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Der Zweck des Skeptizismus aber ist nun im allgemeinen, daß dem Selbstbewußtsein aus dem Verschwinden alles Gegenständlichen, für wahr Gehaltenen, Seienden oder Allgemeinen, alles Bestimmten, alles Affirmativen, sowohl insofern es als Sinnliches wie auch insofern es als Gedanke bestimmt ist, und durch die Epoche [die Zurückhaltung des Beistimmens, etwas als wahr gelten zu lassen] der Zustimmung, die Unbeweglichkeit und Sicherheit des Gemüts, diese Ataraxie [Unerschütterlichkeit/Seelenruhe] seiner selbst hervorgehe; und es ist so dasselbe Resultat, was wir bei den nächsten früheren Philosophien gesehen haben. Sobald also etwas dem Selbstbewußtsein für Wahrheit gilt, es sei sinnliches Sein oder gedachtes, so ist es daran gebunden, es ist ihm Wesen, - ein Allgemeines, über es Hinausgehendes, gegen das es sich das Nichtige ist; und wenn dann dieses Feste verschwindet, so verliert das Selbstbewußtsein sich selbst, - seinen Halt. Seine Ruhe ist das Bestehen seines Seienden und Wahren. Aber dies fremde und bestimmte Wahre ist nicht das Ansichseiende, es ist seine Notwendigkeit, zu wanken und zu weichen; und das Selbstbewußtsein verliert damit selbst sein Gleichgewicht und wird in Unruhe, Furcht und Angst umhergetrieben. Das skeptische Selbstbewußtsein aber ist eben diese Befreiung von aller Wahrheit dieses Seins und davon, sein Wesen in etwas der Art zu setzen; die Skepsis hatte den Zweck, daß alles Bestimmte, als Endliches, ihm nicht gelte. Zur Unbeweglichkeit, zur Freiheit des Selbstbewußtseins gehört, an nichts gebunden zu sein, damit es sein Gleichgewicht nicht verliere; denn gebunden an etwas gerät es in Unruhe. Denn nichts ist fest, jeder Gegenstand ist veränderlich und unruhig, und so kommt das Selbstbewußtsein selbst in Unruhe. Die Skepsis hat so den Zweck, diese bewußtlose Befangenheit aufzuheben, worin das natürliche Selbstbewußtsein befangen ist, den bewußtlosen Dienst unter einem solchen, und, insofern der Gedanke sich in einem Inhalte befestigt, ihn von solchem im Gedanken festen Inhalt zu heilen. Das Selbstbewußtsein läßt für sich selbst alles dergleichen Sein verschwinden, und aus diesem Wanken alles Endlichen, alles Objektiven geht ihm seine subjektive Befreiung, seine einfache Sichselbstgleichheit hervor, - eine Ataraxie, welche durch Vernunft erworben wird und nur durch Vernunft erworben werden kann. Die Reflexion über das, was wir bewußtlos sind, der Gedanke ist es, der das zum Bewußtsein bringt, was von Neigungen, Gewohnheiten usf. im Menschen ist, was er ist, - dies aber zugleich auflöst, indem es sich an sich selbst widerspricht; dies bringt der Gedanke zum Bewußtsein. Und "so entsteht die Ataraxie, die dem Wanken alles Endlichen wie der Schatten dem Körper folgt"; diese Gleichheit, Unabhängigkeit, diese Ruhe tritt aus jenem Wanken mit dem Gedanken unmittelbar von sich selbst ins Bewußtsein über. Sextus Empiricus vergleicht diese Ataraxie damit, "wie Apelles, als er ein Pferd malte und den Schaum durchaus nicht herausbringen konnte, endlich ärgerlich darüber den Schwamm, woran er den Pinsel ausgewischt hatte und worin so alle Farben vermischt waren, gegen das Bild warf und damit eine treue Abbildung des Schaumes traf. So finden auch die Skeptiker in der Vermischung alles Seienden und aller Gedanken die Sichselbstgleichheit des Selbstbewußtseins, die Ruhe, das Wahre, die Ataraxie."52) - Es ist diese Gleichgültigkeit, welche die Tiere von Natur haben und welche durch Vernunft zu besitzen den Menschen von den Tieren unterscheidet. "Pyrrhon zeigte so einst auf dem Schiffe während eines Sturmes seinen Gefährten, die zagten, ein Schwein, das ganz indifferent dabei blieb und ruhig fortfraß, mit den Worten: In solcher Ataraxie müsse auch der Weise stehen"53) , - aber sie müsse nicht schweinisch sein, sondern aus der Vernunft geboren.
Was also die Natur des Skeptizismus ausmacht, ist dieses aus dem Seienden und Gedachten in seine Einfachheit zurückkehrende Selbstbewußtsein. Was als Seiendes und Gedachtes galt, galt ihnen daher nur für ein Erscheinendes oder eine Vorstellung; aber es galt ihnen als eine solche, nach der der Skeptiker sich in seinem Betragen, Tun und Lassen richtete. Die oben angeführten Anekdoten von Pyrrhon sind dem zuwider, was die Skeptiker hierüber sagten. Sie richteten sich allerdings nach dem, was sie sahen, hörten, nach dem Recht und den Gesetzen, die galten, nach dem, was die Klugheit erforderte54) , aber es hatte nicht die Bedeutung einer Wahrheit für sie, sondern nur einer Gewißheit, einer subjektiven Überzeugung, welche nicht den Wert eines Anundfürsichseienden hat.
Der Skeptizismus hieß auch pyrrhonische Philosophie, und ephektische Skepsis von σϰέπτειν, suchen, forschen.55) Man muß σϰέψις nicht übersetzen: Lehre des Zweifels oder Zweifelsucht. Skeptizismus ist nicht ein Zweifel. Zweifel ist gerade das Gegenteil der Ruhe, die das Resultat desselben ist. Zweifel kommt von Zwei her, ist ein Hin- und Herwerfen zwischen zweien und mehreren; man beruhigt sich weder bei dem einen noch bei dem anderen, - und doch soll man sich bei dem einen oder bei dem anderen beruhigen. Z. B. Zweifel über die Unsterblichkeit der Seele, über das Dasein Gottes; vor 40 Jahren schrieb man viel darüber, machte, wie z. B. im Messias, Schilderungen von dem Unglück des Zweifels, man will da seine Ruhe haben in dem einen oder dem anderen. Der Skeptizismus dagegen ist gleichgültig gegen eins sowie gegen das andere; dies ist der Standpunkt der Ataraxie des Skeptizismus.
Der Skeptizismus verhält sich also gegen alles, was die Form des Allgemeinen und des Seins hat, negativ, - eines Allgemeinen, das ein Gedachtes der Stoiker ist, ein bestimmter Begriff, ein Inhalt in einer einfachen Form des Gedankens; gegen das Seiende der sinnlichen Gewißheit überhaupt, der es unbefangen als das Wahre gilt, oder den Epikureismus, der es mit Bewußtsein als das Wahre behauptet. (Insofern der Skeptizismus sich hierauf beschränkt, so ist er ein Moment der Philosophie selbst, die, ebenso negativ gegen beides gerichtet, es nur als ein Aufgehobenes als wahr erkennt. Allein der Skeptizismus meint, er reiche noch weiter; er hat die Prätention, sich an die Idee zu wagen und die spekulative Idee zu überwinden. Allein diese hat den Skeptizismus selbst als Moment in ihr und ist wieder über ihn hinaus.) Gegen beides kann er nun freilich siegen; aber die Idee ist weder eins noch das andere, und das Vernünftige berührt er gar nicht. Dies ist der ewige Mißverstand mit dem Skeptizismus für diejenigen, die die Natur der Idee nicht kennen: daß sie meinen, das Wahre falle notwendig in die eine oder die andere Form, - entweder ein bestimmter Begriff oder ein bestimmtes Sein. Gegen den Begriff als Begriff, absoluten Begriff, geht der Skeptizismus nicht; der absolute Begriff ist vielmehr seine Waffe, nur daß er kein Bewußtsein darüber hat. - Teils werden wir jene Waffe gegen das Endliche sehen, teils auch, wie er sich an dem Vernünftigen versucht.
Die allgemeine Weise des Skeptizismus war also nun näher, daß er sich, wie Sextus es ausdrückt, "für eine Kraft ausgibt, das Empfundene und das Gedachte sich auf irgendeine Weise entgegenzusetzen" (Empfundenes ist es nach der epikureischen Form, Gedachtes nach der stoischen, unmittelbares Bewußtsein und denkendes Bewußtsein, - beide Klassen befassen alles, was auf irgendeine Weise entgegenzusetzen ist): "es sei das Sinnliche dem Sinnlichen und das Gedachte dem Gedachten oder das Sinnliche dem Gedachten oder das Gedachte dem Sinnlichen entgegenzusetzen", - d. h. einen Widerspruch derselben gegeneinander aufzuzeigen oder von allem Bestimmten "zu zeigen, daß irgendeins soviel Wert und Gültigkeit hat als sein Entgegengesetztes", oder für Überzeugung und Nichtüberzeugung gleichgültig ist; so daß das nächste Resultat ist: beides gilt auch, also ist jedes nur ein Scheinen, - "wodurch also die Epoche" (die Zurückhaltung des Beistimmens, etwas als wahr gelten zu lassen) "entsteht und aus ihr dann die Freiheit von aller Bewegung des Gemüts."56) Und hiernach drückt der Skeptizismus sich immer aus: Das scheint nur so. Aber die Skeptiker gehen weiter als die Anhänger des neueren rein formellen Idealismus; sie haben es mit dem Inhalt zu tun und zeigen von allem Inhalt, er sei ein empfundener oder gedachter, daß er ein ihm Entgegengesetztes habe. Sie zeigen also in demselben den Widerspruch auf, daß von allem, was aufgestellt wird, auch das Entgegengesetzte gilt; dies ist das Objektive des Skeptizismus bei seinem Scheinen, - nicht subjektiver Idealismus. "So wird z. B. Sinnliches gegen Sinnliches gesetzt, indem daran erinnert wird, daß derselbe Turm in der Nähe viereckig, in der Entfernung rund aussieht", also eins so gut als das andere gesagt werden könne. Dies ist nun zwar ein triviales Beispiel; aber es kommt auf den Gedanken an, der darin ist. "Oder es wird das Gedachte dem Gedachten entgegengesetzt. Daß es eine Vorsehung gebe", die das Gute belohnt, das Böse bestraft, "dafür beruft man sich auf das System der himmlischen Körper; dem wird entgegengesetzt, daß es den Guten oft schlecht geht, den Bösen aber glücklich, wodurch wir zeigen, daß es keine Vorsehung gibt", - jenes aber dem, der behaupten würde, es gebe keine Vorsehung. Bei dem "Entgegensetzen des Gedachten gegen das Sinnliche" wird die Bestimmung des Anaxagoras aufgeführt, der von dem Schnee, obschon er als weiß erscheint, aus Gründen, Gedanken behaupte, er sei schwarz; denn er sei gefrorenes Wasser, Wasser aber habe keine Farbe, sei also schwarz, mithin müsse dies auch der Schnee sein.57)
Das Nähere, wie die Skeptiker verfahren, ist nun zu betrachten. Das Allgemeine ist, daß sie jedem Bestimmten, Behaupteten, Gedachten sein Anderes entgegensetzen; und dies nun haben sie in gewisse Formen gebracht. Man kann, der Natur des Skeptizismus nach, kein System von Sätzen fordern; es werden nur allgemeine Formen, Methoden dieser Entgegensetzung gezeigt. Da es Zufälligkeit ist, was irgend sich für Gedanken zeigen, so ist auch zufällig die Art und Weise, sie anzugreifen, - allgemeine Weisen; der Widerspruch in einem erscheint so, in anderem anders.
Näher gebrauchten die Skeptiker, als bestimmte Weisen dieses Entgegensetzens, gewisse, nicht Sätze, sondern Tropen, Wendungen, wodurch die Zurückhaltung zustande komme. Es sind eigentliche Wendungen, Formen, die auf alles Gedachte und Empfundene angewendet werden, um zu zeigen, daß es nicht an sich, sondern nur in einer Relation auf Anderes so ist, daß es also selber in ein Anderes scheint und dieses Andere in sich scheinen läßt, daß also überhaupt, was ist, nur scheint, - unmittelbar aus der Sache selbst, nicht aus einem Anderen, als wahr Gesetzten. Z. B. sagt man, die empirische Wissenschaft habe keine Wahrheit, weil diese nur in der Vernunft sei, so ist nur das Gegenteil vorausgesetzt; auch die Wahrheit der Vernunft, an ihr selbst erwiesen, ist nicht eine Widerlegung; denn diese steht so neben jener mit gleichem Rechte an und innerhalb dieser selbst. Die skeptische Lehre besteht in diesen Tropen, Kunst, Widerspruch aufzuzeigen. Diese Wendungen brauchen wir also nur zu beleuchten.
Die Skeptiker selbst (Sextus) unterscheiden in diesen Formen ältere und neuere: zehn an der Zahl, die den älteren Skeptikern angehören, und fünf (oder sieben) den neueren.58) Es wird aus ihren Angaben erhellen, daß jene älteren gegen das gemeine Bewußtsein überhaupt gerichtet sind und einem wenig gebildeten Denken angehören, - einem Bewußtsein, welches zunächst das sinnlich Seiende vor sich hat. Sie gehen gegen das, was wir den gemeinen Glauben an die unmittelbare Wahrheit der Dinge nennen, und widerlegen sie auf ebenso unmittelbare Weise, nicht durch den Begriff, sondern das entgegengesetzte Sein. Sie haben auch in ihrer Aufzählung diese Begriffslosigkeit. Die fünf späteren aber haben mehr Interesse. Sie gehen gegen die Reflexion, auf ein Bewußtsein, welches sich auf den ausgebildeten Verstand bezieht, gegen wissenschaftliche Kategorien, - gegen das Gedachtsein des Sinnlichen, gegen die Bestimmung desselben durch Begriffe. Z. B. jene gegen ein ist: dies ist ein Viereckiges; diese gegen: dies Ding ist eins. Wenn uns nun auch die meisten jener ganz trivial vorkommen können, so müssen wir sie uns doch schon gefallen lassen, da sie geschichtlich sind und sodann wesentlich gegen die Form "es ist" gerichtet sind. Das ist aber ohne Zweifel ein hohes abstraktes Bewußtsein, welches sich diese abstrakte Form "es ist" zum Gegenstand setzt und sie bekämpft. Diese Tropen sehen sehr trivial und gemein aus, aber noch trivialer und gemeiner ist die Realität der sogenannten äußeren Objekte, das unmittelbare Wissen: "Blau ist, dies ist Gelb"; man muß gar nicht vom Philosophieren sprechen wollen, wenn neugierig so was behauptet wird. Der Skeptizismus war wesentlich davon entfernt, die Dinge der unmittelbaren Gewißheit für wahr zu halten. In neuerer Zeit hat Schulze in Göttingen sich breit gemacht mit seinem Skeptizismus; er hat auch einen Ainesidemos geschrieben und hat auch in anderen Werken den Skeptizismus ausgelegt im Gegensatz gegen Leibniz und Kant. In diesem modernen Skeptizismus wird angenommen, daß das, was in unserem unmittelbaren Bewußtsein ist, alles Sinnliche ein Wahres sei. Die Skeptiker haben gelten lassen, daß man sich danach richten müsse; es aber als etwas Wahres auszugeben, ist ihnen nicht eingefallen. Der neuere Skeptizismus ist nur gegen Gedanken, Begriff und Idee gerichtet, also gegen das höhere Philosophische; er läßt also die Realität der Dinge ganz unbezweifelt dastehen und behauptet nur, daß sich daraus nichts für den Gedanken schließen läßt. Das ist aber nicht einmal eine Bauernphilosophie; denn diese wissen, daß alle irdischen Dinge vergänglich sind, daß also ihr Sein ebensogut ist als ihr Nichtsein. Dagegen richtet sich der alte Skeptizismus, den wir jetzt betrachten, eben gegen die Realität der Dinge. Seine Wendungen sollen jetzt näher angegeben werden.
52) Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I, 6, § 12
53) Diogenes Laertios IX, § 68
54) Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I, 8, § 17
55) Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I, 3, § 7
56) Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I, 4, § 8-10; 6, § 12
57) Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I, 13, § 32-33
58) Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I, 14, § 36; 15, § 164; 16, § 178
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