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<<<Philosophie des Platon [Platons Schriften] 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7
Platons Philosophie ist uns in den Schriften, die wir von ihm haben, hinterlassen. Form und Inhalt sind von gleich anziehender Wichtigkeit. Beim Studium derselben müssen wir aber wissen, α) was wir in ihnen zu suchen haben und in ihnen von Philosophie finden können, β) und eben damit, was der Platonische Standpunkt nicht leistet, seine Zeit überhaupt nicht leisten kann. So kann es sein, daß sie uns sehr unbefriedigt lassen, das Bedürfnis, mit dem wir zur Philosophie treten, nicht befriedigen können. Es ist besser, sie lassen uns im ganzen unbefriedigt, als wenn wir sie als das Letzte ansehen wollen. Sein Standpunkt ist bestimmt und notwendig; man kann aber bei ihm nicht bleiben, noch sich auf ihn zurückversetzen, - die Vernunft macht höhere Anforderungen. Ihn zum Höchsten für uns zu machen, als den Standpunkt, den wir uns nehmen müssen, dies gehört zu den Schwächen unserer Zeit, die Größe, das eigentlich Ungeheure der Anforderung des Menschengeistes nicht tragen zu können, sich erdrückt zu fühlen und darum schwachmütig von ihm sich zurückzuflüchten. Wie in der Pädagogik das Bestreben ist, die Menschen zu erziehen, um sie vor der Welt zu verwahren, d. h. sie in einem Kreise - z. B. des Comptoirs, idyllisch des Bohnenpflanzens - zu erhalten, in dem sie von der Welt nichts wissen, keine Notiz von ihr nehmen, so ist in der Philosophie zurückgegangen worden zum religiösen Glauben, so zur Platonischen Philosophie. Beides sind Momente, die ihren wesentlichen Standpunkt und Stellung haben; aber sie sind nicht Philosophie unserer Zeit. Man hätte Recht, zu ihr zurückzukehren, um die Idee, was spekulative Philosophie ist, wieder zu lernen; aber es ist Leichtigkeit, so schön zu sprechen, nach Lust und Liebe, im allgemeinen von Schönheit, Vortrefflichkeit. Man muß darüber stehen, d. h. das Bedürfnis des denkenden Geistes unserer Zeit kennen oder vielmehr dies Bedürfnis haben. - Das Literarische, das Kritische Herrn Schleiermachers, die kritische Sonderung, ob die einen oder die anderen Nebendialoge echt seien (über die großen kann ohnehin nach den Zeugnissen der Alten kein Zweifel sein), ist für Philosophie ganz überflüssig und gehört der Hyperkritik unserer Zeit an.
Indem ich zur Darstellung der Platonischen Philosophie übergehe, so ist zuerst von der ersten, unmittelbaren Weise, in welcher sie sich zeigt, zu sprechen. Es ist die Beschaffenheit der Platonischen Werke selbst, welche in ihrer Vielseitigkeit uns verschiedene Gestalten des Philosophierens darbietet. Hätten wir noch das rein philosophische (dogmatische) Werk Platons, worüber Brandis geschrieben hat, das unter dem Titel Von der Philosophie oder Von den Ideen von Aristoteles zitiert wird und er vor sich gehabt zu haben scheint, wenn er die Platonische Philosophie beschreibt, von ihr spricht, so würden wir dann seine Philosophie in einfacherer Gestalt vor uns haben. So aber haben wir nur seine Dialoge, und diese Gestalt erschwert es uns, sogleich Vorstellung zu gewinnen, uns bestimmte Darstellung von seiner Philosophie zu machen. Die Form des Dialogs enthält sehr heterogene Elemente, Seiten; was ich darunter verstehe, ist dies: daß darin eigentliches Philosophieren über das absolute Wesen und das Vorstellen von demselben mannigfaltig vermischt ist, macht diese Verschiedenseitigkeit aus.
Eine andere Schwierigkeit soll die sein: man unterscheidet exoterische und esoterische Philosophie. Tennemann sagt (Bd. II, S. 220): "Platon bediente sich desselben Rechts, welches jedem Denker zusteht, von seinen Entdeckungen nur so viel, als er für gut fand, und nur denen mitzuteilen, welchen er Empfänglichkeit zutraute. Auch Aristoteles hatte eine esoterische und exoterische Philosophie, nur mit dem Unterschiede, daß bei diesem der Unterschied bloß formal, beim Platon hingegen auch zugleich material war." Wie einfältig! Das sieht aus, als sei der Philosoph im Besitz seiner Gedanken wie der äußerlichen Dinge. Die Gedanken sind aber ganz etwas anderes. Die philosophische Idee besitzt umgekehrt den Menschen. Wenn Philosophen sich über philosophische Gegenstände explizieren, so müssen sie sich nach ihren Ideen richten; sie können sie nicht in der Tasche behalten. Spricht man auch mit einigen äußerlich, so ist die Idee immer darin enthalten, wenn die Sache nur Inhalt hat. Zur Mitteilung, Übergabe einer äußerlichen Sache gehört nicht viel, aber zur Mitteilung der Idee gehört Geschicklichkeit. Sie bleibt immer etwas Esoterisches; man hat also nicht bloß das Exoterische der Philosophen. Das sind oberflächliche Vorstellungen.
Es kann unter die Schwierigkeiten, die eigentliche Spekulation Platons zu erfassen, nicht die historische Seite gerechnet werden, daß Platon in seinen Dialogen nicht in eigener Person spricht, sondern Sokrates und viele andere Personen redend einführt, von denen man nicht immer wisse, welche eigentlich das vortrage, was Platons Meinung sei. Es könnte den Schein haben, als ob er nur geschichtlich die Weise und Lehre des Sokrates besonders vorgestellt habe. Bei sokratischen Dialogen, wie sie Cicero gibt, da kann man eher die Personen herausfinden; aber bei Cicero ist kein gründliches Interesse vorhanden. Bei Platon kann jedoch von dieser Zweideutigkeit eigentlich nicht die Rede sein, diese äußerliche Schwierigkeit ist nur scheinbar; aus seinen Dialogen geht seine Philosophie ganz deutlich hervor. Denn die Platonischen Dialoge sind nicht so beschaffen wie die Unterredung mehrerer, die aus vielen Monologen besteht, wovon der eine dies, der andere jenes meint und bei seiner Meinung bleibt. Sondern die Verschiedenheit der Meinungen, die vorkommt, ist untersucht; es ergibt ein Resultat als das Wahre; oder die ganze Bewegung des Erkennens, wenn das Resultat negativ ist, ist es, die Platon angehört.
Ein anderer historischer Umstand, der der Vielseitigkeit anzugehören scheint, ist allerdings dieser, daß von Alten und Neueren viel darüber gesprochen worden, Platon habe von Sokrates, von diesem und jenem Sophisten, vorzüglich aber von den Schriften der Pythagoreer in seinen Dialogen aufgenommen, - er habe offenbar viele ältere Philosophien vorgetragen, wobei Pythagoreische und Heraklitische Philosopheme und eleatische Weise der Behandlung vornehmlich sehr hervortritt, so daß diesen zum Teil die ganze Materie der Abhandlung und nur die äußere Form dem Platon angehöre, es also nötig wäre, dabei deswegen zu unterscheiden, was ihm eigentümlich angehöre oder nicht, oder ob jene Ingredienzien miteinander übereinstimmen. In dieser Rücksicht aber ist zu bemerken, daß, indem das Wesen der Philosophie dasselbe ist, jeder folgende Philosoph die vorhergehenden Philosophien in die seinige aufnehmen wird und muß, - daß ihm das eigentümlich angehört, wie er sie weiter fortgebildet. Die Philosophie ist nicht so etwas Einzelnes als ein Kunstwerk, und selbst an diesem ist es die Geschicklichkeit der Kunst, die der Künstler von anderen empfangen wieder aufnimmt und ausübt. Die Erfindung des Künstlers ist der Gedanke seines Ganzen und die verständige Anwendung der vorgefundenen und bereiteten Mittel; dieser unmittelbaren Einfälle und eigentümlichen Erfindungen können unendlich viele sein. Aber die Philosophie hat zum Grunde einen Gedanken, ein Wesen, und an die Stelle der früheren wahren Erkenntnis desselben kann nichts anderes gesetzt werden, - sie muß in den Späteren ebenso notwendig vorkommen. Ich habe schon bemerkt, daß Platons Dialoge nicht so anzusehen sind, daß es ihm darum zu tun gewesen ist, verschiedene Philosophien geltend zu machen, noch daß Platons Philosophie eine eklektische Philosophie sei, die aus ihnen entstehe; sie bildet vielmehr den Knoten, in dem diese abstrakten einseitigen Prinzipien jetzt auf konkrete Weise wahrhaft vereinigt sind. In der allgemeinen Vorstellung der Geschichte der Philosophie sahen wir schon, daß solche Knotenpunkte in der Linie des Fortganges der philosophischen Ausbildung eintreten müssen, in denen das Wahre konkret ist. Das Konkrete ist die Einheit von unterschiedenen Bestimmungen, Prinzipien; diese, um ausgebildet zu werden, um bestimmt vor das Bewußtsein zu kommen, müssen zuerst für sich aufgestellt, ausgebildet werden. Dadurch erhalten sie dann allerdings die Gestalt der Einseitigkeit gegen das folgende Höhere; dies vernichtet sie aber nicht, läßt sie auch nicht liegen, sondern nimmt sie auf als Momente seines höheren und tieferen Prinzips. In der Platonischen Philosophie sehen wir so vielerlei Philosopheme aus früherer Zeit, aber aufgenommen in seinem Prinzip und darin vereinigt. Dies Verhältnis ist, daß Platonische Philosophie sich als eine Totalität der Idee beweist; die seinige, als Resultat, befaßt die Prinzipien der anderen in sich. Häufig hat Platon nichts anderes getan, als die Philosophien Älterer exponiert, und seiner ihm eigentümlichen Darstellung gehört nur dies an, sie erweitert zu haben. Sein Timaios ist nach allen Zeugnissen Erweiterung einer Pythagoreischen Schrift, die wir auch noch haben; überscharfsinnige Leute sagen, diese sei erst aus Platon gemacht. Seine Erweiterung ist auch bei Parmenides so, daß sein Prinzip in seiner Einseitigkeit aufgehoben ist.
Die Platonischen Werke sind bekanntlich Dialoge, und es ist zuerst von der Form zu reden, in der Platon seine Ideen vorgetragen hat, sie zu charakterisieren; andernteils ist sie aber von dem, was Philosophie als solche bei ihm ist, abzuziehen. Die Form der Platonischen Philosophie ist die dialogische. Die Schönheit dieser Form ist vornehmlich anziehend dabei. Man muß nicht dafür halten, daß es die beste Form der philosophischen Darstellung sei. Sie ist Eigentümlichkeit Platons und als Kunstwerk allerdings wert zu achten. Häufig setzt man die Vollkommenheit in dieser Form.
Zur äußeren Form gehört zunächst die Szenerie und das Dramatische; das Anmutige ist, daß Szene, individuelle Veranlassung da ist der Dialoge. Platon macht ihnen eine Umgebung von Wirklichkeit des Lokals und dann der Personen, der Veranlassung, welche sie zusammengeführt, die für sich schon sehr lieblich, offen und heiter ist. Wir werden zu einem Orte, zum Platanenbaum im Phaidros (229), zum klaren Wasser des Ilyssos, durch den Sokrates und Phaidros hindurchgehen, zu den Hallen der Gymnasien, zur Akademie, zu einem Gastmahle geführt. Aber noch mehr ist diese Erfindung äußerlicher, spezieller, zufälliger insbesondere, Veranlassungen partikularisiert. Es sind lauter andere Personen, denen Platon seine Gedanken in den Mund legt, so daß er selbst nie namentlich auftritt und damit alles Thetische, Behauptende, Dogmatisierende völlig abwälzt und wir ebensowenig ein - ihn als - Subjekt auftreten sehen als in der Geschichte des Thukydides oder im Homer. Xenophon läßt teils sich selbst auftreten, teils gibt er überall das Absichtliche vor, die Lehrweise und das Leben durch Beispiele zu rechtfertigen. Bei Platon ist alles ganz objektiv und plastisch; es ist Kunst, es weit von sich zu entfernen, oft in die dritte, vierte Person hinauszuschieben (Phaidon). Sokrates ist Hauptperson, dann andere Personen; viele sind uns bekannte Sterne: Agathon, Zenon, Aristophanes. Was von dem in den Dialogen Dargestellten dem Sokrates oder dem Platon angehöre, bedarf keiner weiteren Untersuchung. Soviel ist gewiß, daß wir aus Platons Dialogen sein System vollkommen zu erkennen imstande sind.
Im Ton der Darstellung des persönlichen Verhaltens der Unterredungen herrscht die edelste (attische) Urbanität gebildeter Menschen. Feinheit des Betragens lernt man daraus. Man sieht den Weltmann, der sich zu benehmen weiß. Höflichkeit drückt nicht ganz Urbanität aus. Höflichkeit enthält etwas mehr, einen Überfluß, noch Bezeugungen von Achtung, von Vorzug, von Verpflichtungen, die man ausdrückt. Die Urbanität ist die wahrhafte Höflichkeit; diese liegt zugrunde. Urbanität bleibt aber dabei stehen, dem anderen die persönliche vollkommene Freiheit seiner Sinnesart, Meinungen zuzugestehen, - das Recht, sich zu äußern einem jeden, mit dem man spricht, einzuräumen und in seiner Gegenäußerung, Widerspruch diesen Zug auszudrücken, - sein eigenes Sprechen für ein subjektives zu halten gegen das Äußern des anderen, weil es eine Unterredung ist, Personen als Personen auftreten, nicht der objektive Verstand oder Vernunft sich mit sich bespricht. (Vieles ist, was wir zur bloßen Ironie ziehen.) Bei aller Energie der Äußerung ist dies immer anerkannt, daß der andere auch verständige, denkende Person ist. Man muß nicht vom Dreifuß versichern, dem anderen über den Mund fahren. Diese Urbanität ist nicht Schonung, es ist größte Freimütigkeit; sie macht die Anmut der Dialoge Platons.
Dieser Dialog ist nicht Konversation; in ihr hat das, was man sagt, einen zufälligen Zusammenhang und soll ihn haben, - die Sache soll nicht erschöpft sein. Man will sich unterhalten, darin liegt Zufälligkeit; Willkür der Einfälle ist Regel. Der Einleitung nach haben die Dialoge zuweilen auch diese Weise der Unterhaltung, die Gestalt zufälligen Fortgangs; aber später werden sie Entwicklung der Sache, das Subjektive der Konversation verschwindet, - im Platon ist im ganzen schöner konsequenter dialektischer Fortgang. Sokrates redet, zieht Resultat, leitet ab, geht für sich in seinem Räsonnement fort und gibt ihm nur die äußere Wendung, es in Gestalt der Frage vorzutragen; die meisten Fragen sind darauf eingerichtet, daß der andere antwortet durch Ja oder Nein. Der Dialog scheint das Zweckmäßigste zu sein, ein Räsonnement darzustellen, weil es hin und her geht; dieses wird an verschiedene Personen verteilt, damit die Sache lebendiger werde. Der Dialog hat den Nachteil, daß der Fortgang von der Willkür herzukommen scheint; das Gefühl am Ende des Dialogs ist, daß die Sache auch anders hätte werden können. Bei den Platonischen Dialogen ist scheinbar auch diese Willkür vorhanden; dann ist sie entfernt, weil die Entwicklung nur Entwicklung der Sache ist und dem dazwischen Redenden wenig überlassen ist. Solche Personen sind plastische Personen der Unterredung; es ist einem nicht um seine Vorstellung, pour placer son mot, zu tun. Wie beim Abhören des Katechismus die Antworten vorgeschrieben, so im Dialog dasselbe; denn der Autor läßt den Antworter sprechen, was er (der Autor) will. Die Frage ist so auf die Spitze gestellt, daß nur ganz einfache Antwort möglich ist. Das ist das Schöne und Große dieser dialogischen Kunst, die zugleich unbefangen und einfach erscheint.
Es verbindet sich nun mit diesem Äußerlichen der Persönlichkeit zunächst, daß die Platonische Philosophie nicht für sich sich als ein eigentümliches Feld ankündigt, wo man eine eigene Wissenschaft in eigener Sphäre beginnt (wir nicht auf einem eigentümlichen Boden uns befinden), sondern sich auf die gewöhnlichen Vorstellungen der Bildung überhaupt einläßt (wie Sokrates überhaupt), teils auf die Sophisten, teils auch auf frühere Philosophen, ebenso in der Ausführung an Beispiele und Weisen des gemeinen Bewußtseins erinnert. Eine systematische Exposition der Philosophie können wir nicht in dieser Weise finden. Es ist Unbequemlichkeit fürs Übersehen; es ist kein Maßstab, ob der Gegenstand erschöpft ist oder nicht. Es ist ein Geist darin, bestimmter Standpunkt der Philosophie; der Geist tritt aber nicht in der bestimmten Form hervor, die wir fordern. Die philosophische Bildung Platons war dazu noch nicht reif. Es ist noch nicht die Zeit und die allgemeine Bildung für eigentliche wissenschaftliche Werke. Die Idee war noch frisch, neu; zur wissenschaftlichen systematischen Darstellung ist dies erst bei Aristoteles gediehen. Dieser Mangel Platons ist dann auch Mangel in Ansehung der konkreten Bestimmung der Idee selbst.
Eine wesentliche Verschiedenheit der Elemente in der Darstellung der Platonischen Philosophie in seinen Dialogen ist, daß die bloßen Vorstellungen vom Wesen und das begreifende Erkennen desselben (in Weise der Vorstellung und spekulativ zu sprechen) dann überhaupt selbst in einer ungebundeneren Weise vermischt ist, besonders in jener Weise zu einer mythischen Darstellung fortzugehen, - ... >>>
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