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Manfred Herok  2014

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1. Sokratische Methode               [1/2]

In diese Konversation fällt Sokrates' Philosophieren und die dem Namen nach bekannte Sokratische Methode überhaupt, die nach ihrer Natur dialektischer Weise sein mußte. Sokrates' Manier ist nichts Gemachtes, dagegen die Dialoge der Neueren, eben weil kein innerer Grund diese Form rechtfertigte, langweilig und schleppend werden mußten. Das Prinzip seines Philosophierens fällt vielmehr mit der Methode selbst als solcher zusammen; es kann insofern auch nicht Methode genannt werden, sondern es ist eine Weise, die mit dem Eigentümlichen des Sokrates ganz identisch ist.
Der Hauptinhalt ist, das Gute zu erkennen als das Absolute, besonders in Beziehung auf Handlungen.
Diese Seite stellt Sokrates so hoch, daß er die Wissenschaften, Betrachtung des Allgemeinen in der Natur, dem Geiste usw. teils selbst auf die Seite setzte, teils andere dazu aufforderte.1)
So kann man sagen, dem Inhalte nach hatte seine Philosophie ganz praktische Rücksicht.
Die Sokratische Methode macht aber die Hauptseite aus.

Sokrates' Konversation (diese Methode) hatte das Eigene,
α) jeden zum Nachdenken über seine Pflichten bei irgendeiner Veranlassung zu bringen, wie sich dieselbe von selbst ergab oder wie er sie sich machte, indem er zu Schneider und Schuster in die Werkstatt ging und sich mit ihnen in einen Diskurs einließ.
Mit Jünglingen und Alten, Schustern, Schmieden, Sophisten, Staatsmännern, Bürgern aller Art ließ er sich auf diese Weise in ihre Interessen ein, es seien häusliche Interessen, Erziehung der Kinder, oder Interessen des Wissens, der Wahrheit usf. gewesen, nahm einen Zweck auf, wie der Zufall ihn gab, und führte
β) sie von dem bestimmten Falle ab auf das Denken des Allgemeinen, brachte in jedem eigenes Denken, die Überzeugung und Bewußtsein dessen hervor, was das bestimmte Rechte sei, - des Allgemeinen, an und für sich geltenden Wahren, Schönen. Dies bewerkstelligte er durch die berühmte Sokratische Methode; von dieser Methode ist zu sprechen vor dem Inhalte. Diese hat vorzüglich die zwei Seiten an ihr:
α) das Allgemeine aus dem konkreten Fall zu entwickeln2) und den Begriff, der an sich in jedem Bewußtsein ist, zutage zu fördern,
β) das Allgemeine, die gemeinten, festgewordenen, im Bewußtsein unmittelbar aufgenommenen Bestimmungen der Vorstellung oder des Gedankens aufzulösen und durch sich und das Konkrete zu verwirren. Dies sind nun die allgemeinen Bestimmungen.

a) Näher ist das eine Moment seiner Methode, von dem er gewöhnlich anfing, dieses, daß, indem ihm darum zu tun ist, im Menschen das Denken zu erwecken, er Mißtrauen in ihre Voraussetzungen erwecken will, nachdem der Glaube schon wankend geworden und die Menschen getrieben waren, das, was ist, in sich selber zu suchen. Er läßt sich gewöhnliche Vorstellungen gefallen, fängt damit an; dieses tut er auch, wenn er die Manier der Sophisten zuschanden machen will. Besonders bei Jünglingen ist ihm dies angelegen; sie sollen Bedürfnis nach Erkenntnis (in sich selbst zu denken) haben.
Daß er gewöhnliche Vorstellungen annimmt, sie sich geben läßt, hat die Erscheinung, daß er sich unwissend stellt, die  anderen zum Sprechen bringt, - er wisse dies nicht; und nun fragte er mit dem Scheine der Unbefangenheit, es sich von den Leuten sagen zu lassen, sie sollen ihn belehren.
Dieses ist dann die Seite der berühmten Sokratischen Ironie.
Sie hat bei ihm die subjektive Gestalt der Dialektik, sie ist Benehmungsweise im Umgang; die Dialektik ist Gründe der Sache, die Ironie ist besondere Benehmungsweise von Person zu Person.
Was er damit bewirken wollte, war, daß sich die anderen äußern, ihre Grundsätze vorbringen sollten.
Und aus jedem bestimmten Satze oder aus der Entwicklung entwickelte er das Gegenteil dessen, was der Satz aussprach; d. h. er behauptet es nicht gegen jenen Satz oder Definition, sondern nimmt diese Bestimmung und zeigt an ihr selbst auf, wie das Gegenteil von ihr selbst darin liegt. Oder zuweilen entwickelt er auch das Gegenteil aus einem konkreten Falle. Aus dem, was die Menschen für wahr halten, läßt er sie selbst Konsequenzen ziehen und dann erkennen, wie sie darin anderem widersprechen, was ihnen ebensosehr fester Grundsatz ist. So lehrte also Sokrates die, mit denen er umging, wissen, daß sie nichts wissen; ja, was noch mehr ist, er sagte selber, er wisse nichts, dozierte also auch nicht. Wirklich kann man auch sagen, daß Sokrates nichts wußte; denn er kam nicht dazu, eine Philosophie zu haben und eine Wissenschaft auszubilden. Dessen war er sich bewußt; und es war auch gar nicht sein Zweck, eine Wissenschaft zu haben.

Einerseits scheint diese Ironie etwas Unwahres zu sein, - Sokrates sagt, er wisse dies nicht, und forscht die Leute aus; näher aber liegt dies darin, daß man nicht weiß, was der andere sich dabei vorstellt.
Dies ist zu jeder Zeit das Verhältnis, - wenn man über Gegenstände verhandelt, die allgemeines Interesse haben, über diese hin und her spricht -, daß dann jedes Individuum gewisse letzte Vorstellungen, letzte Worte, die als allgemein bekannt sind, voraussetzt, so daß diese Bekanntschaft gegenseitig sei.
Wenn es aber in der Tat zur Einsicht kommen soll, so sind es gerade diese Voraussetzungen, die untersucht werden müssen.  In neuerer Zeit wird so über Glauben und Vernunft gestritten, Glauben und Erkennen sind so Interessen des Geistes, die uns gegenwärtig beschäftigen; da tut nun jeder, als ob er wohl wüßte, was Vernunft usf. ist, und es gilt als Ungezogenheit, zu fordern, was Vernunft sei; das wird als bekannt vorausgesetzt. Die meisten Streitigkeiten sind über dies Thema. Ein berühmter Gottesgelehrter hat vor zehn Jahren 90 Thesen über die Vernunft aufgestellt.3)
Es waren sehr interessante Fragen, es hat aber kein Resultat gegeben, obgleich viel darüber gestritten ist; jener versichert da vom Glauben, der andere von der Vernunft [her], und es bleibt bei diesem Gegensatz. Sie sind allerdings verschieden voneinander, aber wodurch allein eine Verständigung möglich ist, ist gerade die Explikation dessen, was als bekannt vorausgesetzt wird (es ist nicht bekannt, was Glaube, was Vernunft ist); erst in Angabe der Bestimmungen kann das Gemeinschaftliche hervortreten, erst dadurch können solche Fragen und die Bemühungen darüber fruchtbar werden; sonst kann man jahrelang darüber hin und her streiten und schwatzen, ohne daß es zu einem Fortschritt kommt.

Die Ironie des Sokrates enthält dies Große in sich, daß dadurch darauf geführt wird, die abstrakten Vorstellungen konkret zu machen, zu entwickeln. Wenn ich sage: ich weiß, was Vernunft, was Glaube ist, so sind dies nur ganz abstrakte Vorstellungen; daß sie nun konkret werden, dazu gehört, daß sie expliziert werden, daß vorausgesetzt werde, es sei nicht bekannt, was es eigentlich sei.
Diese Explikation solcher Vorstellungen bewirkt nun Sokrates; und dies ist das Wahrhafte der Sokratischen Ironie. Der eine spricht vom Glauben, der andere von Vernunft, man weiß aber nicht, was sie sich darunter vorstellen; es kommt jedoch allein auf den Begriff an, diesen zum Bewußtsein zu bringen, - es ist um die Entwicklung dessen zu tun, was nur Vorstellung und deshalb etwas Abstraktes ist. 

Es ist auch in neuerer Zeit viel über die Sokratische Ironie gesprochen worden. Das Einfache in derselben ist nur das, daß er das gelten ließ, was ihm geantwortet wurde, wie es unmittelbar vorgestellt, angenommen wird. (Alle Dialektik läßt das gelten, was gelten soll, als ob es gelte, läßt die innere Zerstörung selbst sich daran entwickeln, - allgemeine Ironie der Welt.)
Man hat aus dieser Ironie etwas ganz anderes machen wollen, sie zum allgemeinen Prinzip erweitert; Friedrich von Schlegel ist es, der diese Gedanken zuerst aufgebracht, Ast hat es nachgesprochen.
Sie soll die höchste Weise des Verhaltens des Geistes sein und ist als das Göttlichste aufgestellt worden. Ast sagt: "Die regste Liebe zu allem Schönen in der Idee wie im Leben beseelte seine Gespräche als
inneres, unergründliches Leben." Dieses Leben soll die Ironie sein!!
"Der Ironie bediente er sich vorzüglich gegen die Sophisten, um den Dünkel ihres Wissens niederzuschlagen." Diese Ironie ist eine Wendung der Fichteschen Philosophie, aus ihr hervorgegangen, und ist ein wesentlicher Punkt in dem Verständnis der Begriffe der neuesten Zeit.
Sie ist das Fertigsein des subjektiven Bewußtseins mit allen Dingen:
"Ich bin es, der durch mein gebildetes Denken alle Bestimmungen zunichte machen kann, Bestimmungen von Recht, Sittlichkeit, Gut usw.; und ich weiß, daß, wenn mir etwas als gut erscheint, gilt, ich mir dies ebenso auch verkehren kann. Ich weiß mich schlechthin als den Herrn über alle diese Bestimmungen, kann sie gelten lassen und auch nicht; alles gilt mir nur wahr, insofern es mir jetzt gefällt."
Die Ironie ist das Spiel mit allem; dieser Subjektivität ist es mit nichts mehr Ernst, sie macht Ernst,
vernichtet ihn aber wieder und kann alles in Schein verwandeln.
Alle hohe und göttliche Wahrheit löst sich in Nichtigkeit (Gemeinheit) auf; aller Ernst ist zugleich nur Scherz. Zur Ironie gehöre aber schon die griechische Heiterkeit, wie sie schon in Homers Gedichten weht, daß Amor der Macht des Zeus, des Mars spottet, Vulkan hinkend den Göttern Wein serviert und unauslöschliches Gelächter der unsterblichen Götter sich erhebt, Juno der Aphrodite Backenstreiche gibt. So findet man Ironie in den Opfern der Alten, die das Beste selbst verzehrten, im Schmerze, der lächelt,
in der höchsten Fröhlichkeit und Glück, das bis zu Tränen gerührt wird, im Hohngelächter des Mephistopheles, überhaupt in jedem Übergang von einem Extrem ins andere, vom Vortrefflichsten zum Schlechtesten: sonntags recht demütig, in tiefster Zerknirschung in den Staub, die Brust zerschlagen und büßend sich vernichten, abends sich vollfressen und saufen und in allen Lüsten herumwälzen,
- Unterjochung, gegen die das Selbstgefühl sich wiederherzustellen hatte. Heuchelei ist damit verwandt,
ist die größte Ironie. Asts "inneres tiefstes Leben" ist eben die subjektive Willkür, diese innere Göttlichkeit, die sich über alles erhaben weiß.
Als die Urheber dieser Ironie, von der man versichert, sie sei das "innerste tiefste Leben", hat man fälschlich Sokrates und Platon angegeben, obzwar sie Moment der Subjektivität haben; unserer Zeit war es aufbehalten, diese Ironie geltend zu machen.
Das Göttliche soll die negative Haltung sein, das Anschauen, Bewußtsein der Eitelkeit von allem; meine Eitelkeit bleibt allein noch darin. Das Bewußtsein der Nichtigkeit von allem zum Letzten machen, mag wohl ein tiefes Leben sein; aber es ist nur eine Tiefe der Leerheit, wie sie wohl in der alten Komödie des Aristophanes erscheinen mag.
Von dieser Ironie unserer Zeit ist die Ironie des Sokrates weit entfernt; Ironie hat hier, so wie bei Platon, eine beschränkte Bedeutung.
Sokrates' bestimmte Ironie ist mehr Manier der Konversation, die gesellige Heiterkeit, als daß jene reine Negation, jenes negative Verhalten darunter verstanden wäre, - nicht Hohngelächter, noch die Heuchelei,
es sei nur Spaß mit der Idee.
Aber seine tragische Ironie ist sein Gegensatz seines subjektiven Reflektierens gegen die bestehende Sittlichkeit, - nicht ein Selbstbewußtsein, daß er darübersteht, sondern der unbefangene Zweck, zum wahren Guten, zur allgemeinen Idee zu führen.

b) Das Zweite ist nun das, was Sokrates bestimmter seine Hebammenkunst genannt hat, die ihm von seiner Mutter überkommen sei4) , den Gedanken zur Welt zu helfen, die in dem Bewußtsein eines jeden schon selbst enthalten sind, -        >>>

 

1) M: Xenophon, Memorabilia I, 1, § 10-16

2) M: Aristoteles, Metaphysik XIII, 4

3) vgl. Johann August von Starck, Theoduls Gastmahl, oder über die Vereinigung der verschiedenen christlichen Religionssocietäten, Frankfurt 1909

4) M: Platon, Theaitetos, 210

 

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Von dieser Ironie unserer Zeit ist die Ironie des Sokrates weit entfernt...” >>>

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