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Kant nennt nun seine Philosophie deshalb Transzendentalphilosophie (diese Ausdrücke sind barbarisch), d. h. ein System der Prinzipien der reinen Vernunft, d. h. der Prinzipien, die das Allgemeine und Notwendige in dem selbstbewußten Verstande aufzeigen, ohne sich mit Gegenständen zu beschäftigen 7), noch zu untersuchen, was Allgemeinheit und Notwendigkeit sei; dies wäre transzendent. Transzendent und transzendental ist zu unterscheiden. Die transzendente Mathematik ist die, in der die Bestimmung des Unendlichen vornehmlich gebraucht wird. In dieser Sphäre der Mathematik sagt man z. B., der Kreis besteht aus unendlich vielen geraden Linien; die Peripherie wird vorgestellt als gerade, und indem so das Krumme als Gerades vorgestellt wird, so geht dies über die geometrische Bestimmung hinaus, ist so transzendent. - Die Transzendentalphilosophie bestimmt Kant so, daß es nicht eine Philosophie sei, die mit Kategorien hinausgeht über ihre Sphäre, sondern die die Quellen aufzeigt von dem, was transzendent werden kann; es bezieht sich dieser Ausdruck nur auf die Quellen solcher Bestimmungen, und dies ist das Bewußtsein. Transzendent würde das Denken sein, wenn diese Bestimmungen von Allgemeinheit, Ursache und Wirkung vom Objekt ausgesagt würden; man würde vom Subjektiven in ein Anderes transzendieren. Dazu sind wir dem Resultat nach nicht berechtigt, aber schon im Anfange nicht, da wir das Denken nur innerhalb seiner betrachten. Wir wollen also nicht die Bestimmungen in ihrem objektiven Sinne betrachten, sondern insofern das Denken die Quelle solcher synthetischen Beziehungen ist; das Transzendentale besteht darin, im subjektiven Denken solche Bestimmungen aufzuzeigen. Das Notwendige und Allgemeine erhält hier die Bedeutung, in dem menschlichen Erkenntnisvermögen zu liegen. Von diesem menschlichen Erkenntnisvermögen aber unterscheidet Kant noch das Ansich, Ding-an-sich; so daß jene Allgemeinheit und Notwendigkeit doch zugleich nur eine subjektive Bedingung des Erkennens ist, daß die Vernunft mit ihrer Allgemeinheit und Notwendigkeit doch nicht zur Erkenntnis der Wahrheit kommt. Denn sie hat als Subjektivität zur Erkenntnis der Anschauung und Erfahrung nötig, eines empirisch gegebenen Stoffes. Dies sind die Bestandstücke, wie es Kant nennt, derselben; ein Stück hat sie an ihr selbst, das andere aber ist das empirisch gegebene. Wenn die Vernunft für sich sein will, an ihr selbst und aus ihr selbst Wahrheit schöpfen will, so wird sie transzendent, sie überfliegt die Erfahrung, weil sie des anderen Bestandstücks entbehrt, und erzeugt dann bloße Hirngespinste. Sie ist daher im Erkennen nicht konstitutiv, sondern nur regulativ; sie ist die Einheit und Regel für das sinnliche Mannigfaltige. Diese Einheit aber für sich ist das Unbedingte, das, die Erfahrung überfliegend, nur in Widersprüche gerät. Im Praktischen nur ist die Vernunft konstitutiv. Die Kritik der Vernunft ist eben dies, nicht die Gegenstände zu erkennen, sondern die Erkenntnis und die Prinzipien derselben, ihre Grenze und Umfang, daß sie nicht überfliegend wird.8) - Dies ist das Allgemeine, das wir nun in seinen einzelnen Teilen näher betrachten wollen.
Näher nimmt Kant den Weg, daß er 1. die theoretische Vernunft betrachtet, die Erkenntnis, die sich auf äußere Gegenstände bezieht. Er untersucht 2. den Willen als Selbstverwirklichung; 3. die Urteilskraft, die eigentliche Betrachtung der Einheit des Allgemeinen und der Einzelheit; wie weit sie es da bringt, werden wir ebenfalls sehen. Die Kritik des Erkenntnisvermögens ist aber die Hauptsache.
7) Kritik der reinen Vernunft (6. Aufl., Leipzig 1818), S. 19 [B 25 f.]
8) Kritik der praktischen Vernunft, S. [A] 254; Kritik der Urteilskraft (3. Aufl., Berlin 1799), Vorrede, S. [B] V
1. Theoretische Vernunft. Kant geht nun psychologisch zu Werke, d. h. geschichtlich; er geht die Hauptweisen des theoretischen Bewußtseins durch. Das erste ist die Anschauung, das Sinnliche; das zweite der Verstand; das dritte die Vernunft. Das erzählt er so her, nimmt es ganz empirisch auf, ohne es aus dem Begriff zu entwickeln.
a) Sinnlichkeit. Den Anfang dieses Apriorischen, Transzendentalen macht das Apriorische der Sinnlichkeit, die Formen der Sinnlichkeit. Erfahrung ist, daß wir eine Sinnlichkeit haben, durch Vorstellungen als äußere affiziert zu werden. In der Anschauung findet sich allerhand Inhalt. Er unterscheidet dabei zuerst die Empfindung als äußerlich: Rot, Farbe, Hartes, - und innere: das Rechtliche, Zorn, Liebe, Furcht, Angenehmes, Religiöses usf. Solcher Inhalt macht das eine Bestandstück aus, er gehört dem Gefühle an; diese sind alle Subjektives und nur subjektiv. In diesem Sinnlichen ist aber auch ein allgemeines Sinnliches selbst; dies Andere bei solchem Stoff ist die Bestimmung von Raum und Zeit, sie sind das Leere. Außer uns ist das Räumliche, für sich ist es unerfüllt; die Erfüllung macht jener Stoff aus, Farbiges, Weiches usw. Die Zeit ist ebenso leer; derselbe Stoff oder anderer, vornehmlich innere Gefühle sind das Bestimmende. Raum und Zeit sind reine Anschauungen, d. h. abstrakte Anschauungen, - Empfinden und Anschauen, so daß wir die Empfindung außer uns verlegen, entweder in die Zeit als fließend oder in den Raum als abgetrennt nebeneinander. Der Inhalt ist neben- oder nacheinander; isolieren wir das Neben und Nach, so haben wir Raum und Zeit. Dieses reine Anschauen sind die Formen der Anschauung. Jetzt heißt freilich alles Anschauung, Denken, Bewußtsein; Gott, der doch nur dem Gedanken angehört, heißt Anschauung, sogenanntes unmittelbares Bewußtsein. Also Raum und Zeit ist das Allgemeine des Sinnlichen selbst, nach Kant die apriorischen Formen der Sinnlichkeit; sie gehören auch nicht der Empfindung an als solcher, insofern sie unmittelbar bestimmt ist. Ich habe diese oder jene Empfindung, es ist immer eine einzelne; das Allgemeine, der Raum und die Zeit, gehören der Sinnlichkeit a priori an. - Diese Beurteilung nennt er nun transzendentale Ästhetik. Jetzt heißt Ästhetik die Kenntnis des Schönen. Hier ist es die Lehre von der Anschauung nach dem, was das Allgemeine in der Anschauung ist, d. h. was im Subjekt als solchem liegt, ihm zukommt, d. h. Raum und Zeit. Die Härte ist meine Empfindung; Anschauung ist, daß ich etwas Hartes empfinde, das Harte hinauslege in den Raum. Es ist diese Teilung von Subjektivität und Objektivität. Im Raum ist der Inhalt außereinander und außer mir; es ist die Tätigkeit, das Tun der apriorischen Sinnlichkeit, den Inhalt hinauszuwerfen. Dies ist der Raum, - oder die Zeit, sobald es ein Vorübergehendes ist.
"1. Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußeren Erfahrungen abgezogen worden." (Daß nun Raum und Zeit keine empirischen Begriffe sind, - in solchen barbarischen Formen spricht Kant beständig; Begriff ist nichts Empirisches.) 'Denn damit ich meine Empfindungen auf etwas außer mir beziehe, setze ich den Raum voraus. Daß etwas Äußerliches in verschiedenem Orte oder Zeit vorgestellt werde, muß die Vorstellung des Raumes und der Zeit schon vorhergegangen sein; oder sie kann nicht von der äußeren Erfahrung abgeborgt sein, sondern die äußere Erfahrung ist erst durch diese vorausgesetzte Vorstellung möglich. ' D. h. Zeit und Raum sind das Allgemeine der sinnlichen Erfahrung; sie sind Anschauungen, aber a priori. Die Erfüllung ist ohnehin subjektiv, gehört dem Gefühle an. Das, was als das Objektive erscheinen kann, Raum und Zeit, ist nichts Empirisches, sondern das Bewußtsein hat vorher in ihm selbst Raum und Zeit; sie erst machen es möglich, daß Partikuläres, die Erfüllung, in sie gesetzt wird. "2. Der Raum ist eine notwendige Vorstellung, die allen äußeren Anschauungen zugrunde liegt." Raum und Zeit ist eine Vorstellung a priori, weil man sich die Dinge nicht vorstellen kann ohne Raum und Zeit; sie liegen notwendig den äußeren Erscheinungen zugrunde. Als a priori sind sie allgemein und notwendig; nämlich so finden wir es. Aber daß sie vorher müssen dasein, als Vorstellungen zugrunde liegen, folgt nicht. Zugrunde liegen sie wohl, aber ebenso als ein äußerliches Allgemeines. Es ist die Sache so vorgestellt: Es sind da draußen Dinge an sich, aber ohne Zeit und Raum; nun kommt das Bewußtsein und hat vorher Zeit und Raum in ihm als die Möglichkeit der Erfahrung, so wie, um zu essen, es Mund und Zähne usw. hat als Bedingungen des Essens. Die Dinge, die gegessen werden, haben den Mund und die Zähne nicht, und wie es den Dingen das Essen antut, so tut es ihnen Raum und Zeit an; wie es die Dinge zwischen Mund und Zähne legt, so in Raum und Zeit. - '3. Raum und Zeit ist kein allgemeiner (abstrakter) Begriff von Verhältnissen der Dinge, sondern eine Anschauung. Denn man kann sich den Raum nur als einen einigen vorstellen; er hat nicht Bestandteile.' Der abstrakte Begriff (die allgemeine Vorstellung) aber, z. B. Baum, in seiner Wirklichkeit ist eine Menge einzelner getrennter Bäume. Räume aber sind nicht solche besondere oder auch nicht Teile; sondern es bleibt eine Kontinuität. Er ist daher eine unmittelbare, einfache Einheit oder Kontinuität. Sie sind Abstrakta. Die Anschauung, Wahrnehmung hat immer nur etwas Einzelnes vor sich; der Raum, die Zeit sind aber immer nur Eines, darum sind sie a priori. Ebenso gibt es aber auch nur ein Blau. Raum und Zeit sind keine Gedankenbestimmungen, - besonders, wenn man keine Gedanken dabei hat. Raum und Zeit sind nichts Einzelnes, sondern Allgemeines, Abstraktes, - dies die Natur des Raums und der Zeit, - aber ein Begriff, sobald man einen Begriff davon hat. '4. Der Raum ist eine unendliche Menge, nicht Begriff, der wohl unter sich, aber nicht in sich eine unendliche Menge von Vorstellungen enthält. Er ist daher eine Anschauung.' 9)
Die transzendentale Erörterung sagt noch dies aus, daß diese Vorstellung von Raum und Zeit synthetische Sätze a priori enthalte, die mit dem Bewußtsein ihrer Notwendigkeit verbunden sind. Solche synthetische Sätze sind z. B., daß der Raum drei Abmessungen habe, oder die Definition der geraden Linie, daß sie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten sei; ebenso 5+7=12.10) (Dieses letzte ist sehr analytisch, ebenso das andere.) Dies ist erstens nicht aus der Erfahrung, besser: nicht eine einzelne zufällige Wahrnehmung; dies ist richtig, sie ist allgemein und notwendig. Zweitens ist es aus der Anschauung, wir haben es eben in der Anschauung, nicht durch den Verstand oder Begriff. Dies faßt Kant aber nicht zusammen. Es ist eben in der Anschauung unmittelbar gewiß. - Wir haben mancherlei Empfindungen, die "den eigentlichen Stoff ausmachen", mit denen wir äußerlich und innerlich "unser Gemüt besetzen", und das Gemüt hat eine "formale Bedingung der Art" in ihm selbst, "wie wir sie im Gemüte setzen"; dies ist Raum und Zeit.11) Wie nun das Gemüt dazu kommt, gerade diese Formen zu haben, was die Natur der Zeit und des Raums ist, darüber fällt es der Kantischen Philosophie gar nicht ein zu fragen. Was sind Raum und Zeit an sich, heißt nicht: was ist ihr Begriff? sondern: sind sie Dinge äußerlich oder etwas im Gemüt?
b) Das zweite Vermögen, wie das erste Sinnlichkeit überhaupt ist, ist der Verstand; dieser ist nun etwas ganz anderes als die Sinnlichkeit. Er zählt das her, wie in der empirischen Psychologie; die Darstellung einer Notwendigkeit eines solchen Fortgangs fehlt. Die Sinnlichkeit ist Rezeptivität. Den Verstand nennt Kant die Spontaneität des Denkens; dieser Ausdruck kommt aus der Leibnizischen Philosophie her. Der Verstand ist tätiges Denken, Ich selbst; er ist das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken. Er hat aber nur Gedanken ohne Inhalt: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind." Der Verstand bekommt von der Sinnlichkeit also den Stoff, sowohl den empirischen als den apriorischen, Zeit und Raum; und er denkt diesen Stoff, aber seine Gedanken sind etwas ganz anderes als dieser Stoff. Oder er ist ein Vermögen von einer besonderen Art; und nur wenn beides geschehen, die Sinnlichkeit Stoff geliefert, der Verstand seine Gedanken damit verbunden hat, so kommt die Erkenntnis heraus.12)
9) Kritik der reinen Vernunft, S. 34-36 [B 39 f.]
10) Kritik der reinen Vernunft, S. 30-31, 13 [B 40, 15]
11) Kritik der reinen Vernunft, S. 49 [B 66]
12) Kritik der reinen Vernunft, S. 54-55, [B 74 f.]
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