c. Die Philosophie als der Gedanke ihrer Zeit
Aber es kommt die Zeit nicht nur überhaupt, daß überhaupt philosophiert wird, sondern in einem Volke ist es eine bestimmte Philosophie, die sich auftut, und diese Bestimmtheit des Standpunkts des Gedankens ist dieselbe Bestimmtheit, welche alle anderen geschichtlichen Seiten des Volksgeistes durchdringt, im innigsten Zusammenhange mit ihnen ist und ihre Grundlage ausmacht. Die bestimmte Gestalt einer Philosophie also ist gleichzeitig mit einer bestimmten Gestalt der Völker, unter welchen sie auftritt, mit ihrer Verfassung und Regierungsform, ihrer Sittlichkeit, geselligem Leben, Geschicklichkeiten, Gewohnheiten und Bequemlichkeiten desselben, mit ihren Versuchen und Arbeiten in Kunst und Wissenschaft, mit ihren Religionen, den Kriegsschicksalen und äußerlichen Verhältnissen überhaupt, mit dem Untergang der Staaten, in denen dies bestimmte Prinzip sich geltend gemacht hatte, und mit der Entstehung und dem Emporkommen neuer, worin ein höheres Prinzip seine Erzeugung und Entwicklung findet. Der Geist hat das Prinzip der bestimmten Stufe seines Selbstbewußtseins, die er erreicht hat, jedesmal in den ganzen Reichtum seiner Vielseitigkeit ausgearbeitet und ausgebreitet. Dieser reiche Geist eines Volkes ist eine Organisation - ein Dom, der Gewölbe, Gänge, Säulenreihen, Hallen, vielfache Abteilungen hat, welches alles aus einem Ganzen, einem Zwecke hervorgegangen. Von diesen mannigfaltigen Seiten ist die Philosophie eine Form, und welche? Sie ist die höchste Blüte, - sie der Begriff der ganzen Gestalt des Geistes, das Bewußtsein und das geistige Wesen des ganzen Zustandes, der Geist der Zeit, als sich denkender Geist vorhanden. Das vielgestaltete Ganze spiegelt in ihr als dem einfachen Brennpunkte, dem sich wissenden Begriffe desselben, sich ab.
Die Philosophie, die innerhalb des Christentums notwendig ist, konnte nicht in Rom stattfinden, da alle Seiten des Ganzen nur Ausdruck einer und derselben Bestimmtheit sind. Das Verhältnis der politischen Geschichte, Staatsverfassungen, Kunst, Religion zur Philosophie ist deswegen nicht dieses, daß sie Ursachen der Philosophie wären oder umgekehrt diese der Grund von jenen; sondern sie haben vielmehr alle zusammen eine und dieselbe gemeinschaftliche Wurzel - den Geist der Zeit. Es ist ein bestimmtes Wesen, Charakter, welcher alle Seiten durchdringt und sich in dem Politischen und in dem Anderen als in verschiedenen Elementen darstellt; es ist ein Zustand, der in allen seinen Teilen in sich zusammenhängt und dessen verschiedene Seiten, so mannigfaltig und zufällig sie aussehen mögen, sosehr sie sich auch zu widersprechen scheinen, nichts der Grundlage Heterogenes in sich enthalten. Diese bestimmte Stufe ist aus einer vorhergehenden hervorgegangen. Es aber aufzuzeigen, wie der Geist einer Zeit seine ganze Wirklichkeit und ihr Schicksal nach seinem Prinzipe ausprägt, - diesen ganzen Bau begreifend darzustellen, das bleibt uns auf der Seite liegen; es wäre der Gegenstand der philosophischen Weltgeschichte überhaupt. Aber uns gehen die Gestaltungen nur an, welche das Prinzip des Geistes in einem mit der Philosophie verwandten geistigen Elemente ausprägen.
Dies ist die Stellung der Philosophie unter den Gestaltungen. Eine Folge davon ist, daß die Philosophie ganz identisch ist mit ihrer Zeit. Sie steht daher nicht über ihrer Zeit, sie ist Wissen des Substantiellen ihrer Zeit. Ebensowenig steht ein Individuum, als Sohn seiner Zeit, über seiner Zeit; das Substantielle derselben, welches sein eigenes Wesen, manifestiert er nur in seiner Form; niemand kann über seine Zeit wahrhaft hinaus, sowenig wie aus seiner Haut. Die Philosophie steht jedoch andererseits der Form nach über ihrer Zeit, indem sie als das Denken dessen, was der substantielle Geist derselben ist, ihn sich zum Gegenstande macht. Insofern sie im Geiste ihrer Zeit ist, ist er ihr bestimmter weltlicher Inhalt; zugleich ist sie aber als Wissen auch darüber hinaus, stellt ihn sich gegenüber; aber dies ist nur formell, denn sie hat wahrhaft keinen anderen Inhalt. Dies Wissen selbst ist allerdings die Wirklichkeit des Geistes, das Selbstwissen des Geistes; so ist der formelle Unterschied auch ein realer, wirklicher Unterschied. Dies Wissen ist es dann, was eine neue Form der Entwicklung hervorbringt; die neuen Formen sind nur Weisen des Wissens. Durch das Wissen setzt der Geist einen Unterschied zwischen das Wissen und das, was ist; dies enthält wieder einen neuen Unterschied, und so kommt eine neue Philosophie hervor. Die Philosophie ist also schon ein weiterer Charakter des Geistes; sie ist die innere Geburtsstätte des Geistes, der später zu wirklicher Gestaltung hervortreten wird. Das Konkrete hiervon werden wir weiter haben. Wir werden so sehen, daß das, was die griechische Philosophie gewesen ist, in der christlichen Welt in die Wirklichkeit getreten ist.
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