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C. Französische Philosophie
Wir gehen zur französischen Philosophie über; ihr Verhältnis zur Metaphysik ist, daß, während der Mensch Laie gegen sich selbst ist als Metaphysiker, sie den Laienstand, den politischen, religiösen und philosophischen, aufhebt. Bei den Engländern sahen wir nur diesen Idealismus: α) entweder formal, allgemein die bloße Übersetzung des Seins in Für-Anderes-Sein, das Sein ist Wahrgenommenwerden; β) das Ansich dieses Wahrgenommenwerdens sind Instinkte, Triebe, Gewohnheiten usf., blinde, bestimmte Kräfte, - der Rückgang in das Selbstbewußtsein, selbst als natürliches Ding. In jenem ersten Idealismus bleibt die ganze Endlichkeit, Ausbreitung des Erscheinens, des Empfindens, ebenso der Gedanken, bestimmten fixen Begriffe dieselbe als in dem unphilosophischen Bewußtsein. Der Humesche Skeptizismus läßt alles Allgemeine in die Gewohnheiten und Instinkte versinken, d. h. ein einfacheres Zusammennehmen der erscheinenden Welt; aber dies Einfachere, diese Instinkte, Triebe und Kräfte sind ebenso ein geistloses, unbewegtes, bestimmtes Dasein des Selbstbewußtseins.
Lebhafter, bewegter, geistreicher ist die französische Philosophie; oder vielmehr sie ist das Geistreiche selbst. Sie ist der absolute Begriff, welcher sich gegen das ganze Reich der bestehenden Vorstellungen und fixierten Gedanken kehrt, alles Fixe zerstört und sich das Bewußtsein der reinen Freiheit gibt. Dieser idealistischen Tätigkeit liegt die Gewißheit zugrunde, daß, was ist, was als an sich gilt, alles Wesen des Selbstbewußtseins ist, daß weder die Begriffe (einzelne Wesen, die das wirkliche Selbstbewußtsein regieren) von Gut und Böse, noch von Macht, Reichtum, noch die fixen Vorstellungen des Glaubens von Gott und seinem Verhältnisse zur Welt, seiner Regierung und wieder der Pflichten des Selbstbewußtseins gegen ihn, - daß dies alles keine Wahrheit (kein Ansich) ist, die außer dem Selbstbewußtsein wäre. Alle diese Formen, das reale Ansich der wirklichen Welt, das Ansich der übersinnlichen Welt, heben sich also in diesem seiner selbst bewußten Geiste auf. Er spricht und hält nicht nach der ehrlichen Weise auf sie, welche diese Vorstellungen, wie sie einmal eben sind, gelten läßt und sie für wahr annimmt, für unabhängig, frei außer dem Selbstbewußtsein verehrt, sondern geistreich, - d. h. daß das Selbstbewußtsein durch seine Tätigkeit etwas erst daraus macht und etwas anderes, als sie sich unmittelbar geben und gelten, und ihm nur das geistreiche Verhalten, eben diese Formation und Bewegung durch sein Selbstbewußtsein gilt und sein Interesse ist. Es ist der Charakter des Begriffs in seiner Wirklichkeit; was diesem alles einsehenden und begreifenden Selbstbewußtsein das Wesen ist, gilt.
Es ist nun zu sehen, wie diesem absolut begreifenden Selbstbewußtsein das Wesen ist. Zunächst ist dieser Begriff so fixiert als nur die negative Bewegung des Begriffs; das Positive, Einfache oder Wesen fällt außerhalb dieser Bewegung. Es bleibt ihm keine Unterscheidung, kein Inhalt; denn aller bestimmte Inhalt geht in jener Negativität verloren. Dies leere Wesen ist für uns überhaupt das reine Denken, être suprême, - oder gegenständlich als seiend vorgestellt, dem Bewußtsein überhaupt gegenüber, die Materie.
Wir sehen hier frei den sogenannten Materialismus und Atheismus auftreten, als das notwendige Resultat des reinen begreifenden Selbstbewußtseins. Einesteils geht in dieser negativen Bewegung alle Bestimmung zugrunde, die den Geist als ein Jenseits des Selbstbewußtseins vorstellt, und vornehmlich alle Bestimmungen in ihm und auch diese, die ihn als Geist aussagen, wesentlich alle Vorstellungen des Glaubens von ihm, dem er als ein Seiendes außer dem Selbstbewußtsein als Selbstbewußtsein gilt, alles Überlieferte, durch Autorität Auferlegte. Es bleibt nur das gegenwärtige, wirkliche Wesen; denn das Selbstbewußtsein anerkennt das Ansich nur als ein solches, das für es als Selbstbewußtsein ist, worin es sich wirklich weiß, die Materie, und sie als tätig sich in der Vielheit ausbreitend und verwirklichend, die Natur. In der Gegenwart bin ich mir meiner Wirklichkeit bewußt; und konsequenterweise findet das Selbstbewußtsein sich selbst als Materie, - die Seele als materiell, die Vorstellungen als Bewegungen und Veränderungen im inneren Organe des Gehirns, die auf die äußeren Eindrücke der Sinne folgen.
Eine andere Form der Aufklärung ist dagegen, wenn das absolute Wesen so als ein Jenseits des Selbstbewußtseins gesetzt wird, daß von ihm selbst, von seinem Ansich gar nichts erkannt werde. Es führt den leeren Namen Gott. Denn Gott mag bestimmt werden, wie er will, so fallen alle diese Bestimmungen hinweg; er ist gleich x, das schlechthin Unbekannte. Dies heißt darum nicht Atheismus, α) weil es noch den leeren, nichtssagenden Namen gebraucht, β) weil es die notwendigen Verhältnisse des Selbstbewußtseins, Pflichten usf. ausdrückt, nicht als an und für sich notwendig, sondern als notwendig durch die Beziehung auf ein Anderes, nämlich das Unbekannte, - ob es gleich zu einem Unbekannten kein positives Verhältnis gibt, als sich als Einzelnes aufzuheben. Materie aber ist es nicht, weil dies Einfache, Leere negativ bestimmt ist, als nicht seiend für das Selbstbewußtsein. Damit ist aber dasselbe geschehen; denn die Materie ist das Allgemeine, das Fürsichsein als aufgehoben vorgestellt. Aber die wahre Reflexion auf jenes Unbekannte ist ebenso, daß es eben für das Selbstbewußtsein als ein Negatives desselben ist, d. h. Materie, Wirklichkeit und Gegenwart; es ist dies Negative für mich, dies ist sein Begriff. - Der Unterschied hierin von solchem, das vollkommen etwas anderes zu sein scheint und worin sich der einen Partei nicht nachsagen ließe, daß das, was sie meint, dies sei, ist der Unterschied, der auf dieser letzten Abstraktion beruht.
Als Materie also, als leere Gegenständlichkeit ist das absolute Wesen bestimmt durch den Begriff, der allen Inhalt und Bestimmung zerstört und nur dies Allgemeine zu seinem Gegenstande hat. Es ist der Begriff, der sich nur zerschlagend verhält, nicht wieder sich ausbildet aus dieser Materie oder reinem Denken oder reiner Substantialität heraus. Eine Weise des Seins der Materie ist Denken. - Es vollbringt sich hier eigentlich in diesem Gegenstande die Spinozistische Substanz.
Die andere Seite aber zu jener leeren ist die erfüllte Seite. Weil nun der Begriff bloß in seiner negativen Form vorhanden ist, so bleibt die positive Ausbreitung ohne Begriff; sie hat die Form der Natur, eines Seienden, wie im Physischen so im Moralischen. - Die Erkenntnis der Natur bleibt die gewöhnliche wissenschaftlich unspekulative und ihrem Wesen nach, insofern sie Philosophie sein soll, ein allgemeines Reden, das mit den Worten "Kräfte, Verhältnisse, mannigfaltige Verbindungen" sich herumtreibt, aber zu nichts Bestimmtem kommt. - Ebenso im Geistigen ist teils die Metaphysik des Geistes so beschaffen, daß diese eben eine besondere Organisation ist, wodurch die Kräfte, die Empfindung, Wahrnehmung usf. heißen, entstehen, - ein langweiliges Gerede, das nichts begreiflich machen kann, die Erscheinungen und Wahrnehmungen aufnimmt und über sie räsoniert, ihr Ansich aber ebenso zu gewissen bestimmten Kräften, Bestimmungen macht, deren Inneres wir weiter nicht näher kennen. Die Bestimmung und Erkenntnis der moralischen Seite geht ebenso darauf, den Menschen auf seine sogenannten natürlichen Triebe und Neigungen zurückzubringen. Das Ansich hat die Form von einem Natürlichen, dies Natürliche heiße nun Selbstliebe, Eigennutz oder soziale Neigung; man soll der Natur gemäß leben. Diese Natur bleibt bei allgemeinen Redensarten und Schilderungen stehen, - so der Rousseausche Naturzustand. Was die Metaphysik der Vorstellungen genannt wird, ist der Lockesche Empirismus, der darauf den Ursprung und die Entstehung im Bewußtsein aufzuzeigen sucht, im Bewußtsein, insofern es einzelnes Bewußtsein ist, - und aus der Bewußtlosigkeit heraus geboren in die Welt tritt und als sinnliches Bewußtsein lernt. Diesen äußerlichen Ursprung und Entstehung verwechseln sie mit dem Werden und dem Begriffe der Sache. Wenn man unbestimmt fragt: Was ist der Ursprung, das Werden des Wassers? und man antwortet: Es kommt aus den Bergen heraus oder vom Regen, so ist dies eine Antwort im Geiste jenes Philosophierens. Kurz, es ist nur das Negative interessant; und von dieser positiven französischen Philosophie kann nicht die Rede sein.
Dies Negative selbst gehört darum eigentlich der Bildung; die Aufklärung geht uns hier nichts an. Was daher in den französischen philosophischen Schriften, die in dieser Rücksicht wichtig sind, bewundernswürdig ist, ist diese erstaunliche Energie und Kraft des Begriffes gegen die Existenz, gegen den Glauben, gegen alle Macht der Autorität seit Jahrtausenden. Es ist der Charakter merkwürdig, der Charakter des Gefühls der tiefsten Empörung gegen alles dies Geltende, was dem Selbstbewußtsein ein fremdes Wesen, was ohne es sein will, worin es nicht sich selbst findet, - eine Gewißheit von der Wahrheit der Vernunft, die es mit der ganzen entfernten Intellektualwelt aufnimmt und ihrer Zerstörung gewiß ist. Sie hat die Vorurteile alle zerschlagen und den Sieg davongetragen. - Das Positive sind sogenannte unmittelbar einleuchtende Wahrheiten des gesunden Menschenverstands - des Menschenverstands, der nichts enthält als nur diese Wahrheit und Forderung, sich selbst zu finden, und in dieser Form stehenbleibt.
Der französische Atheismus, Materialismus und Naturalismus ist einerseits mit dem tiefsten und empörtesten Gefühl gegen die begrifflosen Voraussetzungen und Gültigkeiten des Positiven in der Religion, den rechtlichen und moralischen Bestimmungen und der bürgerlichen Einrichtung vergesellschaftet und mit dem gesunden Menschenverstande und einem geistreichen Ernste, nicht frivolen Deklamationen dagegengekehrt; andererseits entsteht er aus dem Streben, das Absolute als ein Gegenwärtiges und als Gedachtes zugleich und als absolute Einheit zu erfassen, - ein Bestreben, welches mit Leugnung des Zweckbegriffs sowohl im Natürlichen, also des Begriffs vom Leben, als im Geistigen, des Begriffs vom Geiste und von Freiheit, nur zum Abstraktum einer in sich unbestimmten Natur, des Empfindens, des Mechanismus, der Eigensucht und Nützlichkeit kommt. - Die Franzosen sind in ihren Staatsverfassungen von Abstraktionen ausgegangen, allgemeinen Gedanken, welche das Negative gegen die Wirklichkeit, - die Engländer entgegengesetzt von konkreter Wirklichkeit, dem unförmlichen Gebäude ihrer Verfassung; auch ihre Schriftsteller haben sich nicht zu allgemeinen Grundsätzen erhoben.
Es sind zweierlei Gestalten zu erwähnen, die vornehmlich wichtig sind in Rücksicht auf die Bildung, die französische Philosophie und die Aufklärung. Was Luther angefangen nur im Gemüt, Gefühl, die Freiheit des Geistes, die ihrer einfachen Wurzel unbewußt nicht sich erfaßt, - dies ist das Allgemeine selbst; aller Inhalt verschwindet im Gedanken, der Gedanke erfüllt sich mit sich selbst. - Die Franzosen haben allgemeine Bestimmungen, Gedanken aufgestellt, daran festgehalten: allgemeine Grundsätze, und zwar als die Überzeugung des Individuums in ihm selbst. Die Freiheit wird Weltzustand, verbindet sich mit der Weltgeschichte, wird Epoche derselben; es ist konkrete Freiheit des Geistes, konkrete Allgemeinheit. Die Cartesianische Philosophie war abstrakte Metaphysik, jetzt haben wir Grundsätze über das Konkrete. Bei den Deutschen finden wir Quäkelei; sie wollen auch dies noch erklärt haben, bringen eine miserable Erscheinung und Einzelheit herbei. Die Franzosen vom Denken der Allgemeinheit aus, die deutsche Gewissensfreiheit vom Gewissen aus, welches lehrt: Prüfet alles und das Gute behaltet, sind sich begegnet oder haben dieselbe Bahn; nur die Franzosen, gleichsam gewissenlos, haben alles geradezu abgemacht und systematisch einen bestimmten Gedanken festgehalten, das physiokratische System; die Deutschen wollen sich den Rücken freihalten, vom Gewissen her untersuchen, ob sie auch dürfen. Die Franzosen haben mit Geist, die Deutschen mit Verstand gegen den spekulativen Begriff gekämpft. Wir finden bei den Franzosen ein tiefes allumfassendes philosophisches Bedürfnis, ganz anders als bei den Engländern und Schotten und selbst als bei den Deutschen, voller Lebendigkeit: eine allgemeine, konkrete Ansicht des Alls, mit voller Unabhängigkeit ebenso von aller Autorität als von aller abstrakten Metaphysik. Die Methode ist, aus der Vorstellung, dem Gemüt zu entwickeln; es ist große Anschauung, die immer das Ganze vor Augen hat und dieses zu erhalten und zu gewinnen sucht.
Dieser gesunde Menschenverstand, gesunde Vernunft, mit dem Inhalt genommen aus der Menschenbrust, dem natürlichen Gefühle, hat sich gerichtet gegen die religiöse Seite einerseits, und zwar in verschiedenen Momenten und zunächst gegen die positive Religion, die Fesseln des Aberglaubens und der Hierarchie; auf der andern Seite, als deutsche Aufklärung, gegen die protestantische Religion, insofern sie einen Inhalt hat, den sie aus der Offenbarung, der kirchlichen Bestimmung überhaupt erhalten hat. Die eine Richtung ist gegangen gegen die Form der Autorität überhaupt, die andere gegen den Inhalt. Mit dem Inhalt kann diese Form des Denkens etwa leicht fertigwerden, indem sie nicht das ist, was unter Vernunft verstanden, sondern was Verstand genannt werden muß; dem Verstande ist es leicht, gegen die letzte Grundlage dessen, was nur durch Spekulation gefaßt werden kann, Widersprüche aufzuzeigen. Der Verstand hat seinen Maßstab angelegt an den religiösen Inhalt, Widersprüche darin aufgezeigt und ihn für nichtig erklärt; der Verstand verfährt auf dieselbe Weise gegen eine konkrete Philosophie. Dies hat nun die deutsche wie die französische Philosophie getan, die eine in der Richtung gegen die lutherische, die andere in Richtung gegen die katholische Religion.
Was denn nun geblieben ist davon, ist das, was Theismus genannt wird, Glaube überhaupt; dies ist der Inhalt jetzt, der sehr allgemein übriggeblieben ist in vielen Theologien, - und es ist derselbe Inhalt, der sich auch im Mohammedanismus findet. Es ist aber bei dieser Richtung des räsonierenden Verstandes gegen die Religion auch zum Materialismus, Atheismus und Naturalismus fortgegangen. Aber man soll mit den Bestimmungen des Atheismus nicht leicht umgehen; denn es ist etwas sehr Gewöhnliches, daß man einem Individuum, das mit seinen Vorstellungen über Gott abweicht von denen, die andere haben, einen Mangel an Religion oder wohl Atheismus vorwirft. Hier ist es aber der Fall, daß diese Philosophie zum Atheismus fortgegangen ist und das, was als das Letzte, Tätige, Wirkende zu fassen ist, als Materie, Natur usf. bestimmt hat; man kann sagen, es ist im ganzen Spinozismus, wo als das Letzte vorangestellt wird das Eine der Substanz. Dies ist besonders von den Franzosen geschehen. Einige sind jedoch nicht dahin zu rechnen, z. B. Rousseau; eine Schrift von ihm, Glaubensbekenntnis eines Vikars*) , enthält ganz den Theismus, den man bei deutschen Theologen finden kann. Andere sind ausdrücklich zum Naturalismus fortgegangen; hier ist Mirabauds Système de la Nature besonders zu erwähnen. Die Gedanken sind sehr oberflächlich, le grand tout de la nature ist das Letzte; das ganze wiederholt sich auf allgemeine Weise, die Darstellung ist matt.
Was man französische Philosophie genannt hat, Voltaire, Montesquieu, Rousseau, d'Alembert, Diderot, und was alsdann als Aufklärung in Deutschland aufgetreten ist, auch als Atheismus verpönt ist, - daran können wir drei Seiten unterscheiden: 1. ihre negative Seite, welche ihr am meisten übelgenommen wurde; 2. die positive; 3. die philosophische, metaphysische.
*) Emile ou de l'éducation, T. II (Paris 1813), Livre IV, Profession de foi du vicaire savoyard, p. 215 ff.
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