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Ich ist nun also in sich beschlossen, daß es die transzendentale Einheit der Wahrnehmung ist, Einheit eines Gedoppelten, der reinen Anschauungen und der reinen Begriffe, und Einheit von beiden. Nach Kant sind nun in der Erfahrung zwei Bestandstücke: einerseits das Empirische, die Wahrnehmung; andererseits das zweite Moment, die Kategorie, Ursache und Wirkung, Substanz und Akzidenz, Gattung, Allgemeines. Es ist dies eine ganz richtige Analyse; in der Erfahrung finden wir diese beiden Bestimmungen. Kant knüpft aber daran, daß die Erfahrung nur Erscheinungen faßt und daß wir durch die Erkenntnis, die wir durch Erfahrung haben, nicht die Dinge erkennen, wie sie an sich sind. Denn ihre zwei Bestandstücke sind: 1. Empfindung, welche ohnehin subjektiv ist; 2. Kategorien, welche nur Bestimmungen unseres Verstandes sind. Aber der reale Inhalt, Stoff sind die Empfindungen, das andere Bestandstück der Erkenntnis; weder das eine noch das andere ist etwas an sich, und beide zusammen, das Erkennen, auch nicht, sondern es erkennt nur Erscheinungen, - ein sonderbarer Widerspruch. Erkennen ist in der Tat ihre Einheit; aber bei der Erkenntnis hat Kant immer das erkennende Subjekt als einzelnes im Sinne. Das Erkennen selbst ist die Wahrheit beider Momente; das Erkannte ist nur die Erscheinung, Erkennen fällt wieder in das Subjekt. Dies Erkennen des Subjekts enthält also nur Erscheinungen, nicht das Ansich. Denn es enthält die Dinge nur in der Form der Gesetze des Anschauens und der Sinnlichkeit.
In der Tat ist in dem, was wir gesehen, nur das empirische, endliche Selbstbewußtsein beschrieben, das eines Stoffes von außen nötig hat oder das ein einzelnes, beschränktes ist. Es wird nicht gefragt, ob diese Erkenntnisse an und für sich ihrem Inhalte nach wahr oder nicht wahr sind. Die ganze Erkenntnis bleibt innerhalb der Subjektivität stehen, und drüben ist als Äußeres das Ding an sich. Dieses Subjektive ist jedoch konkret in sich, Denken, Verstand, der bestimmt ist (Kategorien). Schon die Kategorien sind konkret, noch mehr aber die Erfahrung, die Synthesis des Empfundenen mit der Kategorie. Das Allgemeine und Notwendige heißt bei Kant das Objektive; durch Allgemeinheit und Notwendigkeit ist die Erfahrung objektiv. Das Wahrgenommene ist nicht objektiv; die Wahrnehmung in der Erfahrung nennt Kant das Subjektive, Zufällige. Die Kategorie dagegen, wodurch der Stoff in Beziehung gesetzt wird, die Einheit, die das Denken hineinbringt, ist das Objektive in derselben, das Gesetz, das Allgemeine. Auf der andern Seite ist dieser Stoff des Gebiets der Anschauung subjektiv überhaupt; d. h. er ist nur so, wie er in meiner Empfindung ist: ich weiß nur von der Empfindung, nicht von der Sache. Dies ist ohnehin subjektiv. Aber das Objektive, was den Gegensatz machen soll, ist selbst ebenso subjektiv, gehört zwar nicht meinem Gefühl an, aber bleibt im Kreise des Subjekts, in dem reinen Ich meines Selbstbewußtseins, dem Gebiet des denkenden Verstandes, eingeschlossen. Ich habe einerseits Gefühlsinhalt, andererseits bin ich tätig dagegen, lasse ihn nicht in seiner zufälligen Bestimmung, mache ihn allgemein. Aber dies ist auch subjektiv, und so erkennen wir die Sache nicht an ihr selbst. Einerseits sind Gefühlsbestimmungen, die mit unseren Organen zusammenhängen, andererseits Denkbestimmungen, die in meinem Ich liegen; so sind es nur Erscheinungen, die wir erkennen und bestimmen. Insofern nannte sich die Kantische Philosophie Idealismus: wir haben es nur mit unseren Bestimmungen zu tun, kommen nicht zum Ansich; zum wahrhaft Objektiven kommen wir nicht.
c) Das dritte bei Kant ist nun die Vernunft. Das zweite war der Verstand, das denkende Bestimmen. Kant geht von dem Verstand nun ebenso psychologisch zur Vernunft fort, sie wird eben auch angetroffen. Es wird im Seelensack herumgesucht, was darin für Vermögen sich befinden; es findet sich zufälligerweise noch Vernunft, - es wäre ebensogut, wenn auch keine: wie Magnetismus bei den Physikern zufällig ist, - es ist gleichgültig, ob er sei oder auch nicht. "Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen."22) Die Vernunft ist das Vermögen, aus Prinzipien zu erkennen, das Besondere im Allgemeinen durch Begriffe: der Verstand nicht; sein Besonderes ist durch Anschauung - aber die Kategorien sind selbst etwas Besonderes. Das Vernunftprinzip überhaupt ist nun das Allgemeine, das Denken, insofern es das Unbedingte und Unendliche zu seinem Gegenstand macht. Ihr Produkt ist die Idee überhaupt; und unter Idee versteht Kant das Unbedingte, Unendliche.23) Das ist das abstrakt Allgemeine, Unbestimmte. Und seitdem ist es philosophischer Sprachgebrauch geworden, Verstand und Vernunft zu unterscheiden; bei älteren Philosophen ist dieser Unterschied dagegen nicht vorhanden. Verstand ist das Denken in endlichen Verhältnissen, - Vernunft, nach Kant, das Denken, was das Unbedingte, Unendliche zum Gegenstand hat; und dies Unbedingte nennt er Idee, ein Ausdruck von Platon.24)
Dies Unbedingte muß nun konkret gefaßt werden. Die Hauptschwierigkeit liegt nun in folgendem. Die Vernunft hat das Unbedingte, Unendliche zu erkennen. Was heißt dies? Es heißt, das Unbedingte bestimmen, die Bestimmungen desselben ableiten; dies heißt Erkennen oder soll so genannt werden. Es ist viel über Wissen, Erkennen usf. geschrieben und gesprochen worden; aber es ist nicht definiert. Aber in der Philosophie ist es darum zu tun, daß das, was als bekannt vorausgesetzt wird, erkannt wird; es handelt sich also hier darum, daß das Unbedingte erkannt werde. Die Vernunft hat nun den Trieb, das Unendliche zu erkennen; aber dies vermag die Vernunft nicht. Und der Grund, den Kant angibt, ist einerseits dieser, daß das Unendliche nicht in der Erfahrung gegeben ist, daß diesem keine psychologisch sinnliche Anschauung, Wahrnehmung entspricht, daß es nicht in der äußerlichen oder inneren Erfahrung gegeben ist; - der Idee kann kein kongruierender Gegenstand in der Sinnenwelt gegeben werden.25) Es kommt darauf an, wie man die Welt ansieht; aber die Erfahrung, Betrachtung der Welt heißt Kant nie was anderes, als daß hier ein Leuchter steht, hier eine Tabaksdose. Das ist nun allerdings richtig; das Unendliche ist nicht in der Welt, in der sinnlichen Wahrnehmung gegeben. Und vorausgesetzt, was wir wissen, sei Erfahrung, ein Synthesieren von Gedanken und Gefühlsstoffen, so kann allerdings das Unendliche nicht erkannt werden in dem Sinne, daß man eine sinnliche Wahrnehmung davon hat. Aber man wird auch für die Bewahrheitung des Unendlichen nicht eine sinnliche Wahrnehmung fordern wollen; der Geist ist nur für den Geist.
Die zweite Seite ist, wenn das Unendliche erkannt werden soll, so soll es bestimmt werden; dazu hat die Vernunft aber nichts als die Formen des Denkens, die wir Kategorien nennen, und diese geben das, was Kant objektive Bestimmungen nennt, aber so, daß sie an sich doch wieder nur ein Subjektives sind. Wenn wir aber diese Kategorien, die nur auf sinnliche Anschauungen angewendet werden können, zum Bestimmen des Unendlichen gebrauchen, so verwickeln wir uns in falsche Schlüsse (Paralogismen) und Widersprüche (Antinomien); und es ist dies eine wichtige Seite der Kantischen Philosophie, die Bestimmung, daß das Unendliche, soweit es durch Kategorien bestimmt wird, sich in Widersprüchen verliert. Diese Widersprüche, sagt er, sind notwendig; und die Vernunft wird darin transzendent. Die Vernunft hat auch die Forderung in sich, die Wahrnehmung, Erfahrung, Verstandeserkenntnis auf das Unendliche zurückzuführen. Das wäre das höchst Konkrete, Vereinigung des Unendlichen mit dem Endlichen der Verstandeserkenntnis oder gar der Wahrnehmung. Es ist großes Wort, daß die Vernunft Ideen hervorbringt; bei Kant ist es aber Abstraktion. Das Konkrete der Vernunft wäre erst die Vereinigung des Unbedingten mit dem Bedingten.
Dieses Unbedingten gibt es nun verschiedene Arten, eigentümliche, durch die Vernunft erzeugte Gegenstände, transzendentale Ideen; sie sind also selbst ein Besonderes. Die Art, wie er zu diesen Arten kommt, ist nun wieder aus der Erfahrung, der formalen Logik, nach welcher es verschiedene Arten des Vernunftschlusses gibt. Kant leitet aus Formen der Syllogismen die Ideen ab; es gibt mehrere Formen der Schlüsse: α) kategorische, β) hypothetische und γ) disjunktive. Das Unbedingte ist daher von dreierlei Art: 1. Das "Unbedingte der kategorischen Synthesis in einem Subjekt". Synthesis ist das Konkrete, es ist zweideutig; es ist Verknüpfung, aber Selbständiger, so äußerliche. Diese Verbindung machen wir, indem wir uns das denkende Subjekt vorstellen. 2. Das Unbedingte der "hypothetischen Synthesis der Glieder in einer Reihe; 3. der disjunktiven Synthesis der Teile in einem System."26) Die erste Verbindung, als Gegenstand der Vernunft, transzendentale Idee ausgesprochen, machen wir, indem wir uns "das denkende Subjekt" vorstellen; das zweite "ist der Inbegriff aller Erscheinungen, die Welt"; und das dritte "das Ding, welches die oberste Bedingung der Möglichkeit von allem, was gedacht werden kann, enthält, das Wesen aller Wesen", - das ist Gott.27) Es ist nun die Frage, ob diesen Gegenständen Realität verschafft werden, ob die Vernunft sie bis zur Wirklichkeit bringen kann. Oder bleiben sie ins subjektive Denken eingeschlossen? Das ist die letzte Spitze. Die Vernunft ist nun nicht fähig, ihren Ideen Realität zu geben, sonst wird sie transzendent, überfliegend; sondern sie bringt nur Paralogismen, Antinomien und ein Ideal ohne Wirklichkeit hervor.
α) 'Paralogismus ist ein falscher Vernunftschluß der Form nach.' Indem die Vernunft die Art des Unbedingten, die kategorische Synthesis in einem Subjekte, das denkende Subjekt als real denkt, so heißt es Substanz. Ist Ich, das Denkende, eine Substanz, eine Seele, ein Seelending? Weiter fragt es sich, ob es beharrlich, immateriell, inkorruptibel, persönlich, unsterblich ist und ein solches, das eine reale Gemeinschaft mit den Körpern hat. - Die Falschheit des Schlusses besteht darin, daß die notwendige Vernunftidee von der Einheit des transzendentalen Subjekts als ein Ding ausgesagt wird. Ich finde mich in meinem Denken beharrlich, das Beharrliche ist Substanz. Ich finde mich aber nur beharrlich im wahrnehmenden Bewußtsein, nicht außer dem Bewußtsein. Ich ist das leere transzendentale Subjekt unserer Gedanken, es wird aber nur durch seine Gedanken erkannt; was es aber an sich ist, davon können wir daraus nicht den geringsten Begriff haben. (Eine abscheuliche Unterscheidung! Der Gedanke ist das Ansich.) Wir können kein Sein von ihm aussagen, weil das Denken, Selbstbewußtsein, eine bloße Form ist und wir von denkenden Wesen durch keine äußere Erfahrung, sondern bloß durchs Selbstbewußtsein eine Vorstellung haben, - d. h., weil wir das Ich nicht in die Hände nehmen, nicht sehen, nicht daran riechen können usw. In der Tat, wenn es ein gemeines Ding sein sollte, so mußte es auch erfahren werden können. Wir wissen wohl, Ich ist Subjekt; gehen wir aber über das Selbstbewußtsein und sagen, daß es Substanz sei, so gehen wir weiter, als wir berechtigt sind. Ich kann dem Subjekte keine Realität geben.
Hier, sehen wir, gerät Kant mit der Barbarei der Vorstellungen, die er widerlegt, und der Barbarei seiner eigenen Vorstellungen, die innerhalb der widerlegten bleiben, in Widerspruch. α) Kant hat ganz recht, wenn er behauptet, daß Ich nicht ein sinnliches Ding ist, ein totes Beharrendes, ein Seelending, das ein sinnliches Dasein hat. β) Das Gegenteil, das er behauptet, ist aber nicht, daß Ich, als dieses Allgemeine oder das Sich-Denken, das Wesen und die wahrhafte Realität, das Moment der Wirklichkeit, die er verlangt als gegenständliche Weise, an ihm selbst hat; sondern er bleibt innerhalb dieser Vorstellung der Realität und des Seins stehen, daß die Realität darin bestehe, ein sinnliches Dasein zu sein; aus dieser Vorstellung kommt Kant nicht heraus. Weil Ich kein sinnliches Dasein hat, uns in keiner äußeren Erfahrung gegeben ist, so ist es nicht reell. Denn Selbstbewußtsein, Ich als solches, ist nicht die Realität; es ist nur unser Denken, oder Kant faßt das Selbstbewußtsein schlechthin selbst nur als sinnliches auf. - Sein, Ding, Substanz hat bei Kant die Gestalt, als ob dies zu hoch wäre fürs Subjekt, zuviel vom Subjekt gesagt würde. Vielmehr ist solche Bestimmung aber arm, das Lebendige ist kein Ding, ebensowenig Seele, Geist; Ding, Substanz ist vielmehr zu schlecht für das Ich, - es ist Kategorie des Verstandes. Sein ist ebenso das Wenigste, was man vom Geist sagen kann, seine abstrakte, unmittelbare Identität mit sich; Sein kommt dem Geist zu, man muß es aber kaum der Mühe wert halten, es auf ihn anzuwenden.
β) Das zweite ist dann die Antinomie, der Widerspruch der Vernunftidee des Unbedingten, auf die Welt angewendet, sie als einen vollständigen Inbegriff der Bedingungen darzustellen oder sie selbst als unbedingt, als unendlich. Es sind Erscheinungen gegeben, die Vernunft fordert die absolute Vollständigkeit der Bedingungen ihrer Möglichkeit, sofern diese eine Reihe ausmachen, eine schlechthin vollständige Synthesis. Wenn nun diese Vollendung als seiend ausgesagt wird, so stellt sich nur eine Antinomie dar und die Vernunft nur als dialektisch. Es findet sich in diesem Gegenstande nach allen Seiten hin vollkommener Widerspruch. Die Erscheinungen sind endlicher Inhalt; die Vernunftbestimmung soll das Unbedingte, Unbeschränkte sein. Die Welt ist Zusammenhang von Beschränktem; wird dieser Inhalt von der Vernunft gedacht, unters Unendliche subsumiert, so haben wir zwei Bestimmungen, Endliches und Unendliches, die sich widersprechen. Die Vernunft fordert schlechthin vollständige Synthesis, in den Erscheinungen haben wir Reihe von Ursachen und Wirkungen; die Vernunft fordert aber Vollendung der Reihe, Anfang. Kant zeigt vier Widersprüche auf28) ; das ist wenig, allenthalben sind Antinomien. In jedem Begriffe ist es leicht, einen Widerspruch aufzuzeigen; denn der Begriff ist konkret, so nicht einfache Bestimmung. So enthält er unterschiedene Bestimmungen, diese sind sogleich Entgegengesetzte; diese Widersprüche nannte Kant Antinomien. Das ist wichtig, aber gegen die Intention Kants.
αα) Diese Antinomien enthalten z. B. dieses, daß man ebenso die eine Bestimmung, die Begrenztheit, geltend machen muß als die Unbegrenztheit. Die Vollendung der Synthesis im Fortgehen nach der Zeit und dem Raum ist ein erster Anfang der Zeit und des Raums. - 1. Die Welt hat einen Anfang und Ende in der Zeit, und sie ist in einem umschlossenen Raum. 2. Sie hat keinen Anfang und Ende in der Zeit und auch keine Grenzen im Raum. Eines kann sogut als das andere bewiesen werden; es sind keine "Advokatenbeweise"; er beweist apagogisch.29) Es soll erkannt werden, ob die Welt einen Anfang und ein Ende hat oder nicht, ob sie begrenzt ist in Raum und Zeit. Die Welt aber ist dies Universum, das Ganze; so ist sie ein Allgemeines, eine Idee, und diese könnte als begrenzt oder unbegrenzt bestimmt werden. Wendet man nun diese Kategorien darauf an, so verfällt man in Widersprüche.
ββ) Oder zweite Antinomie: die einfachen Teile, woraus die Substanz zusammengesetzt wäre, sind notwendig zu setzen, oder die Einfachheit kann bewiesen werden; aber ebenso die Nichtvollendung, der unendliche Fortgang. - 1. "Eine jede zusammengesetzte Substanz besteht aus einfachen Teilen", Atomen. 2. Oder "es existiert nichts Einfaches".30) Das Atom ist auch die Grenze, materielles Fürsichseiendes; ebenso ist die umschließende Oberfläche das Punktuelle. Das Andere ist die Teilbarkeit ins Unendliche.
γγ) Dritte Antinomie: Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit. Das Erste ist das sich aus sich Bestimmende, das ist die Seite der Unendlichkeit; die Kausalität nach Gesetzen der Freiheit ist die einzige. Das Andere ist: es ist nur Determinismus vorhanden; jedes ist durch einen Grund determiniert.31)
δδ) Vierte Antinomie: In einer anderen Rücksicht vollendet sich die Totalität in der Freiheit, als einem ersten Anfange des Tuns, oder in einem absolut notwendigen Wesen, als der Ursache der Welt, - der Fortgang ist zerbrochen; aber jener Freiheit steht ebenso die Notwendigkeit des Fortgangs nach Bedingungen der Ursachen und Wirkungen gegenüber und dem notwendigen Wesen dieses, daß alles zufällig ist. "Zu der Welt gehört ein schlechthin notwendiges Wesen", absolute Substanz, die absolute Notwendigkeit der bedingten Welt. Das Gegenteil ist: "Es existiert kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt noch außer der Welt."32)
Einer von diesen Gegensätzen ist so notwendig als der andere; und es ist überflüssig, dies hier näher auszuführen. Die Notwendigkeit dieser Widersprüche ist die interessante Seite, die Kant zum Bewußtsein gebracht hat. Man stellt sich nach der gemeinen Metaphysik vor, eins müsse gelten und das andere widerlegt werden; die Notwendigkeit aber, daß solche Widersprüche stattfinden, ist gerade das Interessante.
Kant löst auch diese Antinomien auf, und zwar auf diese eigentümliche Weise im Sinne des transzendentalen Idealismus, der nämlich nicht die Existenz äußerer Dinge bezweifelt oder leugnet, sondern der es erlaubt, daß die Dinge in Raum und Zeit angeschaut werden (wozu man keiner Erlaubnis bedarf), aber für den Raum und Zeit an sich selbst keine Dinge sind und daher außer unserem Gemüt nicht existieren, also weder das Bedingte noch das Unbedingte von Dingen an sich ausgesagt werden kann33) ; d. h. alle diese Bestimmungen vom Anfang in der Zeit usw. kommen nicht den Dingen, dem Ansich selbst zu, das außerhalb unseres subjektiven Denkens für sich existierte. Kämen solche Bestimmungen der Welt, Gott, den Freien zu, so wäre objektiver Widerspruch vorhanden; dieser Widerspruch ist aber nicht an und für sich vorhanden, sondern kommt nur uns zu: er hat seine Quelle allein in unserem Denken. Oder dieser transzendentale Idealismus läßt den Widerspruch bestehen, nur daß das Ansich nicht so widersprechend sei, sondern dieser Widerspruch allein in unser Gemüt falle. So bleibt denn dieselbe Antinomie in unserem Gemüte; wie sonst Gott das war, das alle Widersprüche in sich aufzunehmen hatte, so jetzt das Selbstbewußtsein. Daß aber nicht die Dinge sich widersprechen, sondern es, das ficht die Kantische Philosophie weiter nicht an; es tut nichts. Die Erfahrung lehrt, daß es sich nicht auflöst; wir wissen, daß Ich ist. Man kann also um seine Widersprüche unbekümmert sein, denn sie löst es nicht auf, es kann sie ertragen. - So ist aber der Widerspruch nicht aufgelöst; er besteht vor wie nach. Das ist zuviel Zärtlichkeit für die Dinge; es wäre schade, wenn sie sich widersprächen. Daß aber der Geist (das Höchste) der Widerspruch ist, das soll kein Schade sein. Der transzendentale Idealismus löst also den Widerspruch gar nicht auf. Die Erscheinungswelt hat ein Ansich, dem kommt er nicht zu. Dieses ist ein Anderes als der Geist. Das Widersprechende zerstört sich; so ist der Geist Zerrüttung, Verrücktheit in sich selbst. Die wahrhafte Auflösung geht auf den Inhalt, daß die Kategorien keine Wahrheit an ihnen haben, ebensowenig aber das Unbedingte der Vernunft, sondern nur die Einheit beider als konkrete.
22) Kritik der reinen Vernunft, S. 257 [B 355]
23) Kritik der reinen Vernunft, S. 267 [B 369 f.]
24) Kritik der reinen Vernunft, S. 268 [B 370]
25) Kritik der reinen Vernunft, S. 278 [B 384]
26) Kritik der reinen Vernunft, S. 261-262, 274-275 [B 361, 379]
27) Kritik der reinen Vernunft, S. 284 [B 391]
28) Kritik der reinen Vernunft, S. 320 [B 443]
29) Kritik der reinen Vernunft, S. 328-329, 332 [B 452 ff.]
30) Kritik der reinen Vernunft, S. 336-337 [B 462 f.]
31) Kritik der reinen Vernunft, S. 346-347 [B 471 f.]
32) Kritik der reinen Vernunft, S. 354-355 [B 480 f.]
33) Kritik der reinen Vernunft, S. 385-386 [B 520]
Neueste deutsche Philosophie >
A. Jacobi >
B. Kant >
C. Fichte >
1. Ursprüngliche Philosophie Fichtes / > 2. Fichtes neu umgebildetes System / > 3. Hauptformen, die mit der Fichteschen Philosophie zusammenhängen > a. Friedrich von Schlegel / > b. Religiöse Subjektivität / > c. Novalis / > d. Fries, Bouterwek, Krug >
D. Schelling >
E. Resultat >
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