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<<<Platons Dialektik [Parmenides] 1 / 2 / 3 / 4
Die ausgeführte eigentliche Dialektik aber ist im Parmenides enthalten, dem berühmtesten Meisterstück der Platonischen Dialektik. Parmenides und Zenon werden da vorgestellt, als mit Sokrates zusammenkommend in Athen; die Hauptsache aber ist die Dialektik, die dem Parmenides und Zenon in den Mund gelegt wird. Gleich anfangs ist die Natur dieser Dialektik auf folgende Weise näher angegeben. Platon läßt Parmenides so den Sokrates loben: "Ich bemerkte, daß du mit Aristoteles" (einem der anwesenden Unterredner; es paßte wohl auf den Philosophen, aber dieser ist 16 Jahre nach Sokrates' Tode geboren) "dich unterredetest, überhaupt dich übst, zu bestimmen (ὁϱίζεσϑαι), worin die Natur des Schönen, des Gerechten, des Guten und einer jeden dieser Ideen liegt. Dieser dein Trieb (und Geschäft, ὁϱμή) ist schön und göttlich. Ziehe dich aber und übe dich noch mehr in dieser unnütz scheinenden und von der Menge so genannten" (metaphysischen) "Zungendrescherei (ἀδολεσχίας, Geschwätz), solange du noch jung bist; sonst wird dir die Wahrheit entgehen. - Worin", fragt Sokrates, "besteht diese Art von Übung. - Es gefiel mir schon an dir, daß du vorhin sagtest, man müsse nicht sich bei Betrachtung des Sinnlichen und seiner Täuschungen aufhalten, sondern das betrachten, was nur das Denken erfaßt und was allein ist." Schon früher habe ich bemerkt, daß die Menschen von jeher geglaubt haben, das Wahre könne nur durch das Nachdenken gefunden werden; beim Nachdenken findet man den Gedanken, verwandelt das, was man in der Weise der Vorstellung, des Glaubens vor sich hat, in Gedanken. Sokrates erwidert nun dem Parmenides: "So glaubte ich, das Gleiche und Ungleiche und die anderen allgemeinen Bestimmungen der Dinge am besten einzusehen." - Parmenides antwortet: "Wohl! Aber du mußt, wenn du von einer solchen Bestimmung" (die Ähnlichkeit, Gleichheit) "anfängst, nicht nur das betrachten, was aus einer solchen Voraussetzung folgt; sondern du mußt auch noch dies hinzufügen, was folgt, wenn du das Gegenteil einer solchen Bestimmung voraussetzest. Z. B. bei der Voraussetzung: das Viele ist, hast du zu untersuchen: was geschieht dem Vielen in Beziehung auf sich selbst und in Beziehung auf das Eine" (es wird so das Umgekehrte seiner selbst geworden sein; das Viele schlägt um in das Eine, indem es betrachtet wird in der Bestimmung, in der es betrachtet werden soll, und dies ist das Wunderbare, was einem beim Denken begegnet, wenn man sich solche Bestimmungen für sich vornimmt); "und ebenso: was geschieht dem Eins in Beziehung auf sich und in Beziehung auf das Viele." Dies ist zu betrachten. "Aber wiederum ist zu betrachten: wenn das Viele nicht ist, was erfolgt dann für das Eine und für das Viele, beide für sich und gegeneinander. Eben solche Betrachtungen sind anzustellen in betreff der Identität und Nichtidentität, der Ruhe und Bewegung, des Entstehens und Vergehens, und ebenso in Ansehung des Seins selbst und des Nichtseins: was ist jedes für sich und was die Beziehung bei der Annahme des einen oder des anderen? Darin dich vollkommen übend, wirst du die wesentliche Wahrheit erkennen."8) So großen Wert legt Platon auf die dialektische Betrachtung. Es ist nicht Betrachtung des Äußerlichen, sondern nur Betrachtung dessen, was als Bestimmung gelten soll. Es sind dies also die reinen Gedanken, sie sind der Inhalt; ihre Betrachtung ist lebendig, sie sind nicht tot, bewegen sich. Und die Bewegung der reinen Gedanken ist, daß sie sich zum Anderen ihrer selbst machen und so zeigen, daß nur ihre Einheit das wahrhaft Berechtigte ist.
Über den Sinn der Einheit des Einen und Vielen läßt Platon den Sokrates sagen: "Wenn einer mir beweist, daß ich Eines und Vieles sei, so verwundert er mich nicht. Indem er mich nämlich zeigt, daß ich ein Vieles sei, und an mir die rechte Seite, linke, oben und unten, vorn und hinten aufzeigt, so wohnt mir die Vielheit bei, - und wiederum die Einheit, da ich von uns Sieben einer bin. Ebenso Stein und Holz usf. Aber das würde ich bewundern, wenn einer die Ideen zuerst, wie Gleichheit und Ungleichheit, Vielheit und Einheit, Ruhe und Bewegung und dergleichen, jede für sich (αὐτά ϰαϑʼ αὑτά) bestimmte und dann zeigte, wie sie sich an ihnen selbst identisch setzten und unterschieden."9)
Das Resultat (Ganze) solcher Untersuchung im Parmenides ist nun am Ende so zusammengefaßt (166): "Daß das Eine, es sei oder es sei nicht, es selbst sowohl als die anderen Ideen" (Sein, Erscheinen, Werden, Ruhe, Bewegung, Entstehen, Vergehen usf.) "sowohl für sich selbst als in Beziehung aufeinander, - alles durchaus sowohl ist als nicht ist, erscheint und nicht erscheint." Dies Resultat kann sonderbar erscheinen. Wir sind nach unserer gewöhnlichen Vorstellung sehr entfernt, diese ganz abstrakten Bestimmungen, das Eine, Sein, Nichtsein, Erscheinen, Ruhe, Bewegung usf. und dergleichen, für Ideen zu nehmen; aber diese ganz Allgemeinen nimmt Platon als Ideen. Dieser Dialog ist eigentlich die reine Ideenlehre Platons. Platon zeigt von dem Einen, daß, wenn es ist, ebensowohl als wenn es nicht ist, als sich selbst gleich und nicht sich selbst gleich, sowie als Bewegung wie auch als Ruhe, Entstehen und Vergehen ist und nicht ist, oder die Einheit ebensowohl wie alle diese reinen Ideen sowohl sind als nicht sind, das Eine ebensosehr Eines als Vieles ist. In dem Satze "das Eine ist" liegt auch, "das Eine ist nicht Eines, sondern Vieles"; und umgekehrt, "das Viele ist" sagt zugleich, "das Viele ist nicht Vieles, sondern Eines". Sie zeigen sich dialektisch, sind wesentlich die Identität mit ihrem Anderen; und das ist das Wahrhafte. Ein Beispiel gibt das Werden: Im Werden ist Sein und Nichtsein; das Wahrhafte beider ist das Werden, es ist die Einheit beider als untrennbar und doch auch als Unterschiedener; denn Sein ist nicht Werden und Nichtsein auch nicht.
Dieses Resultat erscheint uns hiernach negativer Art zu sein, so daß dasselbe - als wahrhaft Erstes, prius - nicht als affirmativ ist, nicht als Negation der Negation, diese Affirmation ist hier nicht ausgesprochen. Es kann uns dies Resultat im Parmenides vielleicht nicht befriedigen. Indessen sehen die Neuplatoniker, besonders Proklos, gerade diese Ausführung im Parmenides für die wahrhafte Theologie an, für die wahrhafte Enthüllung aller Mysterien des göttlichen Wesens. Und sie kann für nichts anderes genommen werden. (Es sieht nicht so aus, als ob es dies wäre; Tiedemann sagt, es sei keine Rede davon, lauter neuplatonische Schwärmerei.) Denn unter Gott verstehen wir das absolute Wesen aller Dinge; dies absolute Wesen ist eben in seinem einfachen Begriffe die Einheit und Bewegung dieser reinen Wesenheiten, der Ideen des Einen und Vielen usf. Das göttliche Wesen ist die Idee überhaupt, wie sie entweder für das sinnliche Bewußtsein oder für den Verstand, für das Denken ist. Insofern die Idee das absolute Sich-selbst-Denkende ist, ist sie die Tätigkeit des Denkens in sich; und die Dialektik ist ebenso nichts anderes als die Tätigkeit des Sich-selbst-Denkens in sich selbst. Diesen Zusammenhang sehen die Neuplatoniker nur als metaphysisch an und haben daraus die Theologie, die Entwicklung der Geheimnisse des göttlichen Wesens erkannt.
Aber es tritt hier die schon bemerkte Zweideutigkeit, die hier bestimmter aufzuklären, ein: daß unter Gott und unter dem Wesen der Dinge zweierlei verstanden werden kann. α) Wenn nämlich gesagt wird "Wesen der Dinge", und dies als die Einheit, welche ebenso unmittelbar Vielheit ist, Sein ebenso unmittelbar Nichtsein, Geschehen, Bewegung ebensofort, so scheint damit nur das unmittelbare Wesen dieser unmittelbar gegenständlichen Dinge bestimmt zu sein und diese Wesenlehre oder Ontologie uns noch von der Erkenntnis Gottes, von der Theologie verschieden zu sein. Diese einfachen Wesenheiten und ihre Beziehung und Bewegung scheinen nur Momente des Gegenständlichen auszudrücken (sie selbst sind einfach und unmittelbar), nicht den Geist; dies darum, weil, so gedacht, ein Moment fehlt, das wir bei Gott denken. Aber der Geist, das wahrhaft absolute Wesen, ist nicht nur das Einfache und Unmittelbare überhaupt, sondern das sich in sich Reflektierende, für welches in seinem Gegensatze die Einheit seiner und des Entgegengesetzten ist; als solches aber stellen jene Momente und ihre Bewegung es nicht dar, - jene erscheinen unreflektiert.
β) Wenn diese einfachen Abstraktionen auf einer Seite als einfache Wesenheiten genommen werden, die unmittelbar sind und denen die Reflexion-in-sich fehlt, so können sie auf der andern Seite auch als reine Begriffe, rein der Reflexion in sich selbst angehörend genommen werden. Es fehlt ihnen die Realität; und dann gilt ihre Bewegung für ein leeres Herumtreiben in leeren Abstraktionen, die nur der Reflexion angehören, aber keine Realität haben. Wir müssen die Natur des Erkennens und Wissens kennen, um im Begriffe alles zu haben, was darin ist. Aber wir müssen dies Bewußtsein haben, daß eben der Begriff weder nur das Unmittelbare in Wahrheit (ob er schon das Einfache ist, - aber er ist von geistiger Einfachheit, wesentlich der in sich zurückgekehrte Gedanke; unmittelbar ist nur dies Rote usf.), noch daß er nur das in sich sich Reflektierende, das Ding des Bewußtseins ist, sondern auch an sich ist, d. h. gegenständliches Wesen ist. Einfachheit ist Unmittelbarkeit, Ansichsein, ist so alle Realität. Dies Bewußtsein über die Natur des Begriffs hat Platon nun nicht so bestimmt ausgesprochen und damit auch dies nicht, daß dies Wesen der Dinge dasselbe ist, was das göttliche Wesen. Zum göttlichen Wesen erfordern wir eben für das Wesen oder Sein diese Reflexion in sich selbst, für die Reflexion-in-sich das Sein oder Wesen. Es ist aber eigentlich nur mit dem Worte nicht ausgesprochen; denn die Sache ist allerdings vorhanden. Der Unterschied des Sprechens ist nur als nach der Weise der Vorstellung und des Begriffs vorhanden.
Einesteils nun ist diese Reflexion-in-sich, das Geistige, der Begriff, in der Spekulation des Platon vorhanden. Denn die Einheit des Vielen und Einen usf. ist eben diese Individualität in der Differenz, dies Insichzurückgekehrtsein in seinem Gegenteile, dies Gegenteil, das in sich selbst ist. Das Wesen der Welt ist wesentlich diese in sich zurückkehrende Bewegung des Insichzurückgekehrten.
Andernteils aber bleibt eben darum bei Platon noch dies Insichreflektiertsein als Gott nach der Weise der Vorstellung ein davon Getrenntes; und in seiner Darstellung des Werdens der Natur im Timaios erscheint so als ein Unterschiedenes Gott und das Wesen der Dinge. Dies Wesen der Welt werden wir näher in der Platonischen Naturphilosophie kennenlernen.
Die Dialektik des Platon ist jedoch nicht nach jeder Rücksicht als vollendet anzuerkennen. Es ist besonders in ihr darum zu tun, aufzuzeigen, daß, indem man z. B. nur das Eine setzt, in ihm selbst enthalten ist die Bestimmung der Vielheit oder daß in dem Vielen die Bestimmung der Einheit ist, indem wir es betrachten. Man kann nicht sagen, daß in allen dialektischen Bewegungen des Platon diese strenge Weise enthalten ist, sondern es sind oft äußere Betrachtungen, die in seiner Dialektik Einfluß haben. Z. B. sagt Parmenides: "Das Eine ist; es folgt hieraus, daß das Eine nicht gleichbedeutend ist mit Ist, so daß also das Eine und Ist unterschieden sind. Es ist also in dem Satze: Das Eine ist der Unterschied; so ist das Viele darin, und so sage ich mit dem Einen schon das Viele."10) Diese Dialektik ist zwar richtig, aber nicht ganz rein, indem sie von solcher Verbindung zweier Bestimmungen anfängt.
Wenn Platon vom Guten, Schönen spricht, so sind dies konkrete Ideen. Es ist aber nur eine Idee. Bis zu solchen konkreten Ideen hat es noch weit hin, wenn man von solchen Abstraktionen anfängt als Sein, Nichtsein, Einheit, Vielheit. Dieses hat Platon nicht geleistet: diese abstrakten Gedanken fortzuführen zur Schönheit, Wahrheit, Sittlichkeit; diese Entwicklung, Verpilzung fehlt. Aber schon in der Erkenntnis jener abstrakten Bestimmungen selbst liegt wenigstens das Kriterium, die Quelle für das Konkrete. Im Philebos wird so das Prinzip der Empfindung, Lust betrachtet; das ist schon konkret. Die alten Philosophen wußten ganz wohl, was sie an solchen abstrakten Gedanken hatten für das Konkrete. Im atomistischen Prinzip der Einheit, Vielheit finden wir so die Quelle einer Konstruktion des Staats; die letzte Gedankenbestimmung solcher Staatsprinzipien ist eben das Logische. Die Alten hatten bei solchem reinen Philosophieren nicht solchen Zweck wie wir, - überhaupt nicht so den Zweck metaphysischer Konsequenz, gleichsam nicht als Zweck, nicht als Problem vorgelegt. Wir haben konkrete Gestaltung, Stoff, wollen es mit diesem Stoff in Richtigkeit bringen. Bei Platon enthält die Philosophie die Richtung, welche das Individuum sich geben soll, dies und dies zu erkennen; aber überhaupt setzt Platon die absolute Glückseligkeit für sich, das selige Leben selbst in die Betrachtung (im Leben) jener göttlichen Gegenstände.11) Dieses Leben ist betrachtend, scheint zwecklos, alle Interessen sind verschwunden. Im Reiche des Gedankens frei zu leben, ist für die Alten Zweck an und für sich selbst gewesen; und sie erkannten, daß nur im Gedanken Freiheit sei. Bei Platon fing es auch an, sich weiter zu bemühen, um das Bestimmtere zu erkennen, der allgemeine Stoff des Erkennens fing an, sich mehr abzusondern. Wir finden Dialoge, die sich mit dem reinen Gedanken beschäftigen; im Timaios finden wir Naturphilosophie, in der Republik Ethik.
8) Parmenides, 135-136
9) Parmenides, 129
10) Parmenides, 142
11) Philebos, 33
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