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A. Philosophie der Sophisten [1/2/3]
Der Begriff, den die Vernunft im Anaxagoras als das Wesen gefunden, ist das einfache Negative, in welches alle Bestimmtheit, alles Seiende und Einzelne sich versenkt. Vor dem Begriffe kann nichts bestehen; er ist eben das prädikatlose Absolute, ihm ist schlechthin alles nur Moment, für ihn gibt es, um sich so auszudrücken, nichts Niet- und Nagelfestes. Eben der Begriff ist dies fließende Übergehen Heraklits, dies Bewegen, - diese Kaustizität, der nichts widerstehen kann. Der Begriff also, der sich selbst findet, findet sich als die absolute Macht, welcher alles verschwindet; und jetzt werden alle Dinge, alles Bestehen, alles für fest Gehaltene flüssig. Dies Feste - sei es nun eine Festigkeit des Seins oder Festigkeit von bestimmten Begriffen, Grundsätzen, Sitten, Gesetzen - gerät in Schwanken und verliert seinen Halt. Grundsätze usf. gehören selbst dem Begriffe, sind als Allgemeines gesetzt; aber die Allgemeinheit ist nur ihre Form, der Inhalt, den sie haben, gerät, als etwas Bestimmtes, in Bewegung.
Diese Bewegung sehen wir in den sogenannten Sophisten werden, die uns hier zuerst begegnen. Den Namen σοϕισταί gaben sie sich selbst, als Lehrer der Weisheit, die weise machen können (σοϕίζειν). Die Sophisten sind gerade das Gegenteil von unserer Gelehrsamkeit, welche nur auf Kenntnisse geht und aufsucht, was ist und was gewesen ist, - eine Masse empirischen Stoffs, wo die Entdeckung einer neuen Gestalt, eines neuen Wurms oder sonstigen Ungeziefers und Geschmeißes für ein großes Glück gehalten wird. Unsere gelehrten Professoren sind insofern viel unschuldiger als die Sophisten; um diese Unschuld gibt aber die Philosophie nichts.
Was das Verhältnis der Sophisten zur gemeinen Vorstellung betrifft, so sind sie beim gesunden Menschenverstande ebenso verschrien als bei der Moralität: α) ihrer theoretischen Lehre wegen, als sei es ein Unsinn, daß nichts existiere; β) in Ansehung des Praktischen, - alle Grundsätze und Gesetze umzustoßen.
Fürs erste darf nicht bei diesem Taumel der Bewegung aller Dinge bloß nach ihrer negativen Seite stehengeblieben werden; aber die Ruhe, worein sie übergeht, ist nicht wieder das in seiner Festigkeit Wiederherstellen des Bewegten, so daß am Ende dasselbe herauskäme und sie nur ein überflüssiges Getue wäre. Aber die Sophistik der gemeinen Vorstellung, die ohne die Bildung des Gedankens und ohne Wissenschaft ist, ist eben die, daß ihr ihre Bestimmtheiten als solche für an und für sich seiende Wesen und eine Menge Lebensregeln, Erfahrungssätze, Grundsätze usf. als absolut feste Wahrheiten gelten. Der Geist selbst ist die Einheit dieser vielerlei Wahrheiten; in ihm sind alle diese bornierten Wahrheiten nur als aufgehoben vorhanden, nur als relative Wahrheiten erkannt - oder mit ihrer Schranke, in ihrer Begrenzung, nicht als an sich seiende vorhanden. Diese Wahrheiten sind dem gemeinen Verstande in der Tat selbst nicht mehr. Der gemeine Verstand läßt ein andermal auch vor dem Bewußtsein das Gegenteil gelten und behauptet es selbst; oder weiß auch nicht, daß er unmittelbar das Gegenteil von dem sagt, was er meint, sein Ausdruck nur ein Ausdruck des Widerspruchs ist. In seinen Handlungen überhaupt, nicht im schlechten Handeln, bricht er diese seine Maximen, seine Grundsätze; und wenn er ein vernünftiges Leben führt, so ist es eigentlich nur eine beständige Inkonsequenz, das Gutmachen einer bornierten Handlungsmaxime durch Abbruch von der anderen. Und z. B. ein welterfahrener gebildeter Staatsmann ist, der eine Mitte zu treffen weiß, praktischen Verstand hat, d. h. der nach dem ganzen Umfange des vorliegenden Falls handelt, nicht nach einer Seite desselben (eine Seite spricht eine Maxime aus). Wer, wo es sei, nach einer Maxime handelt, heißt ein Pedant und verdirbt sich und anderen die Sache. Im Gemeinsten ist dies ebenso. Z. B.: "Es ist wahr, daß die Dinge, die ich sehe, sind, ich glaube an ihre Realität", so sagt leicht jeder; allein es ist in der Tat nicht wahr, daß er an ihre Realität glaubt, sondern das Gegenteil. Er ißt und trinkt sie, d. h. er ist überzeugt, daß diese Dinge nicht an sich sind, daß ihr Sein keine Festigkeit, kein Wesen hat. Der gemeine Verstand ist in seinem Handeln also besser, als er denkt. Sein handelndes Wesen ist der ganze Geist, aber als Geist ist er sich seiner nicht bewußt, sondern was er sich bewußt wird, sind solche Gesetze, Regeln, allgemeine Sätze, die ihm im Bewußtsein für wahr gelten; und im Handeln widerlegt er selbst die Borniertheit seines Verstandes. Aber dies Bewußtsein spricht solches bestimmte Sein und das Sein überhaupt als absolutes Wesen aus und heißt dies sein Bewußtsein, seinen Verstand. Wenn der Begriff sich gegen diesen Reichtum, den es an Wahrheit zu besitzen glaubt, wendet und es die Gefahr für seine Wahrheit wittert (denn das Bewußtsein weiß, daß es nur insofern ist, als es Wahrheit hat) und seine festen Wesenheiten ihm verwirrt werden, so wird es aufgebracht; und der Begriff in dieser seiner Beziehung (Realisierung), daß er sich an die gemeinen Wahrheiten macht, zieht sich Haß und Schimpf zu. Dies ist das allgemeine Geschrei gegen die Sophisterei, ein Geschrei des gesunden Menschenverstandes, der sich nicht anders zu helfen weiß.
Sophisterei ist ein übelberüchtigter Ausdruck, und zwar besonders durch den Gegensatz gegen Sokrates und Platon sind die Sophisten in den schlimmen Ruf gekommen. Es bedeutet dies Wort gewöhnlich, daß willkürlicherweise durch falsche Gründe entweder irgendein Wahres widerlegt, schwankend gemacht oder etwas Falsches plausibel, wahrscheinlich gemacht wird. Diesen schlimmen Sinn haben wir auf die Seite zu stellen und zu vergessen. Dagegen wollen wir nun näher von seiner positiven, eigentlich wissenschaflichen Seite betrachten, was die Stellung der Sophisten in Griechenland war.
1. Die Sophisten sind es, die den einfachen Begriff, als Gedanken (der schon in der eleatischen Schule bei Zenon anfängt, sich gegen sein reines Gegenbild, die Bewegung, zu kehren), jetzt überhaupt auf weltliche Gegenstände angewendet und mit demselben alle menschlichen Verhältnisse durchdrungen haben, indem er seiner Macht, seiner als des absoluten und einzigen Wesens bewußt wird - eifersüchtig gegen Anderes, das Bestimmte, das nicht Gedanke ist, gelten will -, und seine Macht und Herrschaft an ihm ausübt. Der mit sich identische Gedanke richtet seine negative Kraft gegen die mannigfaltige Bestimmtheit des Theoretischen und Praktischen, die Wahrheiten des natürlichen Bewußtseins und die unmittelbar geltenden Gesetze und Grundsätze; und was der Vorstellung fest ist, löst sich in ihm auf und läßt insofern auf einer Seite der besonderen Subjektivität zu, sich selbst zum Ersten und Festen zu machen und alles auf sich zu beziehen.
Indem eben dieser Begriff jetzt auftrat, so wurde er allgemeinere Philosophie, und nicht sowohl nur Philosophie, sondern allgemeine Bildung, die jeder Mensch überhaupt, der nicht zum gedankenlosen Volk gehörte, sich gab und geben mußte. Denn Bildung nennen wir eben den in der Wirklichkeit angewandten Begriff, insofern er nicht rein in seiner Abstraktion erscheint, sondern in Einheit mit dem mannigfaltigen Inhalt alles Vorstellens. In der Bildung ist der Begriff allerdings das Herrschende und Bewegende, indem das Bestimmte in seiner Grenze, in seinem Übergehen in Anderes erkannt wird. Er wurde allgemeinerer Unterricht, und es gab deswegen eine Menge Lehrer der Sophistik. Die Sophisten sind die Lehrer Griechenlands, durch welche die Bildung überhaupt in Griechenland zur Existenz kam. Sie sind an die Stelle der Dichter und Rhapsoden getreten. Diese waren früher allgemeine Lehrer. Die Religion war nicht Lehrerin; es ist kein Unterricht in der Religion gewesen. Priester haben geopfert, Orakel gegeben, sind μαντεις gewesen, haben die Sprüche ausgelegt; aber Lehren ist ein anderes. Die Sophisten haben Unterricht in der Weisheit, den Wissenschaften überhaupt, Musik, Mathematik usf. erteilt; das war ihre erste Bestimmung. Vor Perikles war das Bedürfnis der Bildung durch Denken eingetreten; die Menschen sollten in ihren Vorstellungen gebildet sein, dahin zweckten die Sophisten. Sie hatten Amt der Bildung. Das Bedürfnis, sich durch Denken über die Verhältnisse zu bestimmen, nicht mehr bloß durch Orakel oder durch Sitte, Leidenschaft, Empfindungen des Augenblicks, - dies Bedürfnis der Reflexion hat in Griechenland aufwachen müssen. Der Zweck des Staats ist das Allgemeine, worunter das Besondere gefaßt wird; diese Bildung haben die Sophisten verbreitet. Sie haben, wie ein eigener Stand, das Lehren als Geschäft, Gewerbe betrieben, statt der Schulen; sie sind in den Städten herumgereist, die Jugend hat sich ihnen angeschlossen und ist von ihnen gebildet worden.
Bildung ist unbestimmt. Näher was der freie Gedanke gewinnen soll, das muß aus ihm selber kommen, muß die eigene Überzeugung sein; es wird nicht mehr geglaubt, sondern untersucht, - kurz es ist die in neueren Zeiten sogenannte Aufklärung. Das Denken sucht allgemeine Prinzipien, an denen es alles beurteilt, was uns gilt; und es gilt uns nichts, als was diesen Prinzipien gemäß ist. Es übernimmt also, den positiven Inhalt mit sich zu vergleichen, das vorher Konkrete des Glaubens aufzulösen, einerseits den Inhalt zu zersplittern, andererseits diese Einzelheiten, diese besonderen Gesichtspunkte und Seiten zu isolieren und für sich festzuhalten. Dadurch erhält es die Form von etwas Allgemeinem; man gibt Gründe dafür an, d. h. allgemeine Bestimmungen, die man wieder auf die besonderen Seiten hinwendet. Die Seite ist nämlich nichts Selbständiges, sondern nur Moment an einem Ganzen; abgelöst von dem Ganzen beziehen sie sich auf sich, d. h. sind Allgemeinheiten. Zur Bildung gehört, daß man mit den allgemeinen Gesichtspunkten bekannt ist, die zu einer Handlung, Begebenheit usf. gehören, daß man diese Gesichtspunkte und damit die Sache auf allgemeine Weise fasse, um ein gegenwärtiges Bewußtsein über das zu haben, worauf es ankommt. Ein Richter kennt die verschiedenen Gesetze, d. h. die verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkte, unter denen eine Sache zu betrachten ist; dies sind schon für sich allgemeine Seiten; er hat so ein allgemeines Bewußtsein und betrachtet den Gegenstand selbst auf allgemeine Weise. Ein gebildeter Mensch weiß etwas über jeden Gegenstand zu sagen, Gesichtspunkte daran aufzufinden. Diese Bildung hat Griechenland den Sophisten zu verdanken. Sie lehrten die Menschen, Gedanken zu haben über das, was ihnen geltend sein sollte. Die Sophisten sind nicht eigentliche Gelehrte. Ihre Bildung war sowohl Bildung zur Philosophie als zur Beredsamkeit, um ein Volk zu regieren oder etwas bei ihm geltend machen zu wollen durch Vorstellungen. Es gab noch keine positiven Wissenschaften ohne Philosophie, welche trocken, nicht das Ganze des Menschen, seine wesentlichen Seiten betroffen hätten. Außerdem hatten sie den allgemeinsten praktischen Zweck: eine Vorbildung zum allgemeinen Beruf im griechischen Leben, zum Staatsleben, Staatsmanne zu geben, - nicht etwa zu Staatsämtern, als ob sie zu einem Examen in spezifischen Kenntnissen vorbereitet hätten.
Die Sophisten knüpften an den Trieb an, weise zu werden. Zur Weisheit rechnet man, das zu kennen, was die Macht unter den Menschen und im Staate ist und was ich als eine solche anzuerkennen habe. Daher die Bewunderung, die Perikles und andere Staatsmänner genossen, weil sie eben wissen, woran sie sind, und die anderen an ihre rechte Stelle zu setzen vermögen. Der Mensch ist mächtig, der das, was die Menschen tun, auf ihre absoluten Zwecke zurückzuführen weiß, welche den Menschen bewegen. Dies ist Gegenstand der Lehre der Sophisten gewesen. Was die Macht in der Welt ist - der allgemeine, alles Besondere auflösende Gedanke -, weiß auch die Philosophie allein; so sind die Sophisten spekulative Philosophen gewesen. Sie wollten Bewußtsein darüber geben, worauf es in der sittlichen Welt ankommt; dann über das, was den Menschen Befriedigung gibt. Die Triebe und Neigungen, die der Mensch hat, sind seine Macht; indem er ihnen Genüge leistet, wird er befriedigt. Die Religion lehrt dies: die Götter sind die Mächte, welche den Menschen regieren. Ebenso die Gesetze; der Mensch soll sich befriedigen, insofern er den Gesetzen gemäß ist, und er soll voraussetzen, daß die anderen sich auch befriedigen, indem sie die Gesetze befolgen. Durch die Reflexion genügt es aber dem Menschen nicht mehr, den Gesetzen als einer Autorität und äußerlichen Notwendigkeit zu gehorchen; sondern er will sich in sich selbst befriedigen, durch seine Reflexion sich überzeugen, was für ihn verbindlich ist, was Zweck ist und was er für diesen Zweck zu tun habe.
So sind die Sophisten besonders Lehrer der Beredsamkeit gewesen. Das ist die Seite, wo das Individuum sich sowohl geltend machen konnte unter dem Volke, als das ausführen, was das Beste des Volkes sei; dazu war die Beredsamkeit eines der ersten Erfordernisse. Dazu gehörte demokratische Verfassung, wo die Bürger die letzte Entscheidung hatten. Die Beredsamkeit führt die Umstände auf die Mächte, Gesetze zurück. Zur Beredsamkeit gehört aber besonders das: an einer Sache die vielfachen Gesichtspunkte herauszuheben und die geltend zu machen, die mit dem im Zusammenhang sind, was mir als das Nützlichste erscheint. Solche konkrete Fälle haben viele Seiten; diese unterschiedenen Gesichtspunkte aber zu fassen, dazu gehört ein gebildeter Mann; und das ist die Beredsamkeit, diese hervorzuheben, die anderen dagegen in den Schatten zu stellen. Darauf bezieht sich auch des Aristoteles Topik, diese τόπους, Kategorien, Gedankenbestimmungen anzugeben, wonach man sehen muß, um reden zu lernen. Auf ihre Kenntnis legten sich aber zuerst die Sophisten.
Dies die allgemeine Stellung der Sophisten. Wie sie aber sonst verfahren sind, es getrieben haben, davon finden wir ein vollständig bestimmtes Gemälde besonders in Platons Protagoras. WEITER>>>
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