den Gedanken bei diesen Gegenständen selbst zu haben (νουν οὐϰ ίσχειν πεϱὶ` αὐτά), ob diese Gegenstände gleich Gedanken sind mit einem Prinzip (νοητων ὀντων μετὰ` αϱχης). Die Verfahrungsweise (Denkweise, e̔́ξιν) der Geometrie und der ihr verwandten Wissenschaften scheinst du mir Räsonnement (διάνοιαν) zu nennen und hiermit so, daß das Räsonnieren (Schließen, reflektierende Erkennen) zwischen dem νους und der δόξα sich befindet. - Du hast ganz richtig aufgefaßt. Gemäß diesen vier Unterscheidungen will ich die vier Verhaltungsweisen der Seele nennen: α) νόησsις, Begreifen, Denken von dem Höchsten (ἐπpὶ` τῳ ανωτtάτtω); β) διάνοια von dem Zweiten (επὶ` τω δευτέϱω); γ) das Dritte heiße Glaube (πίστς)" zu Tieren, Pflanzen, weil sie lebendig, homogener, identischer mit uns, - wahre Meinung; δ) "und das Letzte die Vorstellung oder das bildliche Wissen (εϰασίαa, imaginatio, assimilatio). Das sind Stufen der Wahrheit, Klarheit."80)
Platon bestimmt so als erste Weise das Sinnliche; als eine andere Weise bestimmt er die Reflexion, sofern sie das Denken einmischt in das zunächst sinnliche Bewußtsein. Und hier, sagt er, ist der Ort, wo die Wissenschaft überhaupt hervortritt; sie beruht auf dem Denken, Bestimmung allgemeiner Prinzipien, Grundlagen, Hypothesen. Diese Hypothesen werden nicht durch die Sinne selbst betrachtet, sind nicht für sich sinnlich; sie gehören allerdings dem Denken an. Aber dies ist so noch nicht die wahrhafte Wissenschaft; diese besteht darin, das Allgemeine für sich selbst, das geistige Allgemeine zu betrachten. Sinnliches Bewußtsein, zunächst sinnliche Vorstellung, Meinung, unmittelbares Wissen, hat Platon unter den Namen δόξα begriffen. In der Mitte zwischen der Meinung und der Wissenschaft an und für sich liegt das räsonierende Erkennen, die schließende Reflexion, das reflektierende Erkennen, das sich allgemeine Gesetze, bestimmte Gattungen aus jenem bildet. Das Höchste aber ist das Denken an und für sich, das auf das Höchste gerichtet ist. Dies ist der Unterschied, der bei Platon vornehmlich zugrunde liegt und bei ihm näher zum Bewußtsein gekommen ist.
Von dem Erkennen nun aber zum näheren Inhalt desselben. (Die Idee organisiert sich weiter in sich und setzt sich als besondere Idee, und dieses Besondere macht das Wissenschaftliche, das Systematisieren aus.) Dieser Inhalt fängt bei Platon an, in die drei Teile zu zerfallen, welche wir als spekulative, Natur- und Geistesphilosophie unterscheiden. Die spekulative oder logische Philosophie hieß bei den Alten Dialektik. Und Diogenes Laertios und sonst die philosophischen Geschichtsschreiber der Alten sagen ausdrücklich, daß, nachdem die Ionier der physischen Philosophie, Sokrates der Moralphilosophie ihre Entstehung gegeben, Platon die Dialektik hinzugefügt habe. Es ist dies eine Dialektik, welche nicht eine solche, wie wir sie früher gesehen haben, nicht die der Sophisten, welche die Vorstellungen überhaupt in Verwirrung bringt, sondern die Dialektik, welche sich in reinen Begriffen bewegt, - die Bewegung des Logischen. Das Zweite bei Platon ist eine Art von Naturphilosophie, besonders im Timaios; im Timaios wird die Idee konkreter ausgesprochen. Das Dritte ist die Philosophie des Geistes; in Rücksicht der theoretischen Seite des Geistes ist schon im allgemeinen bemerklich gemacht, wie Platon die Arten des Erkennens unterscheidet, und es ist daher nur noch das Praktische herauszuheben und wesentlich seine Darstellung von einem vollkommenen Staate. Nach diesen drei Unterschieden wollen wir das Nähere der Platonischen Philosophie betrachten.
Nach dieser vorläufigen Bemerkung, worin die Platonische Dialektik besteht, so ist zu bemerken, daß die Platonische Philosophie in ihrem ganzen Inhalte, abgesondert in drei Teile, eigentlich zusammenhängend in den Büchern über die Republik, alsdann dem Timaios enthalten ist, wozu noch Kritias kommen sollte, wovon aber nur der Anfang auf uns gekommen, als eine ideale Geschichte des Menschengeschlechts oder Athens. Alle drei gibt Platon als die Fortsetzung einer Unterredung. Hierzu muß dann noch der Parmenides genommen werden, so macht dies zusammen den ganzen Körper der Platonischen Philosophie aus.
79) De republica VII, 518
80) De republica VI, 509-5
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