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[René Descartes: Das Gewisse] 1/2/3/4/5
b) Das Gewisse. Cartesius suchte etwas an sich selbst Gewisses und Wahres, das weder nur wahr wäre wie der Gegenstand des Glaubens ohne Wissen, noch die sinnliche, auch skeptische Gewißheit, die ohne Wahrheit ist. Das ganze Philosophieren war damit behaftet, etwas als wahr vorauszusetzen, teils, wie die neuplatonische Philosophie, die Form der Wissenschaft nicht ihrem Wesen zu geben oder die Momente desselben nicht auseinanderzusetzen. Nichts ist wahr, was nicht innere Evidenz im Bewußtsein hat oder was die Vernunft nicht so deutlich und bündig erkennt, daß ein Zweifel daran schlechthin unmöglich. Ich hat die Bedeutung als Denken, nicht Einzelheit des Selbstbewußtseins. Der zweite Satz seiner Philosophie ist daher die unmittelbare Gewißheit des Denkens. Wir müssen suchen, was gewiß ist; und das Gewisse ist die Gewißheit, das Wissen als solches in seiner reinen Form als sich auf sich beziehend. Dies ist das Denken; so geht dann der unbeholfene Verstand weiter fort zum Bedürfnis des Denkens. Hiermit ist auf einmal die Philosophie in ein ganz anderes Feld, ganz anderen Standpunkt versetzt, nämlich in die Sphäre der Subjektivität, das Gewisse. Es wird aufgegeben Vorausgesetztes der Religion, nur das Beweisen gesucht, nicht der Inhalt. Es ist unendliche abstrakte Subjektivität; der absolute Inhalt verschwindet. Es ist ebenso dies Gärende, aus großem Gefühl, Anschauung zu sprechen, - wie Bruno und so viele andere, jeder in seiner Weise, als Individualitäten ihre eigentümliche Weltanschauung aussprechen.
"Indem wir so alles wegwerfen oder es für falsch erklären, an dem wir auf irgendeine Weise zweifeln können, so ist es uns leicht, vorauszusetzen, daß kein Gott, kein Himmel, kein Körper, aber darum nicht, daß wir nicht seien, die wir dieses denken. Denn es ist widersprechend (repugnat, - es geht gegen den Mann), zu meinen, das, was denke, existiere nicht. Daher ist diese Erkenntnis, Ich denke, also bin ich, die erste von allen und die gewisseste, die sich jedem, der in Ordnung philosophiert, darbietet."7)
Cartesius fängt also mit dem Standpunkt des Ich als des schlechthin Gewissen an, wie auch Fichte anfängt; ich weiß, es stellt sich in mir dar. Ein ganz anderer Boden ist so fürs Philosophieren gegeben. Den Inhalt in sich selbst zu betrachten, ist nicht das Erste; nur Ich ist das Gewisse, Unmittelbare. Von allen meinen Vorstellungen kann ich abstrahieren. Das Denken ist das Erste; die nächste Bestimmung, die hinzukommt, unmittelbar damit zusammenhängend, ist die Bestimmung des Seins. Ich denke, dies Denken enthält unmittelbar mein Sein; dies, sagt er, ist das absolute Fundament aller Philosophie.8) Die Bestimmung des Seins ist in meinem Ich; diese Verbindung selbst ist das Erste. Das Denken als Sein und das Sein als Denken, das ist meine Gewißheit, Ich. Dies ist das berühmte Cogito, ergo sum; Denken und Sein ist so darin unzertrennlich verbunden. Diesen Satz sieht man einerseits an als einen Schluß: aus dem Denken werde das Sein geschlossen. Und besonders hat Kant gegen diesen Zusammenhang eingewandt: im Denken sei nicht das Sein enthalten, es sei verschieden vom Denken. Dies ist wichtig, aber sie sind unzertrennlich, d. h. sie machen eine Identität aus; was unzertrennlich ist, ist dennoch verschieden: aber die Identität wird durch diese Verschiedenheit nicht gefährdet, sie sind Einheit. Indessen ist dieser Ausspruch der reinen abstrakten Gewißheit, die allgemeine Totalität, in der alles an sich, nicht bewiesen9) ; man muß diese Proposition nicht in einen Schluß verwandeln wollen, "es ist ganz und gar kein Schluß. Denn dazu müßte der Obersatz sein: alles, was denkt, existiert", - und dazu die Subsumtion im Untersatze: Nun aber bin ich. Damit würde eben die Unmittelbarkeit aufgehoben, die darin liegt. "Aber jener Obersatz" wird gar nicht aufgestellt, sondern "ist vielmehr erst ein abgeleiteter von dem ersten: Ich denke, also bin ich."10) Zu einem Schlusse gehören drei Glieder, hier ein Drittes, wodurch Denken und Sein vermittelt wäre; so ist es aber nicht, - nicht Ich denke, also so bin ich. Dies Also ist hier nicht das Also des Schlusses; es ist nur der Zusammenhang gesetzt von Sein und Denken. Alle anderen Sätze sind später. Aber das Denken als Subjekt ist das Denkende, und das ist Ich; das Denken ist das innere Beimirsein, die Unmittelbarkeit bei mir, - es ist das einfache Wissen selbst. Diese Unmittelbarkeit ist aber eben dasselbe, als was Sein heißt. Cartesius hat es nun zwar nicht so nachgewiesen, sondern sich einzig und allein auf das Bewußtsein berufen. Auch Fichte hat später mit derselben absoluten Gewißheit, mit dem Ich, wieder angefangen, ist aber dazu fortgegangen, aus dieser Spitze dann alle Bestimmungen zu entwickeln. Also diese Gewißheit ist das Prius. Wir denken zwar dieses und jenes, aber von diesem und jenem können wir abstrahieren, nicht so von dem Ich. Wir denken dies und jenes, deswegen sei es, ist die gewöhnliche altkluge Instanz der Unfähigkeit, das aufzufassen, wovon die Rede ist; daß bestimmter Inhalt sei, ist eben das, woran zu zweifeln ist, - es gibt nichts Festes.
"Dies ist der beste Weg, die Natur des Geistes und seine Verschiedenheit vom Körper zu erkennen. Denn wenn wir untersuchen, wer wir sind, die wir alles, was von uns verschieden ist, als unwahr setzen können, so sehen wir deutlich, daß keine Ausdehnung, noch Figur, noch Ortsbewegung, noch etwas dergleichen, das dem Körper zuzuschreiben ist, unsere Natur angehe, sondern das Denken allein; diese wird also früher (prius) und gewisser als irgendeine körperliche Sache erkannt."11)
Es sind dagegen auch andere Sätze aufgestellt. Gassendi12) macht den Einwand Ludificor, ergo sum: Ich werde von meinem Bewußtsein zum Besten gehabt, also existiere ich, - eigentlich: also werde ich zum Besten gehabt. Daß etwas an diesem Einwurf daran ist, hat Descartes selbst gewußt. Aber Descartes widerlegt diesen Einwand hier selbst, indem nur das Ich, nicht der sonstige Inhalt festzuhalten ist. Das Sein nur ist identisch mit dem reinen Denken, der Inhalt mag sein, welcher er will; Ich ist gleich Denken. Er sagt: "Unter dem Denken begreife ich aber das alles, was mit unserem Bewußtsein in uns vorgeht, insofern wir uns dessen bewußt sind; also auch Wollen, Einbilden (Vorstellen), auch Empfinden ist dasselbe, was Denken", alles dies ist auch darin enthalten. "Denn wenn ich sage 'Ich sehe' oder 'Ich gehe spazieren, also bin ich' und dies von dem Sehen, Gehen verstehe, das mit dem Körper vollbracht wird, so ist der Schluß nicht absolut gewiß" (insofern ich das konkrete Ich meine), "weil, wie im Traum oft geschieht, ich meinen kann zu sehen, zu gehen, ob ich gleich die Augen nicht aufmache und mich nicht von der Stelle bewege, und vielleicht auch, wenn ich keinen Körper hätte. Aber wenn ich es von der" (subjektiven) "Empfindung oder Bewußtsein des Sehens oder Gehens selbst verstehe, weil sie" (Empfindung und Bewußtsein) "alsdann auf den Geist (mentem) bezogen wird, der allein empfindet oder denkt, er sehe oder gehe, so ist dieser Schluß alsdann ganz gewiß."13)
"Im Traume" ist Weise des empirischen Räsonnements; es muß nicht bloß heißen "weil Ich abstrahieren kann", sondern " eben Ich dies Einfache, mit sich Identische ist". Ich sehe, Ich gehe usf., da ist Ich in der Bestimmung des Sehens, Gehens; aber ich bin darin auch denkend. Das Denken ist nun zwar auch im Wollen, Sehen, Hören usw.; es ist absurd, zu meinen, die Seele habe das Denken in einer besonderen Tasche und anderwärts das Sehen, Wollen usf. Aber wenn ich sage "Ich sehe", "Ich gehe spazieren", so ist darin einerseits mein Bewußtsein, Ich, und somit Denken; aber andererseits ist auch Wollen, Sehen, Hören, Gehen darin, also noch eine weitere Modifikation des Inhalts. (Das Denken ist das Prius, das ganz Allgemeine; Denken ist das Ich, Denken als Denkendes ist Ich: es ist das Allgemeine, was auch im Wollen, Fühlen, Gehen usf. ist.) Und wegen dieser Modifikation kann ich nicht sagen "Ich gehe, also bin ich"; denn von der Modifikation kann ich ja abstrahieren, es ist nicht mehr das allgemeine Denken. Man muß also bloß auf das reine, in diesem Konkreten enthaltene Bewußtsein sehen. Nur wenn ich heraushebe, daß ich darin als denkend bin, so liegt das reine Sein darin; und nur mit dem Allgemeinen ist das Sein verbunden. Es ist ganz leicht, diese Identität einzusehen. Denken ist das ganz Allgemeine, nicht das Besondere; in allem Besonderen ist auch das Allgemeine. Das Denken ist die Beziehung auf sich selbst, ist das Allgemeine, das reine sich Beziehen auf sich selbst, das reine Einssein mit sich. Die Frage ist nun: was ist das Sein? Da muß man sich aber nicht das Sein eines konkreten Inhalts vorstellen. Sein ist dann nichts als die einfache Unmittelbarkeit, die reine Beziehung, Identität mit sich; so ist es die Unmittelbarkeit, die auch das Denken ist. Das Denken ist dieselbe Unmittelbarkeit, zugleich aber auch die Vermittlung mit sich selbst, die sich ebenso auch negiert, also auch Unmittelbarkeit. Unmittelbarkeit ist eine einseitige Bestimmung; das Denken enthält sie, aber sie nicht allein, sondern auch die Bestimmung, sich mit sich selbst zu vermitteln; und dadurch, daß das Vermitteln zugleich Aufheben der Vermittlung ist, ist es Unmittelbarkeit. Im Denken ist so Sein; Sein ist eine arme Bestimmung, ist das Abstraktum von dem Konkreten des Denkens.
"Daß das Denken (mens)", sagt Cartesius, "mir gewisser ist als der Körper, liegt darin. Daß ich urteile, die Erde existiere, daraus, daß ich sie berühre oder sehe, daraus muß ich ja noch viel mehr urteilen, daß mein Denken (mens) existiert. Denn es kann vielleicht ebensogut sein, daß ich urteile, die Erde existiere, ob sie gleich nicht existiert, nicht aber, daß ich dies urteile und mein Geist (mens), der dies urteilt, nicht sei."14) D. i. alles, das für mich ist, kann ich setzen als nichtseiend; indem ich mich als nichtseiend setze, setze ich selbst, oder es ist mein Urteil. Denn daß ich urteile, das kann ich nicht weglassen, wenn ich auch von dem abstrahieren kann, worüber ich urteile. Damit hat nun aber die Philosophie ihren eigentlichen Boden wiedergewonnen, daß das Denken vom Denken ausgeht, als einem in sich Gewissen, nicht von etwas Äußerem, nicht von etwas Gegebenem, nicht von einer Autorität, sondern schlechthin von dieser Freiheit, die darin ist: "Ich denke".
An allem anderen kann ich zweifeln, an dem Dasein körperlicher Dinge, an meinem Körper selbst; oder diese Gewißheit hat nicht die Unmittelbarkeit in sich. Denn Ich ist eben die Gewißheit selbst, an allem anderen ist sie Prädikat; mein Körper ist mir gewiß, er ist nicht diese Gewißheit selbst. Gegen die Gewißheit, einen Körper zu haben, führt Cartesius die empirische Erscheinung an, daß oft die Vorstellung vorhanden ist, man fühle Schmerzen in einem Gliede, das man schon lange nicht mehr hat.15) Was wirklich ist, ist eine Substanz, - Seele die denkende Substanz; sie ist für sich, von allen äußeren materiellen Dingen verschieden und unabhängig.16) Daß sie denkend ist, ist für sich evident; sie würde denken und existieren, wenn auch keine materiellen Dinge vorhanden wären. Die Seele kann sich deswegen leichter erkennen als ihren Körper.17)
Alles weitere, was wir für wahr halten können, beruht auf dieser Gewißheit; zum Fürwahrhalten gehört Evidenz. Nichts ist wahr, was nicht innere Evidenz im Bewußtsein hat. "Die Evidenz von allem beruht nun darauf, daß wir es ebenso klar und deutlich einsehen als jene Gewißheit selbst und daß es so von diesem Prinzip abhängt und mit ihm übereinstimmt, daß, wenn wir daran zweifeln wollten, wir auch an diesem Prinzip" (an unserem Ich) "zweifeln müßten."18)
c) Das Dritte ist der Übergang dieser Gewißheit zur Wahrheit, zu Bestimmtem; >>>
7) Principia philosophiae I, § 7, p. 2 (p. 66-67)
8) De methodo IV, p. 20-21 (p. 158); Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, p. 14
9) De methodo IV, p. 21 (p. 159); Epistolae I, ep. 118 (Amsterdam 1682), p. 379 (Œuvres IX, p. 442-443)
10) Respons. ad sec. objectiones, adjunctae Meditationibus de prima philosophia, p. 74 (p. 427); Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, p. 4-5
11) Principia philosophiae I, § 8
12) Appendix ad Meditationes, continens objectiones quint., p. 4 (Œuvres II, p. 92-93)
13) Principia philosophiae I, § 9
14) Principia philosophiae I, § 11
15) Principia philosophiae IV, § 196; Meditationes VI, p. 38 (p. 329-330); Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, p. 2-3
16) Respons ad. sec. objectiones: Ratione more geom. dispos., Axiomata V-VI, p. 86 (p. 453); Propositio IV, p. 91 (p. 464-465)
17) Meditationes II, p. 9-11 (p. 262-264)
18) De methodo IV, p. 21 (p. 158-159); Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, p. 14
Zitate Descartes
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