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[Descartes - Von der Gewissheit zur Wahrheit] 1/2/3/4/5
c) Das Dritte ist der Übergang dieser Gewißheit zur Wahrheit, zu Bestimmtem; diesen Übergang macht Cartesius auf naive Weise. Dieses Wissen ist für sich nun die vollkommene Evidenz, Gewißheit, aber es ist noch nicht die Wahrheit; oder wenn wir jenes Sein als Wahrheit nehmen, so ist dies ein leerer Inhalt, und um den Inhalt ist es zu tun. - Die nächste Betrachtung ist nun die der Metaphysik des Descartes. Die Einheit des Seins und des Denkens ist dabei das Erste, und das Denken wird dabei genommen als das reine Denken; Descartes hat diesen Satz aber nicht bewiesen. Es sind verschiedene Bestimmungen, Denken und Sein, - und nur ihre Verschiedenheit muß aufgezeigt werden; daß sie identisch sind, diesen Beweis hat Descartes nicht geführt. Es steht einstweilen voran, es ist die interessanteste Idee der neueren Zeit überhaupt; er hat sie zuerst aufgestellt. Das Bewußtsein ist seiner selbst gewiß; "Ich denke" - damit ist gesetzt das Sein. Der Fortgang ist hier, daß ein Interesse entsteht für weitere Vorstellungen von der abstrakten Einheit; da geht er nun äußerlich reflektierend zu Werke. "Das Bewußtsein, das nur sich selbst gewiß weiß, sucht nun aber seine Kenntnis zu erweitern und findet, daß es Vorstellungen von vielen Dingen hat, in welchen Vorstellungen es sich nicht täuscht, solange es nicht behauptet oder negiert, daß ihnen etwas Ähnliches außer ihm entspreche." Die Täuschung bei den Vorstellungen hat erst Sinn in Beziehung auf äußerliche Existenz. "Es findet auch allgemeine Begriffe und macht daraus Beweise, die evident sind; z. B. der geometrische Satz, daß die drei Winkel im Dreieck zusammen zwei rechten gleich seien, ist eine Vorstellung, die an sich unwiderstehlich aus anderen folgt. Aber bei der Reflexion, ob es solche Dinge wirklich gebe, zweifelt es daran"19) ; es ist ja das Dreieck gar nicht gewiß. "Weil wir als Kinder geboren sind und von den sinnlichen Dingen vielerlei Urteile vorher gefällt haben, ehe wir den vollkommenen Gebrauch unserer Vernunft hatten, so werden wir durch viele Vorurteile von der Kenntnis des Wahren abgestoßen. Von diesen scheinen wir uns nicht anders befreien zu können, als wenn wir einmal im Leben an dem zu zweifeln streben, worin wir nur den geringsten Verdacht einer Ungewißheit haben."
"Ja, es wird sogar nützlich sein, alles das, woran wir zweifeln, für falsch zu halten, damit wir desto klarer das finden, was das Gewisseste und Erkennbarste sei."
"Doch ist dies Zweifeln auf die Betrachtung der Wahrheit einzuschränken. Denn was den usus vitae beträfe, weil oft die Gelegenheit zum Handeln vorüberginge, ehe wir uns unsere Zweifel lösen könnten, sind wir genötigt, das Wahrscheinliche zu wählen."
"Hier aber, wo es nur um das Suchen der Wahrheit zu tun ist, so werden wir vornehmlich zweifeln, ob irgend das Sinnliche und Vorstellbare existiere: erstens weil wir finden, daß die Sinne uns oft täuschen und es der Klugheit gemäß ist, dem nicht zu vertrauen, was uns nur einmal getäuscht hat; alsdann weil wir täglich im Traume Unzähliges zu fühlen oder uns vorzustellen meinen, was niemals ist, und dem Zweifelnden keine solche Zeichen erscheinen, an denen er den Schlaf vom Wachen sicher unterscheide."
"Wir werden hiermit auch an allem andern zweifeln, selbst an den mathematischen Sätzen: teils weil wir gesehen, daß einige sich auch in dem irren, was uns für das Gewisseste gilt, und gelten lassen, was uns falsch scheint; dann weil wir gehört haben, daß ein Gott ist, der uns geschaffen, der alles kann, also vielleicht uns so geschaffen, daß wir irren sollen. - Wenn wir uns einbilden, nicht von Gott, sondern von irgend etwas anderem, aus uns selbst, zu existieren, so ist es um so wahrscheinlicher, daß wir so unvollkommen sind, zu irren."
"So viel erfahren wir aber, die Freiheit in uns zu haben, daß wir uns immer dessen enthalten können, was nicht völlig gewiß und ergründet ist."
Die Ausdehnung ist nicht in der unmittelbaren Gewißheit meiner selbst enthalten. Die Seele kann sein ohne das Körperliche und dieses ohne sie; sie sind realiter verschieden, eins denkbar ohne das andere.20) Die Seele denkt und erkennt nicht das Andere ebenso deutlich als die Gewißheit ihrer selbst.21) Die Wahrheit dieses Wissens beruht auf dem Beweise vom Dasein Gottes. Die Seele ist eine unvollkommene Substanz, hat aber die Idee von Vollkommenheit in sich, - eines absolut vollkommenen Wesens; diese Idee ist nicht in ihr selbst erzeugt, weil sie unvollkommene Substanz ist, also angeboren.22) Das Bewußtsein hierüber drückt sich bei Descartes so aus, daß, solange Gottes Dasein nicht bewiesen und eingesehen ist, die Möglichkeit bleibt, daß wir uns täuschen, weil man nicht wissen kann, ob wir nicht eine zum Irren eingerichtete Natur haben. Die Form ist etwas schief, drückt nur überhaupt den Gegensatz aus, den das Selbstbewußtsein gegen das Bewußtsein von anderem hat, von Gegenständlichem; und es ist um die Einheit von beiden zu tun, - ob das, was im Denken ist, auch die Gegenständlichkeit habe. Diese Einheit liegt nun in Gott oder ist Gott selbst.
Ich trage dies in der Weise des Cartesius vor: "Unter den verschiedenen Vorstellungen nun, die wir haben, ist auch die Vorstellung eines höchst intelligenten, höchst mächtigen und absolut vollkommenen Wesens; und dies ist die vorzüglichste aller Vorstellungen", - die allbefassende, allgemeine Vorstellung. α) Es finden sich Vorstellungen; es ist ungewiß, ob sie sind. β) Eine ist ausgezeichnet; bei ihr findet diese Ungewißheit nicht statt. Sie hat das Eigentümliche, daß "wir darin die Existenz nicht als eine bloß mögliche und zufällige erkennen, wie in den Vorstellungen anderer Dinge, die wir deutlich wahrnehmen, sondern als eine schlechthin notwendige und ewige Bestimmung. Wie der Geist z. B. wahrnimmt, daß im Begriffe des Dreiecks enthalten, die drei Winkel seien gleich zweien rechten, also habe das Dreieck sie, - so daraus, daß er perzipiert, daß die Existenz notwendig und ewig in dem Begriffe des vollkommensten Wesens enthalten ist, muß er schließen, daß das vollkommenste Wesen existiere."23) Denn zur Vollkommenheit gehört auch die Bestimmung der Existenz; denn die Vorstellung von einem Nichtexistierenden ist weniger vollkommen. Da ist also die Einheit des Denkens und Seins und der ontologische Beweis vom Dasein Gottes; dies sahen wir nun schon früher beim Anselm. Es wird gesagt: Das Allgemeine, was wir Gott nennen, ist das Vollkommenste. Und es entsteht nun die Frage: Ist es auch in der Existenz? Die Vorstellung des Vollkommensten enthält auch die Bestimmung der Existenz; sonst wäre es nicht das Vollkommenste.
Descartes geht dazu so fort. Descartes hat das Axiom: α) "Es gibt verschiedene Grade der Realität oder Entität; denn die Substanz hat mehr Realität als das Akzidenz oder der Modus, - die unendliche Substanz mehr als die endliche."24) Dies ist ein Axiom bei Cartesius, eine unmittelbare Gewißheit; aber diese Unterschiede sind nicht in "Ich denke", - es ist nach der Weise eines Erfahrungssatzes aufgestellt.
β) "In dem Begriff eines Dings ist die Existenz enthalten, entweder die nur mögliche oder die notwendige"25) , - die unmittelbare Gewißheit eines Andersseins, des Gegensatzes; es ist dem Ich ein Nicht-Ich entgegengesetzt, im "Ich denke" (Begriff) das Sein enthalten.
γ) "Kein Ding oder keine Vollkommenheit eines Dings, die wirklich actu existiert, kann zur Ursache ihrer Existenz das Nichts haben."26) Dies ist ebenso evident als Ich denke. "Denn wenn von Nichts etwas prädiziert werden könnte, so könnte ebenso gut das Denken von ihm prädiziert werden, und ich würde also sagen, ich sei nichts, indem ich denke."27) Das unmittelbare Wissen, die sinnliche Gewißheit hat keine Notwendigkeit. - Hier geht Descartes in eine Trennung, in ein Verhältnis über, das nicht erkannt ist; es kommt der Begriff von Ursache hinzu, der wohl ein Denken ist, aber ein bestimmtes Denken. Spinoza in seiner Erläuterung sagt (p. 14), "daß die Vorstellungen mehr oder weniger Realität enthalten und jene Momente ebenso viel Evidenz haben als das Denken selbst, weil sie nicht nur sagen, daß wir denken, sondern wie wir denken". Aber diese bestimmten Weisen eben als Unterschiede in der Einfachheit des Denkens wären zu erweisen. Spinoza setzt noch zu diesem Übergange hinzu (p. 17), daß "die Grade der Realität, welche wir in den Ideen wahrnehmen, nicht in den Ideen sind, sofern sie nur als Arten des Denkens betrachtet werden; sondern sofern die eine eine Substanz, eine andere nur einen Modus der Substanz vorstellt - oder mit einem Worte, insofern sie als Vorstellungen von Dingen betrachtet werden."
δ) "Die objektive Realität der Begriffe" (d. h. die Entität des Vorgestellten, insofern es in dem Begriffe ist) "erfordert eine Ursache" (Sache an sich), "worin dieselbe Realität nicht nur objektiv" (d. h. im Begriffe), "sondern formell oder auch eminenter enthalten ist"; - "formell, d. h. ebenso vollkommen; eminenter, vollkommener. Denn es muß wenigstens soviel in der Ursache sein als in der Wirkung."28)
ε) "Die Existenz Gottes wird unmittelbar" (a priori) "aus der Betrachtung seiner Natur erkannt. Daß etwas in der Natur oder in dem Begriffe eines Dings enthalten ist, ist soviel als sagen, daß es wahr ist: die Existenz ist unmittelbar in dem Begriff Gottes enthalten; es ist also wahr, von ihm zu sagen, daß eine notwendige Existenz in ihm ist."29) - "In dem Begriffe jedes Dings ist entweder eine mögliche oder eine notwendige Existenz enthalten: eine notwendige im Begriffe Gottes, d. h. des absolut vollkommenen Wesens; denn sonst würde er als unvollkommen begriffen."30)
Descartes nimmt auch diese Wendung: "Proposition VI. A posteriori aus dem bloßen Begriffe in uns die Existenz Gottes zu beweisen. Die objektive Realität eines Begriffes erfordert eine Ursache, in welcher dieselbe Realität nicht bloß objektiv" (als im Endlichen), "sondern formaliter" (frei, rein für sich selbst, außer uns) "oder eminenter" (und als ursprünglich) "enthalten ist." (Axiom VIII: "In der Ursache als solcher ist die Realität formell oder eminenter.") "Wir haben aber einen Begriff von Gott, seine objektive Realität ist aber in uns weder formell noch eminenter enthalten und kann also nur in Gott selbst sein."31)
Wir sehen dann, daß diese Idee eine Voraussetzung ist. Wir finden in uns diese Idee, würde man jetzt sagen; daß dieses ist, das ist die höchste Idee. Es ist also so vorausgesetzt; und wenn wir fragen, ob diese Idee existiere, so soll gerade dies die Idee sein, daß damit auch die Existenz gesetzt ist. Sagt man nämlich, es ist nur eine Vorstellung, so widerspricht es dem Inhalt der Vorstellung. Aber es befriedigt hier nicht, daß die Vorstellung so eingeführt wird: Wir haben diese Vorstellung, - daß sie mithin so als ein Vorausgesetztes erscheint. Sodann ist nicht von diesem Inhalt an ihm selbst gezeigt, daß er sich zu dieser Einheit des Denkens und Seins bestimmt. Es ist hier in der Form von Gott keine andere Vorstellung gegeben, als die in Cogito, ergo sum, - Sein und Denken unzertrennlich verbunden; hier haben wir die Gestalt einer Vorstellung, die ich in mir habe. Der ganze Inhalt dieser Vorstellung, der Allmächtige, Allweise usf. sind Prädikate, die sich erst später ergeben; der Inhalt selbst ist der Inhalt der Idee, mit der Existenz, mit der Wirklichkeit verbunden. So sehen wir diese Bestimmungen aufeinander folgen auf eine Weise, die empirisch ist, die also nicht philosophisch beweisend ist, - in der apriorischen Metaphysik überhaupt Voraussetzungen von Vorstellungen und sie denken, wie in der Empirie Versuche, Beobachtungen, Erfahrungen.
Cartesius sagt dann: "Und dies glaubt der Geist um so mehr", ist um so fester von dieser Einheit überzeugt, "wenn er bemerkt, daß er die Vorstellung von keinem anderen Dinge bei sich findet, worin die Existenz als notwendig enthalten sei. Daraus wird er einsehen, daß jene Idee des höchsten Wesens nicht von ihm erdichtet, noch etwas Chimärisches, sondern eine wahrhafte und unveränderliche Natur, die nicht anders als existieren kann, da die notwendige Existenz in ihr enthalten ist. - Unsere Vorurteile hindern uns daran, dies leicht festzuhalten, da wir gewohnt sind, bei allem anderen die Essenz (Wesen, Begriff) von der Existenz zu unterscheiden."32) Darüber, daß das Denken nicht untrennbar sei von der Existenz, ist das gewöhnliche Gerede: "Wenn das wäre, was man sich denkt, so würde es anders stehen." Aber man berücksichtigt hierbei nicht, daß das immer ein besonderer Inhalt ist und daß darin gerade das Wesen der Endlichkeit der Dinge besteht, daß Begriff und Sein trennbar sind. Wie kann man aber von endlichen Dingen auf das Unendliche schließen?
"Ferner dieser Begriff", fährt Cartesius fort, "ist nicht von uns gemacht." Wir finden in uns diese Vorstellung; es ist eine ewige Vorstellung, eine ewige Wahrheit, - dasselbe, was jetzt gesagt wird, daß es in uns geoffenbart ist. "Wir finden in uns die Perfektionen nicht, die in dieser Vorstellung. Also sind wir gewiß, daß eine Ursache, worin alle Perfektion, Gott als real existierend, sie uns gegeben; denn es ist uns gewiß, daß aus Nichts nichts entstehe" (nach Böhme hat Gott die Materie der Welt aus sich selbst genommen) "und, was vollkommen, nicht die Wirkung von etwas Unvollkommenem sein könne." Der Beweis der Existenz Gottes aus seiner Idee ist: In diesem Begriff ist das Dasein enthalten; also ist es wahr. "Von ihm müssen wir in der wahrhaften Wissenschaft alle erschaffenen Dinge ableiten."33)
Mit dem Erweise des Daseins Gottes wird zugleich die Evidenz aller Wahrheit in ihrem Ursprung und in ihrer Gültigkeit begründet. Gott als Ursache ist das Fürsichsein, die Realität, die nicht die Entität, Existenz im Denken ist. Eine solche Existenz, die Ursache (nicht Sache überhaupt), liegt im Begriff des Nicht-Ich, nicht jedes bestimmten Begriffs - denn diese als bestimmte sind Negationen -, sondern nur der reinen Existenz oder der vollkommenen Ursache. Sie ist Ursache der Wahrheit der Ideen; denn sie eben ist die Seite des Seins derselben.
d) Das Vierte ist nun, daß Cartesius sagt: "Was uns von Gott geoffenbart ist, müssen wir glauben, ob wir es gleich nicht begreifen. Es ist nicht zu verwundern, da wir endlich, daß in Gottes Natur als unbegreiflich Unendliches ist, das über unsere Fassung geht." >>>
19) Principia philosophiae I, §13
20) vgl. Respons. ad sec. objectiones: Rationes more geom. dispos., Def. I, p. 85 (p. 451-452); Propositio IV, p. 91 (p. 464-465)
21) Meditationes III, p. 15-17 (p. 263-268)
22) Principia philosophiae I, § 20, p. 6 (p. 76-77); Meditationes III, p. 17-25 (p. 268-292); De methodo IV, p. 21-22 (p. 159-162)
23) Principia philosophiae I, § 14, p. 4 (p. 72-73)
24) Resp. ad sec. objectiones: Rationes more geom. dispos., Ax. VI, p. 88 (p. 459)
25) Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, Ax. VI, p. 16; vgl. Cartesius, Resp. ad. sec. objectiones: Rationes more geom. dispos., Ax. X, p. 89 (p. 460)
26) Resp. ad sec. objectiones: Rationes more geom. dispos., Ax. III, p. 88 (p. 458)
27) Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, p. 15
28) Resp. ad sec. objectiones: Rationes more geom. dispos., Ax. IV-V, p. 88 (p. 458-459); Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, Ax. VIII-IX, p. 16
29) Resp. ad sec. objectiones: Rationes more geom. disp., Prop. I, p. 89 (p. 460-461)
30) Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, Ax. VI, p. 16
31) Spinoza, Principia philosophiae Cartesianae, Prop. VI, p. 20; Ax. VIII, p. 16; Cartesius, Resp. ad sec. objectiones: Rationes more geom. disp., Prop. II, p. 89 (p. 461-462); Ax. V, p. 88 (p. 458)
32) Principia philosophiae I, § 15-16, p. 4-5 (p. 73-74)
33) Principia philosophiae I, § 18, 24, p. 5, 7 (p. 74-75, 78-79)
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