1. Kabbalistische Philosophie
Kabbala heißt die geheime Weisheit der Juden. Über ihren Ursprung ist viel gefabelt worden; es ist viel Trübes darin. Und es wird von ihr gesagt, daß sie enthalten sei in zwei Büchern, Jezirah (Schöpfung) und Sohar (Glanz). Jezirah, das Hauptbuch derselben, welches einem Rabbi Akibha zugeschrieben wird, erwartet von Herrn von Mayer in Frankfurt eine vollständigere Ausgabe. Es sind Ideen, die zum Teil an Philon hingehen, aber auf sehr trübe Weise zum Teil, und mehr für die Phantasie vorgestellt sind. Aber ein so hohes Alter, als die Verehrer der Kabbala ihm zuschreiben, hat es nicht; sie erzählen nämlich, daß dem Adam dieses Himmelsbuch zum Trost seines Sündenfalles gegeben sei. Es ist ein astronomisches, magisches, medizinisches, prophetisches Gebräu; geschichtlich verfolgte Spuren zeigen, daß dies in Ägypten kultiviert wurde. Akibha lebte bald nach der Zerstörung Jerusalems. Die Juden haben mit einem Heer von 200 000 Mann gegen Hadrian revoltiert, der Rabbiner war dabei tätig; Bar Cochebas hat für den Messias gegolten, der Rabbi wurde lebendig geschunden. Das zweite Buch soll von seinem Schüler Rabbi Schimeon Ben Jochai herrühren; er hieß das große Licht, der Funke Mosis.2) Beide Bücher sind im 17. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt. Ein spekulativer Israelit, der Rabbi Abraham Cohen Irira, hat auch ein Buch geschrieben, Das Himmelstor (Porta coelorum); es ist später, aus dem 15. Jahrhundert, und enthält Beziehungen auf Araber und Scholastiker. Dies sind die Quellen der hohen kabbalistischen Weisheit. Es ist trübes Gemenge; das Buch hat aber allgemeine Grundlage. Das Bessere darin bewegt sich in ähnlichen Vorstellungen wie bei Philon. In diesen Büchern sind gewisse recht interessante Grundbestimmungen, von denen man aber zu trüben Phantastereien fortgegangen ist.
Früher findet sich bei den Juden nichts von den Vorstellungen Gottes als eines Lichtwesens, von einem Gegenteile desselben, der Finsternis und dem Bösen, das in Streit mit dem Lichte ist, nichts von guten und bösen Engeln, von dem Abfalle der Bösen, ihrer Verdammnis, ihrem Aufenthalte in der Hölle, künftigem Weltgerichte über die Guten und Bösen, von der Verderbnis des Fleisches. Die Juden fangen hier erst an, ihre Gedanken über ihre Wirklichkeit hinauszutragen, eine Geistes- oder wenigstens Geisterwelt sich ihnen aufzuschließen, da vorher sie, diese Juden, allein sich galten, in den Schmutz und den Eigendünkel ihres Daseins und der Erhaltung ihres Volkes und ihrer Geschlechter versenkt waren.
Was das Nähere der Kabbala betrifft, so ist es folgendes. Das Eins ist als Prinzip aller Dinge ausgesprochen, wie dieses auch der Urquell aller Zahlen ist. Wie die Zahleneinheit selber keine von allen Zahlen ist, so auf gleiche Weise Gott Grund aller Dinge (Ensoph).3) Die damit zusammenhängende Emanation ist Wirkung aus der ersten Ursache, durch Einschränkung jenes ersten Unendlichen; sie ist Grenze (ὅϱος) des Ersten. In dieser ersten einen Ursache ist alles eminenter, nicht formaliter, sondern causaliter enthalten.4) Das zweite Hauptmoment ist der Adam Kadmon, der erste Mensch, Keter, das erste Entstandene, die höchste Krone, der Mikrokosmos, der Makrokosmos5) , womit die emanierte Welt als Ausfluß des Lichtes zusammenhängt. Durch weiteres Herausgehen sind dann die anderen Sphären, Kreise der Welt geworden; und diese Emanation wird als Lichtströme dargestellt. Da geht es fort zu zehn Lichtströmen: diese Ausflüsse (Sephiroth) bilden die reine, azilutische Welt, welche ohne alle Veränderlichkeit in sich ist; zweitens die briahtische Welt, welche veränderlich ist; drittens die geformte, jeziratische Welt, - die reinen Geister in die Materie gesetzt, die Seelen der Gestirne (die reinen Geister sind weitere Unterscheidungen, in denen diese trübe Weise fortgeht); viertens die gemachte Welt, die asiahtische: es ist die unterste, vegetierende und empfindende Welt.6)
2) Brucker II, 834-838; 924-927; 839-840
3) Irira, Porta coelorum I, c. 4; Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie III, S. 149-150; Buhle, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie IV, S. 156
4) Irira I, c. 6, § 13; c. 7, § 2; IV, c. 4 ff.; Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie III, S. 155; Buhle, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie IV, S. 162
5) Irira II, c. 1; Buhle, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie IV, S. 160
6) Irira V, c. 7-8;Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie III, S. 156-157;Buhle, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie IV, S. 157
|